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Alltagshilfe unter Nachbarn
Ehrenamt mit bürokratischen Hürden

Es soll eine Entlastung sein für Menschen mit großen gesundheitlichen Problemen: Bis zu 125 Euro monatlich zahlen Pflegekassen für sogenannte "Alltagshelfer". Doch tatsächlich an das Geld heranzukommen, kostet Betroffene viel Zeit und Nerven.     

Von Katrin Sanders |
Ein Mann schaut mit einem Pflegebedürftigem in dessen Haus ein Fotobuch an
Altenpflege braucht nicht immer professionelle Fähigkeiten (picture alliance / photothek / Ute Grabowsky)
Corona könnte für die Nachbarschaftshilfe ein wahrer Booster gewesen sein. Vielerorts sind Initiativen entstanden, haben sich Menschen gefunden, die einander helfen wollen – beim Einkaufen, Bettwäsche wechseln, bei alltäglichen Handgriffen, für die man keinen professionellen Pflegedienst braucht. In Zeiten des Lockdowns konnten sich alte Menschen oft auf nachbarschaftliches Engagement verlassen. So auch in der Stadt Troisdorf bei Bonn.
Das Mehrgenerationenhaus dort startete im Jahr 2020 einen einfachen Aufruf: Sie wollen in Ihrer Nachbarschaft anderen helfen? Wir bilden Sie aus! 45 Menschen aus der unmittelbaren Umgebung meldeten sich bei Claudia Hoffmann, der Leiterin des Tagestreffpunkts mitten im Wohngebiet:
"Ich war so erschlagen von den Anmeldungen! Also es gab viele Menschen, die in den Startlöchern waren. Teilweise schon nachbarschaftliche Dienste gemacht haben, aber dann davon gehört haben und fanden das auch gut, geschult zu werden. Wir haben natürlich auch sehr viele Senioren hier im Haus, die ab und zu auch nach Hilfe fragen, wenn sie aus dem Krankenhaus kommen etc. und auch viele junge Menschen, die sich engagieren wollen und so sind wir auf das Regionalbüro Alter, Demenz und Pflege gekommen und haben da einen sehr kompetenten Kooperationspartner gefunden und haben direkt loslegen können mit Nachbarschaftshelferkursen."

Für Bezahlung braucht es zukünftig eine Schulung

Es geht vor allem um solche praktischen Fragen wie: Was tun im Notfall? Oder: Wie umgehen mit einem Demenzerkrankten? Die Kurse für die Nachbarschaftshilfe werden zum Ende des Jahres wieder vorgeschrieben sein – zumindest, wenn die Pflegekassen die Hilfeleistung offiziell anerkennen und womöglich auch geringfügig bezahlen sollen. Bis dahin gilt noch eine Ausnahmeregelung, weil Schulungen während der Pandemie nicht möglich waren.
Natürlich kann man auch unentgeltlich und ohne jede Schulung anderen helfen. Eine acht- bis zwölfstündige Unterweisung aber macht es möglich, dass die Hilfe mit ein paar Euro pro Stunde entlohnt werden kann. Denn Nachbarschaftshilfe oder Alltagsassistenz ist eine "Entlastungsleistung" im Sinne der Pflegeversicherung. 125 Euro pro Monat können dafür abgerufen werden. Und das schon ab Pflegegrad 1.
"Aber leider ist der Informationsfluss nicht so gut. Viele Senioren werden auch alleine gelassen, wissen gar nicht, wie komme ich denn an so einen Helfer ran? Viele wissen noch nicht mal, dass sie es abrufen können. Da sind die Krankenkassen … also da ist glaub ich auch noch ein bisschen Luft nach oben, die Beratung da zu verbessern", sagt Hoffmann.
"Es geht im Grunde um erste und niedrigschwellige Hilfen. Viele Menschen, die Pflegebedarf haben, zu Hause leben, die brauchen vielleicht nicht unbedingt gleich den Pflegedienst. Oder in Ergänzung zu einem Pflegedienst jemand, der die Freizeit mit unterstützt, der mal einen Botengang macht, der mal einfach eine Hand reicht“, ergänzt Änne Türcke vom Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz für die Region Köln – zusammen mit dem Mehrgenerationenhaus Troisdorf bietet das Regionalbüro die neuen Schulungen an.

