4,2 von 5 Punkten. So eine gute FIFA-Bewertung hatte noch keine WM-Bewerbung erhalten. Aber die Bewerbung von Saudi-Arabien für die WM 2034 hat die Verantwortlichen des Fußball-Weltverbandes fast restlos überzeugt. Auch wegen solcher Versprechen: "Die Ausrichtung der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2034 wird sich dauerhaft auf die nachhaltige Entwicklung in Saudi-Arabien und der Region auswirken und ein positives Vermächtnis hinterlassen, das über den Wettbewerb hinausreicht."
Saudi-Arabien werde zum Beispiel Recycling-Programme starten, energie- und wassersparende Stadien und Hotels bauen sowie Klimaschutz in den Turnierablauf integrieren.
Es sind genau die Aussagen, die die FIFA hören möchte. Für die Bereiche "nachhaltiges Event-Management" und Umweltschutz kommt der Verband in seiner Risikoanalyse zu dem Schluss: Eine Austragung in Saudi-Arabien birgt nur ein geringes Risiko.
Forscher: Hohes Risiko, dass Versprechen zur Nachhaltigkeit nicht gehalten werden
Eine Bewertung, die David Gogishvilli nicht teilt. Er forscht an der Universität Lausanne zur Nachhaltigkeit von Sportgroßereignissen. "Es gibt nicht nur ein mittleres, sondern ein hohes Risiko, dass die Versprechen, die jetzt getätigt werden, bis 2034 nicht eingelöst werden. Und es ist, ich würde nicht arrogant sagen, aber sehr ambitioniert, dass ein Weltverband - auch wenn er sehr machtvoll ist - sagt: Dinge, die sich in einem Land bis jetzt noch nicht geändert haben, werden sich durch die Austragung einer Fußball-WM ändern."
Das gelte für Menschenrechte genauso wie für Ziele im Umweltschutz, so der Forscher. Er kritisiert vor allem, dass elf der insgesamt fünfzehn Stadien neu gebaut werden müssen. Alle Effizienzgewinne der neuen Stadien, die der Gastgeber verspricht, würden wieder zunichte gemacht werden – angesichts der enormen Ressourcen, die für die futuristischen Arenen benötigt werden.
In Saudi-Arabien ist die Fußballbegeisterung zwar deutlich größer als im kleinen Nachbarland Katar. Aber Gogishvilli bezweifelt trotzdem, ob die vielen Stadien nach der WM wirklich alle genutzt werden. "Entwickle dich doch schrittweise, damit wir in ein paar Jahren sagen: Ok, sie haben jetzt eine Sport-Infrastruktur, die mehrere Jahre lang genutzt wurde. Wenn wir die WM dorthin vergeben, wird es keine Probleme mit der Nachnutzung der Stadien geben."
Wird das die WM mit dem größten CO2-Fußabdruck?
Ein solches Vorgehen ist im Fall von Saudi-Arabien nicht erkennbar. So kommt selbst die FIFA nicht umhin, im Evaluationsbericht festzustellen: Das Ausmaß der Bauarbeiten werde sich auf die Umwelt auswirken. Der Weltverband verlässt sich aber auf das Versprechen der Gastgeber, diese Auswirkungen gering zu halten - und übernimmt an vielen Stellen des Evaluationsberichtes fast eins zu eins die Worte aus der Bewerbung.
Das gleiche Prinzip wendet die FIFA beim Haupttreiber für CO2-Emissionen während einer Fußball-WM an: der An- und Abreise der Fans. Der Weltverband kommt zwar zu dem Schluss, dass das Flugzeug wahrscheinlich das Hauptverkehrsmittel sein werde. Aber die FIFA schwächt diesen Punkt direkt wieder ab, indem sie danach auf Schnellzugverbindungen im Land hinweist - die aber nur zwischen manchen Gastgeberstädten existieren..
