Änne Seidel: Maren Ade, Fatih Akin, Edgar Reitz und viele weitere deutsche Filmregisseure haben ihn unterschrieben: einen kurzen Aufruf, mit dem sie klar machen: Ja, es muss und es wird eine Zeit nach Dieter Kosslick geben. Bis 2019 läuft der Vertrag des Berlinale-Direktors noch, über mögliche Nachfolger wird bereits gemunkelt - und da sahen offensichtlich auch die knapp 80 Filmemacher die Zeit gekommen, für diesen Appell: "Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang." Einen Neuanfang also fordern die Filmemacher für die Berlinale - das klingt, als wären sie mit dem Alten, mit der Berlinale unter Dieter Kosslick, zuletzt nicht mehr so wirklich zufrieden gewesen. Ich konnte vor der Sendung mit Jeanine Meerapfel sprechen, Filmemacherin, Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin und ebenfalls Unterzeichnerin des Aufrufs - und ich wollte erst mal von ihr wissen, ob sich dieser offene Brief also gegen die Person von Dieter Kosslick richtet?
"Wir erwarten, dass das ein offenes Verfahren ist"
Jeanine Meerapfel: Genau das nicht, sondern es geht uns - ich sage uns, weil es geht um die ganze Sektion Film und Medienkunst in der Akademie der Künste, die das geschlossen unterschrieben hat, soweit sie da waren. Es geht um das Verlangen, das wir haben, dass eine international besetzte Kommission, Findungskommission eingesetzt wird, um die Nachfolge von Dieter Kosslick zu bestimmen, also Vorschläge zu machen, und dass das eben ein demokratisches offenes Verfahren ist.
Seidel: Nun sind aber ja Gespräche über seine Nachfolge, über seine Nachfolgerin, wie auch immer, so heißt es, bereits in vollem Gange. Ich verstehe noch nicht so ganz, warum es da Ihren Aufruf zu diesem Zeitpunkt noch braucht.
Meerapfel: Wir erwarten, dass das ein offenes Verfahren ist, dass wir davon erfahren, dass da eine Findungskommission eingesetzt wird. Dass die Gespräche im Gange sind, davon wissen wir noch nicht. Welche Gespräche sind denn im Gange?
Keine Kritik an Kosslick
Seidel: Na ja. Angeblich hat zumindest Kulturstaatsministerin Monika Grütters bereits mit Dieter Kosslick darüber gesprochen, wie es denn weitergehen soll ab 2019.
Meerapfel: Ja, gut! – Na klar. Es sieht so aus, als ob er aufhören möchte. – Auf jeden Fall: Wir haben diesen Aufruf nicht so verstanden, dass es eine Kritik an Kosslick ist, sondern ein Aufruf, dass man ein durchsichtiges Verfahren hat, und zwar eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission etabliert, die dann eben Vorschläge macht, wie dieser Posten zu besetzen ist.
Seidel: Das heißt, das, was jetzt zurzeit passiert, das ist Ihnen offensichtlich nicht transparent genug?
Meerapfel: So ist es. Wir wollen Transparenz.
"Künstlerische Haltung zum Kino haben"
Seidel: Welche Qualitäten müsste denn ein Nachfolger, eine Nachfolgerin für Dieter Kosslick aus Ihrer Sicht haben?
Meerapfel: Auf jeden Fall sehr gut vernetzt sein, international, und jemand, der wirklich das Kino liebt, Kino im Sinne von, auch eine künstlerische Haltung zum Kino zu haben. Das heißt, dass man nicht nur die Großproduktionen liebt, sondern auch den künstlerischen Film hochhält, insbesondere den europäischen künstlerischen Film hochhält. Das wäre uns sehr wichtig in der Akademie.
Seidel: Würden Sie denn sagen, Dieter Kosslick hat das bislang nicht gemacht?
Meerapfel: Er hat das gemacht. Aber jedes Mal, wenn sie eine Neubesetzung machen, muss sich das noch einmal wieder definieren. Um diese Definition geht es uns. Es geht uns darum, dass noch einmal betont wird, der deutsche Film ist wichtig, der internationale künstlerische Film ist wichtig. Das scheint uns notwendig zu sein, dass man das noch einmal sagt. Wenn bestimmte Presse daraus ein Bashing an Kosslick machen will, wir sind nicht dabei. Das war nicht unsere Absicht.
"Man muss die ganze Struktur hinterfragen"
Seidel: Nun hat Dieter Kosslick ja durchaus auch Verdienste, was die Berlinale angeht. Er hat sie zu einem sehr erfolgreichen Publikumsfestival gemacht zum Beispiel.
Meerapfel: Absolut!
Seidel: Wäre das in Ihrem Sinne, dass das beibehalten wird, dass das so fortgeführt wird in seinem Sinne?
Meerapfel: Ja! - Jawohl! - Das ist sehr wichtig. Tatsächlich ist Berlin eines der größten Publikumsfestivals und das ist wirklich ein großer Verdienst, dass das so ausgebaut worden ist. Man muss trotzdem noch einmal die ganze Struktur befragen, und das wird die nächste Filmfestival-Leiterin oder Leiter machen müssen. Und wir insistieren, dass die Schwerpunkte wirklich der internationale künstlerische Film sein soll und der europäische künstlerische Film sein soll.
Doppelspitze wäre denkbar
Seidel: Dann nennen Sie uns abschließend noch einen Namen. Hätten Sie einen konkreten Vorschlag, wer in Frage kommt?
Meerapfel: Nein, nein! - Nein, das sage ich nicht. Und das wäre genau das Gegenteil von dem, was wir verlangen. Wir verlangen ein Verfahren und doch nicht eine Namensnennung von unterschiedlichen Persönlichkeiten. Da muss man schon die Geduld haben, dass so ein Verfahren angeht und läuft. Sie wissen ja: Die Frau Grütters hat uns alle eingeladen zu einem Gespräch, ich glaube, am 4. Dezember, um die Frage der Nachfolge zu diskutieren, und da werden wir alle da sein.
Seidel: Da werden wir dann sicherlich auch noch mal berichten. - In der Diskussion ist ja auch, dass man in Zukunft die Berlinale-Leitung aufteilen könnte in eine Doppelspitze aus einem künstlerischen Leiter und einem Präsidenten, so wie das bei vielen anderen Filmfestivals auch der Fall ist. Zurzeit macht Kosslick das ja alles in Personalunion. Halten Sie so eine Doppelspitze für sinnvoll auch für die Berlinale?
Meerapfel: Ja, wäre denkbar, ist eins der vielen Möglichkeiten.
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