Ehrenamt statt Pflegedienst: Zehn statt drei Stunden Unterstützung

Für 125 Euro bekommt man bei einem professionellen ambulanten Pflegedienst nicht mehr als drei Arbeitsstunden im Monat, sprich drei Stunden Unterstützung für pflegebedürftige Menschen-. Die Nachbarschaftshilfe jedoch wird als Ehrenamt betrachtet, dort werden – je nach Vereinbarung - zwischen sieben und zwölf Euro pro Stunde als Aufwandsentschädigung gezahlt und dann auf Antrag durch die Krankenkasse vergütet. Das macht eine zuverlässige Unterstützung von zwei bis drei Stunden pro Woche aus.
Änne Türcke: "Es hört sich nicht viel an, 125 Euro pro Monat, der Entlastungsbetrag, den man dafür einsetzen kann. Aber für jemand der älter ist und diese Hilfe in Anspruch nimmt, alleine lebt, ist das enorm viel. Man muss auf jeden Fall einen Stundennachweis führen und der Kasse melden. Es gibt sogar die Möglichkeit die Person anzustellen, aber auch das ist über den Entlastungsbetrag anerkennungsfähig. Und wenn man diese Möglichkeit hat, sollte man sie auch in Anspruch nehmen."

Es hapert an der Vermittlung der Helfenden

Bei den Möglichkeiten, den Entlastungsbetrag in Anspruch zu nehmen, aber hapert es. Es ist mühsam und erfordert Vorwisssen. Das fängt schon bei der Suche an: Die gängigen Suchportale für ambulante Pflegeangebote, kennen den Ausdruck "Nachbarschaftshilfe" nicht und zeigen die geschulten Helfer somit gar nicht an. Krankenkassen schicken auf Nachfrage zwar Listen zu den Alltagshilfen, aber auch die weisen vor allem die Profis am Pflegemarkt aus. Und wer sich bei den Kursanbietern für die freiwilligen Helferinnen und Helfer durchfragt, erfährt, dass diese meist nicht vermitteln zwischen den Hilfebereiten und denen, die Hilfe brauchen.
"Ich glaube, dass es so schwierig ist wie den Partner fürs Leben zu finden, gerade auch hier in Nordrhein-Westfalen, wenn man sich im Internet nicht auskennt, was auch viele ältere Pflegebedürftige gar nicht können oder was für die nicht so einfach ist", sagt Manuela Annacker. Referentin für Sozialpolitik beim Sozialverband VdK in Nordrhein-Westfalen. Nachbarn, die sich gern für kleines Geld regelmäßig kümmern würden, verliefen sich im Info-Dschungel. "Man muss schon sehr im Thema sein. Und selbst dann hat man noch Probleme, jemanden zu finden. Man kann über den Pflegewegweiser NRW, das ist bei der Verbraucherzentrale angesiedelt, kann man auch was finden und bei den Pflegestützpunkten."
In Nordrhein-Westfalen sind diese Pflegestützpunkte in den Regionen erste Anlaufstelle für Fragen zur Pflege und zu den dort vorhandenen Diensten. "Aber da muss ich auch erst mal einen Pflegestützpunkt kennen und finden. Also es ist so ein bisschen wie ein Hamster im Käfig. Man findet nicht den einen Nachbarschaftshelfer in Stadt A oder Stadt B, den ich jetzt suche."
Die Gesetzliche Krankenversicherung GKV sieht das anders und spricht von einem Erfolg des Modells mit dem Entlastungsbetrag. Jeder zweite Pflegebedürftige nutze mittlerweile diese Möglichkeit. Doch aktuelle Zahlen des Sozialverbands VdK zeichnen ein anderes Bild. 56.000 Pflegebedürftige und Angehörige wurden nach der Nutzung der Nachbarschaftshilfen gefragt und nicht mal jeder Vierte wusste überhaupt von der Leistung und nutzte sie auch. Grund für die gegensätzlichen Auffassungen bei GKV und VdK könnte sein, dass die für die Nachbarschaftshilfe gedachte Pauschale eben doch allzu oft durch Profis zu Marktpreisen mit abgerechnet wird, also gar keine "Ehrenamtler" zum Zug kommen.