Diese Kombination aus neuen Stadien und viel Flugverkehr lässt Nachhaltigkeitsexperte David Gogishvilli pessimistisch auf die WM 2034 blicken. "Im Gegensatz zu den Ambitionen der FIFA könnte das die WM mit dem größten CO2-Fußabdruck werden. Es ist traurig: Es gibt zwar einen Diskurs über Nachhaltigkeit. Aber wir sehen Events von den gleichen Veranstaltern, wo wir das komplette Gegenteil der Versprechen sehen."
WM in Katar - wieder gebrochene Versprechen?
Unrühmliches Vorbild dafür könnte die Weltmeisterschaft 2022 in Katar werden. Im Vorfeld hatten die FIFA und die lokalen Organisationen von einer "klimaneutralen" WM gesprochen. Ein Label, gegen das die Nicht-Regierungsorganisation Carbon Market Watch im Heimatland der FIFA, in der Schweiz, vorgegangen ist.
"Also die Kommunikation im Vorfeld, die war sehr irreführend und auch faktisch falsch. Da haben wir uns dann als NGO sehr stark dafür eingesetzt, dass das verhindert wird in Zukunft. Wir haben zusammen mit anderen Organisationen vor der Schweizer Werbeautorität ein Gerichtsverfahren angestrengt und haben gewonnen", erklärt Benja Faecks, Analystin bei Carbon Market Watch.
Das Urteil der Schweizerischen Lauterkeitskommission hatte zwar vor allem symbolische Bedeutung, weil es nicht von einem staatlichen Gericht ausgesprochen wurde. Trotzdem zeigt es deutlich, wie haltlos die Nachhaltigkeits-Versprechen der FIFA vor der WM 2022 waren.
Vor der WM hatte der Weltverband eine Schätzung veröffentlicht, dass das Turnier rund 3,6 Millionen Tonnen CO2 verursachen würde. Im abschließenden Nachhaltigkeitsbericht hat sich diese Zahl auf 3,8 Millionen Tonnen erhöht - so viel wie der Jahresausstoß von Island. "Das klingt natürlich wie ein kleiner Anstieg, aber ist halt in Gesamtemissionen unglaublich groß. Also 3,8 Millionen Tonnen CO2 ist einfach unsagbar viel", sagt Faecks.
Zudem sei dieser CO2-Fußabdruck sehr wahrscheinlich immer noch zu klein. Denn Katar hat für die WM diverse neue Stadien gebaut - und dadurch viele Emissionen verursacht. Da die Arenen aber nur an knapp 80 Tagen für FIFA-Events genutzt wurden, übernimmt der Weltverband auch nur für diese Zeit die Emissionen. Gefüllt waren die meisten Stadien aber nur einmal: während der WM. Seitdem steht ein Großteil leer.
FIFA sorgt für neue Fragen
Wegen solcher Rechentricks ist Benja Faecks auch gegenüber den Versprechen rund um die WM 2034 skeptisch. "Man kann nicht einfach sagen, Saudi-Arabien wird schlecht abliefern. Aber von dem, was wir jetzt gerade sehen, ist es nicht deutlich, wie es auf eine sehr nachhaltige Art und Weise passieren wird."
Die FIFA tut wenig, um die Zweifel zu zerstreuen. Im Gegenteil: Der Umgang mit dem Nachhaltigkeitsbericht der WM 2022 sorgt für neue Fragen.
Abschlussbericht zur Katar-WM unter Verschluss gehalten
Der Deutschlandfunk hatte in den vergangenen zwölf Monaten zweimal nachgefragt, wann der Abschlussbericht erscheinen würde. Die Antwort der FIFA: Der Bericht sei in Arbeit, man würde sich melden. Dies ist nicht passiert, stattdessen hat die FIFA den Abschlussbericht still und heimlich auf ihrer Website veröffentlicht - ohne eine separate Pressemitteilung.
Noch bemerkenswerter: Teil des Berichts ist ein Brief einer Firma, die den Nachhaltigkeitsbericht der FIFA überprüft hat und ihr attestiert, die erforderlichen Standards eingehalten zu haben. Datiert ist dieser Brief auf den 2. Oktober 2023. Warum die FIFA trotz zweimaliger Nachfrage den Bericht mehr als ein Jahr unter Verschluss gehalten hat? Darauf gab es vom Weltverband keine Antwort.