Uli Blumenthal: Dirk Lorenzen, Sie haben diese Pressekonferenz um 15:00 Uhr für uns verfolgt. Wie geht es Philae, dem kleinen Kühlschrank?
Dirk Lorenzen: Dem kleinen Kühlschrank geht es gut, Herr Blumenthal. Er spricht, wie die Forscher sagen, mit der Sonde und mit dem Team, das heißt, er funkt Daten. Das ist erst einmal wichtig, zugleich sind die Forscher auch vollkommen fasziniert, verblüfft, fast erschrocken, denn die Lage, in der sich diese Raumsonde Philae dort befindet, die könnte fast erschreckender oder faszinierender kaum sein. Sie steht nicht etwa eben, wie man sagt - ein Forscher sagte so schön, nicht parallel zur Oberfläche - sondern hängt so fast in einer Art Steilhang, womöglich sogar in 30-Grad- oder 40-Grad-Neigung und eines der drei Beine hängt nicht in der Luft, die gibt es da nicht, aber eben im Vakuum. Also eine völlig skurrile Situation, mit der niemand gerechnet hat.
Blumenthal: Wie konnte es dazu kommen, dass sich Philae in diese Lage hineinmanövriert hat, oder hinein manövriert wurde?
Drei Landungen auf dem Kometen
Lorenzen: Es war eben gestern nicht der Tag der Kometenlandung, es war der Tag der drei Landungen. Philae ist dann tatsächlich um 17:03 Uhr unserer Zeit das erste Mal auf dem Kometen aufgekommen, aber hat sich dann nicht etwa dort gleich verankert, wie es eigentlich geplant war, sondern ist dann noch einmal hoch gesprungen, blieb fast zwei Stunden lang in der Luft, hat sich gut einen Kilometer weit bewegt, dann hat sich Philae noch einmal hingesetzt, ist noch einmal ein bisschen gehüpft für so etwa sieben Minuten und ist dann erst in diese Lage gekommen. Aber es ist eben für die Forscher unglaublich, an sich hat man gedacht, schon eine Landung sei schwierig genug. Offensichtlich hat Philae sogar drei solcher Landungen überstanden, wenn auch eben jetzt in einer etwas unbequemen Position.
Blumenthal: Ein großer Schritt für die Forscher, drei kleinere Sprünge für ein Labor. Wie ist die Lage des Labors jetzt genau auf dem Kometen? Was kann man dazu sagen?
Suche nach dem Standort
Lorenzen: Wie die ganz genau ist, weiß man nicht. Man hat mit der Kamera an Bord von Rosetta, der Muttersonde, schon die zwei Stellen ausgemacht, wo die beiden ersten Treffer waren. Aber wo genau jetzt Philae ist, das wissen die Forscher noch nicht. Es gibt zwar Bilder von der Oberfläche, man kann einiges über die Umgebung sagen. Dort sieht man eine Steilwand und dicht davor, ganz dicht heißt einige Meter, wie genau weiß man nicht, vor dieser Steilwand befindet sich Philae. Man muss es eben weiter analysieren. Im Moment besteht gerade wieder kein Kontakt, aber ab heute Abend 20:30 Uhr gibt es dann wieder Funkkontakt zur Sonde.
Blumenthal: Jetzt könnte man ja fragen, warum nicht Rosetta, das Mutterschiff, eigentlich Fotoaufnahmen zur Erde schickt und vorher noch den Kometen aufgenommen hat und gesagt hat: Hey, da ist der Lander und der ist in der und der Position. Rosetta kreist ja um den Kometen?
Lorenzen: Aber dafür reicht einfach die Auflösung nicht aus. Es gibt wunderbare Fotos, die zeigen, wie eben Philae sich langsam von Rosetta entfernt, dabei sich auch sein bisschen dreht. Es gibt sogar ein spektakuläres Foto, in dem Rosetta über den Nachtseite des Kometen zu sehen ist, als Punkt, erleuchtet. Da ist sie eben noch in der Sonne und der Untergrund dunkel. Da war das möglich, aber jetzt auf dieser Oberfläche kann die Muttersonde Rosetta nicht wirklich helfen. Die auflösende Kamera reicht dafür nicht aus.
Blumenthal: Warum könnte man jetzt das Labor nicht verankern. Es war jetzt immer die Rede von Düsen, die sozusagen einen Druck erzeugen, um auf den Kometen zu pressen. Aber andererseits drei Harpunen, die Verankerungen möglich machen. Kann man nicht einfach sagen: Go! Und dann schießen die rein und dann ist das ganze Ding fest?
