Die Zahl der "Messergewalt" beziehungsweise der "Messerdelikte" sei im Jahr 2017 um 20 Prozent gestiegen. Diese Behauptung hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier gleich zweimal im Dlf-Interview vorgetragen. Der Abgeordnete hatte zuletzt nach der Gewalttat von Chemnitz über eine "todbringende Messermigration" getwittert und damit deutlich gemacht, dass er die aus seiner Sicht steigenden Zahlen dieser Gewaltform mit der hohen Zahl der Flüchtlinge ab September 2015 in Zusammenhang bringt.
Frohnmaier selbst gab nicht an, woher er die Informationen über diese angebliche Steigerungsrate habe. Vielmehr hat er im selben Interview erklärt:
"Wir haben das Problem, dass in der PKS (Anm. d. Red.: der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik) - und die AfD hat das auch gefordert - zum Beispiel Messerdelikte und die Herkunft der Täter gar nicht gesondert ausgewiesen werden muss."
Wir haben nachgefragt
Bundesweit können solche Daten eigentlich nur vom Bundeskriminalamt (BKA) erhoben werden, das die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) herausgibt. Eine Sprecherin des BKA sagte dem Deutschlandfunk, das Tatmittel Messer werde überhaupt nicht gesondert erfasst. Demnach kann man auch keine Steigerungsraten aus der PKS ableiten. Eine alternative Quelle, die mit der PKS vergleichbar wäre, gebe es in Deutschland nicht.
Theoretisch könnte die Zahl von 20 Prozent auch aus der Addierung von einzelnen Erhebungen der Landeskriminalämter (LKA) abgeleitet worden sein. Eine Stichprobe beim LKA in Nordrhein-Westfalen ergab jedoch: auch dort werden Straftaten, die mit einem Messer als Waffe begangen werden, gar nicht gesondert erfasst. Die einzige Möglichkeit, die dem Sprecher des LKA in Düsseldorf noch eingefallen ist, um auf eine statistische Größe für sein Bundesland zu "Messerdelikten" zu kommen, sind die Polizeidirektionen. Davon gibt es in NRW 47. Möglicherweise haben einzelne von ihnen aus Eigenantrieb heraus statistische Erhebungen für Delikte mit Messern in ihren Regionen erstellt. Doch dann, so der LKA-Sprecher, fehle die Vergleichbarkeit mit anderen Regionen.
Messergewalt – unklarer Begriff
Im März 2018 hatte die AfD die Zahl solcher Delikte in Berlin zum Thema gemacht. Damals fand der "Faktenfinder" der Tagesschau heraus dass sich die Zahl der Gewalttaten mit einem Messer als Tatmittel in einzelnen Bundesländern im Jahr 2017– soweit eben erhoben – unterschiedlich entwickelt hat.
Ein Sprecher der Berliner Senatsverwaltung für Inneres gab für dieselbe ARD-Recherche zu bedenken, dass es nicht bei allen Fällen, in denen die Polizei ein Messer erfasse, auch um "Messerattacken" gehe. "Messer als Tatmittel" werde bei Tötungsdelikten, Raub, Körperverletzungen auch dann erfasst, wenn ein Täter ein Messer am Hosenbund sichtbar mitführe, es aber nicht als Tatwaffe im Sinne von "Verletzungen zufügen" einsetze.
Brauchen wir eine neue bundesweite Statistik?
Bei der Polizei gehen die Ansichten zu einer einheitlichen Statistik in Sachen Messergewalt auseinander.
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, sagte der "Welt am Sonntag", es sei "höchste Zeit, diesem Deliktphänomen auf den Grund zu gehen". Dazu gehöre auch, mit Messern begangene Straftaten bundesweit zu erfassen und Täterkategorien zu bilden. Zudem sollten härtere Strafen geprüft werden.
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, sagte dem ARD-Faktenfinder: "Grundsätzlich sind belastbare Daten natürlich immer von Vorteil, aber die Umsetzung dürfte nicht einfach sein, da man eine gefährliche Körperverletzung mit zahlreichen Gegenständen oder auch in anderer Begehungsform erfüllen kann. Hier die entsprechenden Pflichtfelder bei der Erfassung einzuführen ginge zwar, ist aber verhältnismäßig aufwändig."