"Ich hatte einen Künstler, der verstorben ist, wo die Tochter dann zu spät bemerkt, da gibt es einen wichtigen Schriftverkehr und Hinterlassenschaft dieses Komponisten und Dirigenten, der verloren ist, weil er nur auf einem Webmail-Konto lagerte und das nach sechs Monaten abgeschaltet ist."
Die katholische Theologin Birgit Aurelia Janetzky arbeitet als freiberufliche Trauerbegleiterin. Sie ist einige von ganz wenigen in Deutschland, die sich bisher spezialisiert haben auf die Frage: Was tun mit dem digitalen Nachlass? Nach wie vor geht es im Todesfall vor allem darum, den Verlust zu bewältigen. Doch zunehmend drängen sich digitale Fragen in den Vordergrund.
"Ein anderer Fall, wo sehr viel Emotionen ins Spiel kommen, ist, wenn Kinder sterben und dann die Eltern quasi entscheiden müssen: Wir drücken den Delete-Knopf bei Facebook und löschen diesen Account. Nun ist das Kind schon tot und man trägt dann noch etwas bei, dass das Kind nicht mehr existiert."
Es fehlen Know-How und Empathie bei Online-Firmen
Doch vorher müssten Eltern oder Angehörige erst einmal wissen, wo welche Daten hinterlegt sind. Und schon an diesem Punkt stoßen viele auf Widerstände bei sozialen Netzwerken und Online-Unternehmen. Dort würden Sterbefälle meist sehr unpersönlich behandelt. Es gebe in der Regel keinen Ansprechpartner. Selbst wenn eine Sterbeurkunde eingereicht werde, warteten Angehörige wochenlang auf eine Antwort. Beileidsbekundungen? Fehlanzeige, so die Erfahrung von Simone Vintz von der Stiftung Warentest:
"Ein bisschen Empathie fehlt da meiner Meinung nach schon und auch das Verständnis für die Situation. Nun sind ja Trauer und Tod nichts, wo man nicht auch schon Textbausteine aufsetzen kann, um zumindest schon mal einen Beileidsbrief loszuschicken und da dann auch den weiteren Weg zu beschreiben. Das ist, was zurzeit noch wenig auf den Webseiten zu finden ist, was nur in der individualisierten Kommunikation stattfindet - und die läuft natürlich unterschiedlich. Wenn der Berater nicht gut drauf ist oder schlecht geschult - dann sind die Angehörigen, glaube ich, umso mehr frustriert."
Bestatter helfen bei digitalem Nachlass
Also sind Angehörige immer mehr auf die Beratung etwa durch einen Bestatter angewiesen. Kai Lociks war, bevor er in die Trauerbranche wechselte, in der Internet-Branche tätig. Aber selbst für ihn wird die Materie immer komplexer:
"Ich habe es bis zum heutigen Zeitpunkt fast selbst gemacht, habe mir lokale Rechner von den Angehörigen genommen und habe diese durchforstet und nach Konten geguckt. Aber das ist einfach nicht mehr machbar, weil die Zeit so schnell ist und der Traffic so zunimmt. Und früher waren das die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Konten hatten. Heute haben sie selbst im Pflegeheim W-LAN und Internetanschlüsse, also 80, 85 Jahre und auch da muss natürlich danach geforstet werden."
Vermeiden, dass Verstorbene nach ihrem Tod Schulden anhäufen
Software-Firmen wie die Berliner Columba haben sich darauf spezialisiert, Bestattern digital unter die Arme zu greifen, um automatisierte Online-Recherchen einzuleiten. Um etwa zu vermeiden, dass der Verstorbene nach seinem Tod Schulden anhäuft. Christopher Eiler von Columba erlebt immer wieder, wie diese Frage unterschätzt wird:
"Ja, digitaler Nachlass, das betrifft doch den 75-jährigen Opi nicht. Da kam der Anruf eines Bestatter-Kunden, er hätte eine Kundin gehabt, die Tochter des Verstorbenen, die meinte: 'Nein, mein Vater war online nicht aktiv, der war viel zu alt dafür, der hat ja nicht mal E-Mails geschrieben.' Dachte sie. Sie kam dann drei Wochen später und sagte, dass der Vater Abonnent war, eine Art Online-DVD-Verleih, der einem neueste Filme zuschickt, die man dann aber auch physisch zurückschicken muss. Und das konnte er nicht mehr machen, weil er verstorben war. Und das hat sich erst aufgelöst, nachdem die Rechnung mit Mahnung und Inkasso-Kosten bei ihr aufschlug."
