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Tour de France und der Klimawandel
Zwischen technologischem Fortschritt und Greenwashing

Proteste auf der Rennstrecke, Diskussionen um Nachhaltigkeit und Etappen bei bis zu 40 Grad: Der Klimawandel ist auch bei der Tour de France in vielerlei Hinsicht ein Thema. Die Tour ist sich der Probleme bewusst - und versucht zumindest einige Kritikpunkte anzugehen.

Von Tom Mustroph | 23.07.2022
    Tourchef Christian Prudhomme fährt auf den Etappen, auf denen das Laden funktioniert, komplett elektrisch.
    Tourchef Christian Prudhomme fährt auf den Etappen, auf denen das Laden funktioniert, komplett elektrisch. (dpa/ picture alliance / ZUMAPRESS.com)
    Die Tour de France hält wenig auf. Für das Rennen werden Strecken neu asphaltiert, Straßen gesperrt, Züge angehalten. In diesem Jahr werden die Fahrer aber gleich mehrmals auf ihrer Fahrt unterbrochen.

    Klimaaktivisten stoppen Tour

    Klimaaktivist*innen blockieren die Straße. Sie fordern tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in den nächsten drei Jahren, um den Klimawandel aufzuhalten. Und bringen so die Tour zweimal kurzzeitig zum Halten.
    Quentin, ein Sprecher der Aktivisten, verteidigt die Aktionen im französischen Radio.
    „Wir sind ein Kollektiv, das zivilen Widerstand leisten will. Wir nennen uns 'Derniere Renovation'. Und wir haben ein ganz klares Ziel: Die Politik dazu zu bringen, das komplette Energie-System zu erneuern, und das weltweit, bis 2030. Und all das im Sinne sozialer Gerechtigkeit, nicht auf Kosten der Prekarisierten.“

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    Kritik von Tourleitung an Aktivisten

    Die Tour-Organisation ASO kann mit dieser Rhetorik wenig anfangen. Karine Bozzacchi, seit 2009 Umwelt-Beauftragte bei der ASO, kritisiert: „Die Gruppe hat das Rennen mit einem Thema unterbrochen, das nichts mit der Tour selbst zu tun hat. Es wurde auch schlecht vom Publikum aufgenommen. Die haben da eher Antiwerbung gemacht.“
    Wie die Proteste der „Letzten Generation“ in Deutschland, polarisieren die Aktionen bei der Tour de France. Ein Ziel erreichen die Aktivist*innen aber: Aufmerksamkeit für den Klimawandel. Die Tour selbst wollten die Aktivistinnen gar nicht direkt angreifen, sagt Quentin: „Es geht uns nicht um die Tour de France. Wir sind aber zur Tour gekommen, weil das Problem des Klimawandels seit nun schon 30 Jahre bekannt ist, wir alle Instrumente zur Lösung zur Hand haben. Wir reden in den Medien seit 30 Jahren darüber.“

    Auch die Tour spürt den Klimawandel

    Und wenig ist passiert. Obwohl auch die Tour de France den Klimawandel spürt. Etappen bei 40 Grad wie in diesem Jahr werden wahrscheinlicher. Eine Belastung für Profis und Fans. Die Tour ist sich dem Problem bewusst. Seit 2013 lässt die Tour, als eine von nur wenigen Sportgroßveranstaltungen, ihren ökologischen Fußabdruck messen. Im vergangenen Jahr kommen 216.000 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente zusammen - zehnmal weniger, als bei der Fußball-WM 2018, aber trotzdem so viel, wie fast 20.000 deutsche Haushalte pro Jahr ausstoßen.

    Viele E-Fahrzeuge im Einsatz

    Für die Emissionen sind fast ausschließlich die Fans verantwortlich: 94 Prozent der Kohlendioxid-Bilanz entfallen auf sie. Die Medien, die Teams und die direkte Organisation machen entsprechend nur einen kleinen Anteil aus. Das liegt auch daran, dass die Fahrzeugflotte der Tour immer elektrischer wird, erklärt Bozzacchi.
    „Mit Skoda, Francaise des Jeux und ASO haben wir 23 komplett elektrisch angetriebene Autos in der Karawane. Wir haben mobile Ladestationen, über die wir uns auch an entlegenen Orten ans Stromnetz anschließen und die Fahrzeuge aufladen können. Alle anderen Pkw in unserer Flotte sind hybrid.“
    Das betrifft die etwa 200 Fahrzeuge vom Tour-Organisator ASO selbst. Tourchef Christian Prudhomme fährt auf den Etappen, auf denen das Laden funktioniert, komplett elektrisch.  Auch manche Teams haben hybride Pkws. Einige Lkw fahren mit Biodiesel. Und der Teambus von TotalEnergies sei mit seinen Solarpaneelen sogar energetisch autark, sagt Bozzacchi.

    Werbefläche für umweltschädliche Konzerne

    Gleichzeitig offenbart sich hier ein weiterer Kritikpunkt: Die Tour ist Werbefläche für einige der umweltschädlichen Konzerne und Länder der Welt. Der Energiekonzern Total ist seit 1988 allein für ein Prozent aller Treibhausgase weltweit verantwortlich. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain sponsern zudem zwei Öl-Länder weitere Teams.
    Die Emissionen bei der Tour direkt sind allerdings seit 2013 um 40 Prozent gesunken. Um den Kohlendioxidabdruck weiter zu reduzieren, will die Tour an den größten Verursacherkreis heran: Rund die Hälfte der 10 Millionen Fans an der Strecke reist mit dem Auto an.
    „Wir haben Fahrradparkplätze, wir organisieren über eine Website Mitfahrgelegenheiten. Mit manchen Regionen entwickeln wir Programme, wie man mit dem Zug zu bestimmten Etappen kommen kann. Wir wollen die Zuschauer dazu animieren, etwas grüner zur Tour zu kommen.“
    Bozzacchi sieht das wichtigste Radrennen der Welt auch als Werbeinstrument, damit  immer mehr Menschen im Alltag das Fahrrad benutzen. Die Tour agiert aber nicht immer glücklich. Während in Frankreich Waldbrände lodern, Landwirte die Dürre beklagen und in manchen Dörfern sogar das Wasser rationiert wird, sprüht die Tour an heißen Tagen Wasser auf die Straßen, um den Belag zu kühlen. Viele Franzosen hatten dafür trotzdem nur Zorn und Häme übrig. Bozzacchi rechtfertigt sich.
    „Also, das hat man ausschließlich für die Sicherheit der Fahrer auf den Abfahrten gemacht. Das war nicht viel Wasser. Und kein Trinkwasser. Es handelte sich um einige hundert Meter Straße, die so bewässert wurden während zwei, drei Etappen. Wir machen das nicht über 3.500 km Strecke.“
    Die Tour will also weiterfahren – und muss dabei die Widersprüche zwischen technologischem Fortschritt und Greenwashing, zwischen nachhaltigem Sporttreiben und Ressourcenverschwendung weiter aushalten.