Wie ein Akt historischer Gerechtigkeit mutet diese kleine Publikation an. Isaak Babels Hauptwerk "Reiterarmee" wurde jahrzehntelang nur verstümmelt publiziert. Den Verfasser, Sohn eines wohlhabenden jüdischen Händlers in Odessa, warf man unter Stalin ins Gefängnis und brachte ihn 1940 um. Erst Anfang der 90er-Jahre konnte in Russland eine zweibändige Werkausgabe von Babels Schriften erscheinen.
In der Friedenauer Presse legt nun Peter Urban, dessen Nachwort zu seiner 1990 erschienenen Übersetzung der "Reiterarmee" ein einziges Scharfgericht für Zensoren ist, eine unbekannte Erzählung von Babel vor. "Esfirs Ring" umfasst ganze vier Druckseiten, deren Schicksal eine ebenso lange editorische Nachbemerkung von Babels Witwe Antonina N. Pirožkova erläutert.
"Esfirs Ring" erzählt von einem jungen Mann, der sich über den lärmigen Schwarzmarkt von Odessa treiben lässt und dabei an einer "ponceauroten", also leuchtend orangenen Blume riecht. Als Mittelloser kann er nichts kaufen, genießt es jedoch, von einer dicken Händlerin eloquent umworben zu werden. Als sich die Stella genannte Frau schließlich enttäuscht abwenden will, bietet er ihr doch etwas an: einen Ring. Stella erkennt den Ring ihrer in Kiew lebenden Tochter und klagt laut. Die Menge rückt drohend näher, und der junge Mann offenbart sich eilig als Stellas unbekannter Schwiegersohn. Die Schwiegermutter bewirtet den bebrillten Revolutionär und Schriftsteller zu Hause mit lang entbehrten Köstlichkeiten und fragt ihn, warum er sich in das von den zaristischen Weißen beherrschte Odessa begeben habe. Zur Arbeit, sagt er, und erwidert auf die erneute Frage nach der Tochter, seine Ehefrau und Genossin sei im Kampf gegen die Feinde der Revolution gefallen. Während die Mutter zu wehklagen beginnt, geht der junge Mann hinaus und erinnert sich daran, Esfirs Tod zu rächen: "Und das nicht mit Gedichten."
"Esfirs Ring" hätte ein romantisch-revolutionäres Kitschstück über Liebe und Tod mit roter Rose und Racheschwur werden können. Doch davor bewahrt die Erzählung eine kraftvolle Mischung aus Flaubertscher Impassibilité und poetischer Verklärung der Gewalt. Viermal kippt die Situation plötzlich, und immer zieht Gefahr herauf.
Aus dem wie ein Dandy oder wie eine Carmen auftretenden Verführer mit Blume wird unter dem Eindruck von Stellas Eloquenz ein Säugling, dann der Ehemann ihrer Tochter, schließlich ihr Witwer und Rächer. Harte Schnitte führen aus der ungeschiedenen Fülle des Schwarzmarkts und der so dekadenten wie jugendlich-trotzigen Koketterie mit der Blume hinein in die mörderische Gegenwart der Revolution, in der die private Rache umstandslos in der gesellschaftlichen Umwälzung aufgeht. Mit den hyperbolischen Gewaltstreichen, die Babel so virtuos in "Die Reiterarmee" benutzt, um die von ihm erlebten Gräuel des Russisch-Polnischen Krieges einzufangen, erzählt er hier eine Geschichte aus Revolutionszeiten.
Diese Erzählung aus Odessa, wo Babel im Gouvernements-Komitee und als Expedient einer Druckerei gearbeitet hatte, erreichte dessen Witwe 1978 über eine literarische Zeitschrift. Die Blätter hatte ein älterer Mann eingesandt, der Neffe jener Frau, der Babel die Handschrift vermutlich 1923 oder 1925 zum Dank dafür geschenkt hatte, dass sie sie in der Redaktion einer Zeitschrift in Odessa mit der Maschine abgeschrieben hatte.
Die Geschichte war nicht veröffentlicht worden und daher unbekannt. Babels Witwe versuchte von dem Mann die Handschrift zu erhalten, was jedoch, so erzählt sie in ihrer Nachschrift, dessen schwere Krankheit verhinderte. Babels revolutionäre Handstreiche gerieten also ein weiteres Mal in die sowjetische Depression, und so wiederholt die Broschüre noch in der Rettung einer Geschichte, was dem Babelschen Werk in seiner Heimat angetan wurde.