Nachlassverwaltung verlagert sich
In den kommenden Jahren wird der digitale Nachlass ein immer größeres Thema werden. Denn dann stirbt die Generation der heute 40- bis 60-Jährigen, die tagtäglich online ist und eine Unmenge von Daten hinterlassen wird. Bestatter Kai Lociks glaubt aber nicht, dass sich dadurch die Trauerarbeit für Familien und Freunde grundsätzlich ändern wird.
"Ich glaube, das hat sich einfach nur verlagert", sagt Lociks. "Angehörige wollen handlungsfähig bleiben. Sie möchten halt was tun. Früher war es halt, dass man sich ums Grab gekümmert hat oder das Zuhause - oder man hat sich um den Rest der Familie gekümmert. Die Handlungsfähigkeit hat sich auf andere Bereiche bezogen und dazu zählt natürlich auch der digitale Nachlass. … Und der ist wie der normale Nachlass einfach etwas, was erledigt werden muss. Denn ob Sie die Wohnung entrümpeln, was eine schwere emotionale Aufgabe ist oder Sie entrümpeln das E-Mail-Postfach oder die E-Mail-Konten, das tut sich nichts."
"Gutes Löschen und gutes Gedenken"
Bestatter Lociks befürchtet auch nicht, dass das Leben im Internet oder auch die Trauer um Verstorbene nun unendlich verlängert wird:
"Manchmal ist das ja auch gewünscht, dass ein Angehöriger im Internet bleibt, um ein Andenken zu haben. Natürlich sollte das nicht für die Ewigkeit sein. Vergesst nicht, mich zu vergessen! Das kann ja auch in fünf bis sechs Jahren der Fall sein, das muss ja nicht sofort sein. Das muss jeder für sich selbst entscheiden."
Schließlich gebe es auch auf analogen Friedhöfen Ewigkeitsrechte oder zumindest Ruhezeiten von 50 bis 75 Jahren, wenn es denn die Familien wünschen und bezahlen können. Für sich hat Kai Lociks zumindest schon jetzt klare Regelungen getroffen:
"Dass meine Familie entscheidet, was sie von meinem digitalen Nachlass haben möchte, welche Fotos, welche Schriftstücke, welche Texte, vielleicht Tagebuchauszüge. Das habe ich schon zu Lebzeiten geregelt und liegt auch in Papierform vor. Alles weitere wie Facebook-Postings, Twitter, Ebay-Accounts, Amazon, da bin ich dafür, dass man das nicht am gleichen Tag oder der gleichen Woche löscht. Aber ich glaube: Das darf nach einem oder anderthalb Jahren einfach gelöscht werden, dass auch mein Leben abgewickelt werden darf."
Als Geisterprofil im Netz weiter existieren
Auch Trauerberaterin Birgit Aurelia Janetzky ist sich sicher: Die Angehörigen können es bewältigen, den digitalen Nachlass zu bearbeiten. Nur müssten sich eben alle Beteiligten, bis hin zu den Online-Unternehmen, ernsthaft auf den Tod im Netz einstellen:
"Im Prinzip brauchen wir Mechanismen. Und auch die Anbieterplattformen müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen, die garantieren, dass ein Mensch, der verstorben ist, nicht noch Jahre später als Geisterprofil weiter existiert. Denn das irritiert die Lebenden. Da müssen wir Mechanismen entwickeln, dass es ein gutes Löschen gibt oder dass es ein gutes Gedenken gibt. Da das Internet für viele ein wichtiger Ort geworden ist, brauchen wir einen Trauerort neben dem Friedhof, wo sie den Kontakt zu ihrem Verstorbenen auch innerlich halten. Es geht nicht darum, alles zu löschen. Wir wollen ja die Menschen auch nicht alle anonym begraben."