Größte Vorsicht bei Aktionen
Lorenzen: Dieses System fassen jetzt die Ingenieure mit allergrößter Vorsicht an. Wann will genau überlegen, was passiert. Man hat eben Pech gehabt mit diesem Verankerungssystemen. Diese Düse, die ja die Aufgabe hatte, die Raumsonde Philae beim ersten Auftreffen gleich auf dem Boden zu drücken, dass die nicht funktionieren würde oder höchstwahrscheinlich nicht, das wusste man ja schon vor dem Ausklinken. Das hat man in Kauf genommen. Man hat dann aber eben Pech gehabt, dass auch diese Harpunen nicht funktioniert haben. Dann das doppelte Pech, dass man am Anfang gedacht hat, sie hätten funktioniert, deswegen gab es ja diesen Jubel, bis man den Irrtum dann bemerkt hat. Jetzt im Moment muss man sich genau überlegen, ob man diese Harpunen manuell noch einmal auslöst. Das ist im Prinzip möglich, aber bevor man irgendetwas macht in dieser sehr delikaten Lage, über die eben noch längst sich alles bekannt ist, da sagt man erst einmal: Am besten das Ding nicht anfassen, nichts groß Verändern, damit da nicht noch etwas Schlimmeres passiert.
Blumenthal: Philae hat, wenn man die Pressekonferenz im Netz verfolgt, da wurde gesagt, eine Art Schattenplatz auf dem Kometen jetzt. Was bedeutet das für die ganze Mission? Ist das ein Energieproblem, auf das man hinausläuft? Ist es dadurch zu kalt, dass die Instrumente nicht funktionieren?
Energieprobleme auf der Oberfläche
Lorenzen: Die Temperatur ist kein Problem. Es ist tatsächlich das Energieproblem, dass man kaum Strom bekommt. Im Moment arbeitet Philae im wesentlichen aus dieser Primärbatterie, die vorher schon aufgeladen war. Die Solarzellen liefern eben deutlich weniger Strom, als man erhofft hatte. Man ist durch diese Nähe an dieser Steilwand eben, hat man nur anderthalb oder 2 Stunden Sonnenschein pro Tag, statt sechs oder sieben wie erhofft – also Tag auf den Kometen bezogen. Und das heißt natürlich, diese Batterien werden kaum aufgeladen. Für heute und für morgen spielt das alles natürlich noch keine Rolle, die Energie könnte dann ab übermorgen tatsächlich ein Problem werden. Wobei auch da wieder die Forscher ein bisschen Trost haben, und Ingenieure. Die sagen: Es gibt auch auf diesen Kometen Jahreszeiten, womöglich ist die Stelle, an der sich gerade jetzt Philae befindet in zwei oder drei Monaten viel besser im Sonnenlicht, dann könnte es sogar sein, dass viele diesen Winterschlaf überwunden hat.
Blumenthal: Je näher Rosetta an diesen Kometen kam, desto mehr ist man überrascht gewesen von der Oberfläche, von der Beschaffenheit. Gibt es jetzt irgendwelche Fotos, gibt es Daten, dass man genauer sagen kann: Wie sieht die Oberfläche aus? Wie ist sie beschaffen?
Lorenzen: Wie sie aussieht, das sieht man schon, aber wie sie beschaffen ist, das kann man noch nicht genau sagen. Da warnen eben die Forscher davor: Wir vergleichen das so gern mit irdischen Dingen. Wenn man sich die Stelle anguckt, an der Philae gestern so dramatisch zurückgeprallt ist, das sieht eigentlich aus wie ein Sandstrand. Man denkt: Weiche Dünen, da kann gar nicht viel passiert sein. Trotzdem gab es diesen starken Rückprall. Auf anderen Fotos sieht diese Steilwand so aus wie fester Granitfels, das gibt es natürlich auf diesen Kometen gar nicht, also der ist insgesamt ein sehr poröser, sehr lockeres Material, egal, was wir rein äußerlich mit diesen Strukturen verbinden. Da warnen die Forscher davor, man darf nicht direkt aus dem Anschein sagen. Auf der Pressekonferenz hat ein Forscher gesagt: wir werden in einem Jahr wissen, wie genau dieser Komet beschaffen ist.
Weiteres Arbeitsprogramm wird geplant
Blumenthal: Aber sie haben auf der Pressekonferenz auch gesagt, man soll nicht gleich von einem Scheitern der Mission sprechen. Wie würden Sie es einschätzen? Kann man ein Mess- und Untersuchungsprogramm durchführen, so, wie man es geplant hat, oder muss man da schon Abstriche vornehmen?
Lorenzen: Nein nein, es ist auf jeden Fall fantastisch. Ich meine, man hat drei Landungen überstanden. Das ist schon unglaublich, das hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Jetzt ist eben klar: Man wird, bevor man dort irgendetwas mechanisch bewegt – natürlich würde man gern hineinbohren, man würde auch gern diese Harpunen benutzen. Aber klar ist, solange man nicht genau weiß, wie dort Philae verankert ist oder sich dort hält. Wie gesagt, ein Bein hängt im Vakuum. Solange das nicht geklärt ist, wird man mechanisch an der Sonde nichts tun. Das heißt, die nächsten Stunden, die nächsten ein oder zwei Tage werden ganz geprägt sein von Überlegungen, wie man dort weitermachen kann.
Blumenthal: Wenn Sie ein, zwei Zeilen formulieren müssten zum Abschluss unseres Gesprächs. Was würden Sie 24 Stunden nach der Landung sagen zu dieser Mission?
Lorenzen: Das Philae-Team hat gestern unglaublich viel Glück gehabt, aber ich würde sagen verdientermaßen, denn es war das Glück des Tüchtigen.