Pflegebedürftige klagen über Bürokratie

Das System sei zu bürokratisch, meint Manuela Annacker vom VdK: "Aus der beruflichen Praxis und aus meiner Erfahrung bei uns im Verband haben wir massive Beschwerden wegen dieser 125 Euro. Die Menschen verstehen nicht, warum kann ich das nicht einfach meinem Nachbarn in die Hand geben? Warum kriege ich nicht diesen Betrag und kann die 125 Euro verteilen, wie ich möchte? Mein Nachbar ist noch fit, der mäht mir den Rasen oder geht für mich einkaufen. So einfache Sachen. Und dann ist es aber so bürokratisch aufgebläht."
Mit diesem Bürokratie-Problem hat auch Christian Vignold zu kämpfen. 45 Jahre jung, Pflegegrad 2, nach Operationen an der Wirbelsäule seit einigen Jahren schwer gehbehindert. Ein Besuch im nordrhein-westfälischen Kriegsdorf. "Also die Nachbarschaftshilfe, finde ich, ist eine total geile Geschichte. Weil mit einem kleinen Kurs in Anführungsstrichen man da Hilfe erwarten kann. Und da ist es dann halt auch schön, wenn man jemanden hat, der in unmittelbarer Nähe ist. Aber es läuft nicht einfach rund. Man muss sich immer wieder selber darum kümmern. Man muss es immer wieder neu beantragen und nachweisen: wann war derjenige da? Irgendwas schreiben, damit das funktioniert. Das kommt nicht automatisch. Das muss man schon selber noch mal beantragen. Also da geht die Kasse nicht hin und sagt wer pflegt dich? Dann kriegt der das Geld."
Wie bei den meisten Pflegebedürftigen sind auch in seinem Alltag Freunde und Familie der zuverlässige Pflegedienst. "Ohne dieses Netzwerk, Nachbarn, meine Mutter, meine Kinder würde das alles überhaupt gar nicht funktionieren. Also wenn ich alleine wäre, dann wäre ich hoffnungslos verloren. Wer soll dann jeden Tag dafür sorgen, dass ich mich anziehen kann, dass ich mich wasche, dass sich was zu essen kriege?"