Isaak Babel: Esfirs Ring
Aus dem Russischen von Peter Urban
Friedenauer Presse, Berlin 2009
12 Seiten, kostenlose Abgabe durch den Verlag, v.a. an Käufer der im selben Verlag erschienenen "Reiterarmee" und des "Tagebuchs" von Babel
In der Friedenauer Presse legt nun Peter Urban, dessen Nachwort zu seiner 1990 erschienenen Übersetzung der "Reiterarmee" ein einziges Scharfgericht für Zensoren ist, eine unbekannte Erzählung von Babel vor. "Esfirs Ring" umfasst ganze vier Druckseiten, deren Schicksal eine ebenso lange editorische Nachbemerkung von Babels Witwe Antonina N. Pirožkova erläutert.
"Esfirs Ring" erzählt von einem jungen Mann, der sich über den lärmigen Schwarzmarkt von Odessa treiben lässt und dabei an einer "ponceauroten", also leuchtend orangenen Blume riecht. Als Mittelloser kann er nichts kaufen, genießt es jedoch, von einer dicken Händlerin eloquent umworben zu werden. Als sich die Stella genannte Frau schließlich enttäuscht abwenden will, bietet er ihr doch etwas an: einen Ring. Stella erkennt den Ring ihrer in Kiew lebenden Tochter und klagt laut. Die Menge rückt drohend näher, und der junge Mann offenbart sich eilig als Stellas unbekannter Schwiegersohn. Die Schwiegermutter bewirtet den bebrillten Revolutionär und Schriftsteller zu Hause mit lang entbehrten Köstlichkeiten und fragt ihn, warum er sich in das von den zaristischen Weißen beherrschte Odessa begeben habe. Zur Arbeit, sagt er, und erwidert auf die erneute Frage nach der Tochter, seine Ehefrau und Genossin sei im Kampf gegen die Feinde der Revolution gefallen. Während die Mutter zu wehklagen beginnt, geht der junge Mann hinaus und erinnert sich daran, Esfirs Tod zu rächen: "Und das nicht mit Gedichten."
"Esfirs Ring" hätte ein romantisch-revolutionäres Kitschstück über Liebe und Tod mit roter Rose und Racheschwur werden können. Doch davor bewahrt die Erzählung eine kraftvolle Mischung aus Flaubertscher Impassibilité und poetischer Verklärung der Gewalt. Viermal kippt die Situation plötzlich, und immer zieht Gefahr herauf.
Aus dem wie ein Dandy oder wie eine Carmen auftretenden Verführer mit Blume wird unter dem Eindruck von Stellas Eloquenz ein Säugling, dann der Ehemann ihrer Tochter, schließlich ihr Witwer und Rächer. Harte Schnitte führen aus der ungeschiedenen Fülle des Schwarzmarkts und der so dekadenten wie jugendlich-trotzigen Koketterie mit der Blume hinein in die mörderische Gegenwart der Revolution, in der die private Rache umstandslos in der gesellschaftlichen Umwälzung aufgeht. Mit den hyperbolischen Gewaltstreichen, die Babel so virtuos in "Die Reiterarmee" benutzt, um die von ihm erlebten Gräuel des Russisch-Polnischen Krieges einzufangen, erzählt er hier eine Geschichte aus Revolutionszeiten.
Diese Erzählung aus Odessa, wo Babel im Gouvernements-Komitee und als Expedient einer Druckerei gearbeitet hatte, erreichte dessen Witwe 1978 über eine literarische Zeitschrift. Die Blätter hatte ein älterer Mann eingesandt, der Neffe jener Frau, der Babel die Handschrift vermutlich 1923 oder 1925 zum Dank dafür geschenkt hatte, dass sie sie in der Redaktion einer Zeitschrift in Odessa mit der Maschine abgeschrieben hatte.
Die Geschichte war nicht veröffentlicht worden und daher unbekannt. Babels Witwe versuchte von dem Mann die Handschrift zu erhalten, was jedoch, so erzählt sie in ihrer Nachschrift, dessen schwere Krankheit verhinderte. Babels revolutionäre Handstreiche gerieten also ein weiteres Mal in die sowjetische Depression, und so wiederholt die Broschüre noch in der Rettung einer Geschichte, was dem Babelschen Werk in seiner Heimat angetan wurde.
Isaak Babel: Esfirs Ring
Aus dem Russischen von Peter Urban
Friedenauer Presse, Berlin 2009
12 Seiten, kostenlose Abgabe durch den Verlag, v.a. an Käufer der im selben Verlag erschienenen "Reiterarmee" und des "Tagebuchs" von Babel