Pflegedienste sind kein Ersatz für Alltagshelfer

Für diese vielen alltäglichen Handgriffe braucht Christian Vignold nicht professionelle Pflegefachkräfte oder Essen auf Rädern. Im Gegenteil, kommt es für ihn doch darauf an, noch auf lange Jahre maximal viel selbstbestimmt und aus eigener Kraft zu schaffen. Es wird, sagt er, von Tag zu Tag schwerer. Dazu komme die Geldnot. Wenn man wie er seit fast zehn Jahren nicht mehr im Erwerbsleben steht, seien die Rücklagen aufgebraucht, erklärt Vignold. Teure Profidienste kommen aber noch aus einem anderen Grund für ihn nicht infrage:
"Ich habe mit Pflegediensten telefoniert, und da heißt es ja für 125 Euro kann jemand vorbeikommen, einmal die Woche und putzt ihnen die Zähne. Vielleicht reicht die Zeit, um Sie zu waschen. Aber so der tägliche Alltag, der bleibt komplett außen vor. Dann hat man mir irgendwann gesagt ja, es gibt ja auch Pflegedienste, die dann im Haushalt unterstützen, so die Dinge, die halt normal anfallen, wie Bäder sauber machen. Nö, machen die nicht."
Anders seine Nachbarin. Sie wohnt gleich nebenan, kommt bei Bedarf auch mal kurz rein und übernimmt viele kleine Handgriffe. Als Alltagshelferin sei sie aber nur Teil eines funktionierenden Netzes von Menschen, die hier über den Hof zusammenhalten, betont die junge Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte: "Klappt gut. definitiv auf dem Hof. Ja, also auch über uns, die Nachbarn, die kümmern sich sehr viel. Kochen auch, essen dann gemeinsam mit dem Christian, oder wir essen alle zusammen oder wie auch immer so. Wir teilen uns eigentlich richtig gut, wie auf dem Hof, auf. Jetzt durch den Nachbarschaftshelferkurs steht an, dass das ja eine ehrenamtliche Tätigkeit ist, aber man das natürlich mit einer Aufwandsentschädigung gezahlt bekommen kann. Ich finde es gut, wenn die Krankenkassen diese Nachbarschaftshelfer definitiv unterstützen, weil Pflegedienste kommen einfach mal nicht für diese paar Euro. Ist klar."
Wegen der Corona-Ausnahmeregel kann die Unterstützung von Vignolds Nachbarin noch bis Ende des Jahres mit 125 Euro monatlich als Nachbarschaftshilfe abgerechnet werden. Weil die Regelung aber in absehbarer Zeit ausläuft, macht die Nachbarin nun einen Online-Kurs, um anschließend als Helferin weiter von der Kasse anerkannt zu werden. Sie würde auch umsonst helfen, betont sie.
Aber Christian Vignold will das nicht: "Ich möchte nicht, dass irgendjemand für mich was tut, ohne dass er es auch honoriert kriegt. Gut, das ist jetzt meine Nachbarin. Und wir haben uns ein bisschen angefreundet über die Zeit. Aber ich möchte nicht, dass jemand meine Wohnung sauber macht, ohne dass er dafür entlohnt wird. Ja, kann man mal machen. Aber, ich fühle mich nicht wohl dabei, wenn sie das nicht entlohnt bekommt."
So sieht es auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Als früherer Pflegebeauftragter der Bundesregierung kennt er die Bedingungen und hat sie seinerzeit als Bundestagsabgeordneter selbst mitgetragen: Die Voraussetzungen für die Entlastungsleistungen in der Pflegeversicherung sind durch Bundesgesetze vorgegeben. Für den 125-Eurobeitrag gilt: Wer diese Leistung erbringt, muss eine Schulung vorweisen:
"Nein, ich finde das ist nicht zufriedenstellend. Wir sind da dran, wir haben in der Pandemie eben gelernt, dass es diese Menschen gibt, die gerne was machen wollen und jetzt sollten wir mal sehen, dass wir auch ein Angebot schaffen, weil wir ja ainfach für jede helfende Hand in der Pflege auch dankbar sind. Und ich glaube, dass wir sehen müssen, wie wir so etwas organisieren, auch solche Potentiale für den Pflegebereich zu erschließen."

Sozialverbände werben für ein frei verfügbares Budget

Wie es einfacher und alltagsnäher geht, rechnen seit langem die Sozialverbände vor. Manuela Annacker vom Sozialverband VdK schlägt ein Budget vor für alle ergänzenden Pflegeleistungen, ein Budget, das ohne Bürokratie und Umwege ausgezahlt wird. "So habe ich einen Topf und kann selbst entscheiden, wie ich was rausnehme und was ich für was nutze. Und deshalb würden wir uns wünschen, es gibt ein Budget, über das man frei verfügen kann und selbstbestimmt."
Der NRW-Gesundheitsminister ist sehr offen für eine solche Budget-Lösung. Allerdings müssten, so Laumann, auch weiterhin echte Erwerbsarbeit in der Pflege und Ehrenamtsentschädigung gut voneinander abgegrenzt sein. Er erinnert daran, dass die Pflegeversicherung von Beginn an nicht einfach nur Geld verteilen wollte, sondern zugleich immer sozialversicherte Arbeitsplätze im Pflegebereich entstehen sollten. Heute aber herrscht Fachkräftemangel in der Pflege.
Laumann weiß, dass Politik und Gesellschaft umdenken müssen: "Wir haben einfach heute das Problem, dass die Menschen Hilfe brauchen, und dass wir sie über die offiziellen Strukturen nicht im genügenden Umfang zur Verfügung stellen könnten. Und deswegen wäre ein guter Einstieg schon, dass man zum Beispiel die ganzen Leistungen der Kurzzeitpflege, der Verhinderungspflege und auch des Entlastungsbudgets jetzt mal als einen ersten Schritt zu einem Budget macht. Wo wir es dann auch in die  Eigenverantwortung des Pflegebedürftigen und dessen Familie oder dessen, der sich um den pflegebedürftigen Menschen kümmert, stellen, wie sie letzten Endes dieses Geld verbrauchen."

Ohne Freiwillige gibt es in einer Region auch kein Angebot

Es wäre ein wichtiger erster Schritt. Wie zu hören ist, wird er seitens der Bundesregierung bereits vorgedacht. Einen genauen Zeitplan aber gibt es nicht. Und auch das Pflegebudget allein könne nicht alle Probleme des Pflegesystems beseitigen, sagt Ulrike Kempchen, Juristin beim Pflegeschutzbund BIVA.
"Wir haben ja in der Pflege einen freien Markt." Die ergänzenden Leistungen in der Pflegeversicherung können an diesem freien Markt oft nicht genutzt werden. Nach den Zahlen des Deutschen Instituts für Pflegewissenschaft nutzen derzeit nicht einmal fünf Prozent der Berechtigten die Möglichkeiten des Entlastungsbetrags. Im Gesetz mag das Recht auf Kurzzeitpflege stehen, in der Wirklichkeit aber muss der Pflegemarkt die so hilfreichen Plätze auch im Angebot haben.
Ulrike Kempchen: "Und wenn es keinen Anbieter gibt oder ein Anbieter, aus welchen Gründen auch immer, das können auch Kapazitätsprobleme sein, mit mir keinen Vertrag schließen kann oder möchte, dann habe ich auch keinen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf eine Leistung. Und so ist das natürlich auch mit den niedrigschwelligen Leistungen, diesen Entlastungsleistungen im Alltag. Wenn ich keinen Anbieter in der Region habe, kann ich ihn leider nicht hervorzaubern."
Es braucht Beratung dazu, wie die Leistung gut genutzt werden kann und es braucht Vermittlung der Hilfswilligen an die, die Alltagshilfen brauchen. Beides müsste nach Ansicht der BIVA von den Kommunen geleistet werden. Die Stadt Bremen macht mit so genannten Dienstleistungszentren vor, wie das geht. Mehr als 3.300 Helferinnen und Helfer sind dort dank Vermittlung der Dienstleistungszentren im Einsatz. Die Ehrenamtlichen seien im Pflegemix eine willkommene Ergänzung zu den Profis in den ambulanten Diensten, erklärt das Deutsche Rote Kreuz.
Konkurrenz um die ergänzenden Leistungen, zu denen auch die Nachbarschaftshilfe gehört, gibt es nämlich durchaus, sagt Änne Türcke von der Koordinierungsstelle Alter, Pflege und Demenz in Nordrhein-Westfalen: "Ja, natürlich, das erleben wir, dass dann gegenseitig die Vermittlung vielleicht nicht immer im Sinne der Familie oder desjenigen, der den Pflegebedarf hat, läuft. Also dass ein Pflegedienst sagt, nur Hauswirtschaft? Da hab ich gar keine Leute für. Und dass da jetzt vielleicht auch keine Vermittlung eines Nachbarschaftshelfers passiert, liegt glaube ich in der Natur der Sache, dass man sagt, das behalte ich mal lieber selber. Insofern muss man wirklich aufpassen, dass man sich nicht ausbootet, sondern einfach im Sinne der Menschen, die den Bedarf haben, den Hilfemix so strickt, dass die am meisten dabei rausholen. Und mit Unterstützung von guten Beratungsstrukturen kriegt man es hin zu sagen: Ach, das sind die Möglichkeiten, die ich habe!"

Corona-Ausnahmeregelungen könnten weiterlaufen

Die Überlegungen aus dem NRW-Ministerium gehen nun dahin, die Corona-Übergangsregelung im nächsten Jahr weiterzuführen. Also Nachbarschaftshilfen zulassen, auch wenn keine Schulung vorliegt. Und zusätzlich dazu Online-Schulungen anzubieten, um die Zugänge einfacher zu machen, Viele ältere Menschen seien nämlich zur Hilfe gegen kleines Geld bereit, und auf ein kleines Zusatz-Einkommen vielleicht sogar angewiesen, sagt Karl-Josef Laumann.
"Da sind durchaus Potentiale, die wir sehr gut nutzen könnten. Und Sie haben ja bestimmt auch vielleicht mitbekommen, dass die gesetzliche Rentenversicherungen das jetzt verstetigt haben, dass man als Rentner  in einem doch vernünftigen Umfang dazu verdienen darf.  Und das müssen wir jetzt miteinander verbinden, dass der die Hilfe braucht, sich da auch bedienen darf. Und umgekehrt das Bedürfnis von Menschen, sich da einzubringen aber vielleicht durchaus ein bisschen Geld für einen Urlaub oder was weiß ich, zuzuverdienen, dass das einfach in Einklang gebracht wird."
Dieses Bedürfnis, ein wenig Geld dazu zu verdienen, dürften auch einige der geschulten Nachbarschaftshelferinnen und -helfer haben. Davon geht Claudia Hoffmann aus, die Leiterin des Mehrgenerationenhauses im nordrhein-westfälischen Troisdorf. 45 Menschen hatten sich in der Coronazeit im städtischen Tagestreffpunkt schulen lassen. Sie alle sind mittlerweile in Hilfe-Tandems als zuverlässige Helfende aktiv – manche von ihnen gerade weil es für dieses Ehrenamt sogar ein bisschen Geld als Gegenleistung gibt.
"Ja, also ich finde auch immer: Ehrenamt muss man sich leisten können. Wir haben hier ganz viele Besucher, junge Menschen, die sagen, ich kann mir das nicht leisten, umsonst arbeiten zu gehen. Also das darf man auch nicht vergessen, das ist auch ein sozialer Aspekt. Also Ehrenamt muss man sich leisten können.“
"Es ist ja auch eine Form von Wertschätzung, dass das honoriert wird, sozusagen." Bestätigt Christina Völkel, 45 Jahre alt, pädagogische Fachkraft von Beruf und Nachbarschaftshelferin in ihrem Troisdorfer Stadtteil. Es geht nicht nur um ein paar Euro Dazuverdienst. "Es spielt tatsächlich eine kleinere, untergeordnete Rolle, würde ich jetzt mal behaupten. Aber natürlich ist es nett, wenn man da etwas bekommt. Aber andersherum finde ich es auch für denjenigen, der eben den Auftrag erteilt, gut, dass er nicht als Bittsteller auftritt. Und da diese Hemmschwelle vielleicht immer wieder zu fragen:  Ach könnest du dies noch und meinst du das klappt, dann genau kommt er nicht in diese Position des Bittstellers. Insofern: Wenn die Sachen geklärt sind auf beiden Seiten, dann finde ich, ist das prima."
Neben der professionellen Pflege werden viele weitere Hände gebraucht werden, damit die häusliche Pflege gelingt. Ein restlos leerer Markt bei den Pflegefachkräften erfordert, dass alternative Möglichkeiten gestärkt werden. Das Ehrenamt gehört dazu. Aber nicht zum Nulltarif und nicht auf Kosten der Freiwilligen. Das Geld dafür wäre da. Von Bund und Ländern werden kreative Lösungen erwartet, wie es unkompliziert und alltagspraktisch genutzt werden kann.