Nachts schlafen sie in Anhängern oder unter Lastwagen. Gekocht wird in riesigen Töpfen, die mit Holzlöffeln von der Größe eines Paddels umgerührt werden. In Hunderten provisorischen Suppenküchen am Straßenrand wird Essen zubereitet. Gewaschene Kleidung wird zum Trocknen auf Leinen gehängt, die zwischen den Traktoren gespannt sind. In Neu-Delhi, der indischen Hauptstadt, kommen wieder zahlreicshe Bauern zu Demonstrationen zusammen. Und sie sind so ausgestattet, dass es ein langer Protest werden könnte. "Wir werden diesen Ort nicht verlassen", sagt der 26-jährige Gurpreet Singh, der aus einer Bauernfamilie stammt.
"Es ist ein Kampf um unser Überleben." (Gurpreet Singh)
Dieser Protest der indischen Landwirte, bei dem es immer wieder zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften kommt, dauert nun schon mehrere Monate an. Er richtet sich gegen drei Gesetze, die die indische Regierung von Premier Modi auf den Weg gebracht hat.
Ein indischer Bauer erklärt in der Sendung "Weltzeit" bei Deutschlandfunk Kultur, er befürchte das Schlimmste:
"Wird dieses Gesetz nicht zurückgenommen, macht es uns mit der Zeit zu Sklaven. Wir Kleinen werden zerstört. Premierminister Modi hat uns versprochen, das Einkommen der Bauern zu verdoppeln. Aber nichts ist passiert."
Die umstrittenen Gesetze regeln neu, wie die Bauern ihre landwirtschaftlichen Produkte künftig verkaufen sollen. Sie lockern die bisherigen Vorschriften rund um Verkauf, Preisbildung und Lagerhaltung. Bislang haben die Bauern auf Märkten verkauft, auf denen die Regierung die Preise kontrolliert und einen Mindestertrag garantiert. Die neuen Gesetze sehen nun vor, dass die Landwirte ihre Ernten ohne den bisherigen Zwischenschritt über sogenannte Mittelsmänner auch direkt an private Unternehmen verkaufen dürfen, etwa an Agrar-Handelsbetriebe oder an Supermarktketten. Vorgesehen ist eine Landwirtschaft, in der die Bauern entsprechend der Nachfrage anpflanzen.
Regierung spricht von Vorteil für die Bauern
Der Verwaltungsbeamte Jitender Sain verteidigt im Beitrag von Deutschlandfunk Kultur die Schritte der Regierung. Aus seiner Sicht verbessern die neuen Gesetze die Lage der Bauern. Diese bekämen dadurch eine Alternative, die zu ihrem Vorteil sei. Denn durch Wettbewerb stiegen die angebotenen Preise. Früher habe es nur einen gegeben, der ihnen ihre Ernte abkaufte. Jetzt gebe es viele. So argumentiert auch die Regierung von Premier Modi. "Die neuen Gesetze sind ein Sprungbrett zur Modernisierung der indischen Landwirtschaft, aber das Ergebnis wird nicht sofort kommen", sagte der Regierungsberater Asho Gulati. Auch mehrere Ökonomen argumentieren, die Reformen würden dem Agrarsektor neue Investitionen bringen.
Bauern mit Geldsorgen in Angst vor Preisverfall
Doch die Bauern befürchten einen Preisverfall, weil sie sich in Verhandlungen mit Großkonzernen in einer schlechten Position wähnen. Nach anfänglich guten Erträgen für die Produkte - so die Angst vieler - könnten die Ankäufer großer Firmen die Preise nach unten drücken. Die Landwirte sind verärgert, dass die Regierung sich nicht schriftlich dazu verpflichten will, eine jahrzehntelange Preisstützungspolitik für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Reis fortzusetzen. Viele indische Bauern haben schon seit Langem Geldsorgen. Und die Corona-Pandemie hat die Lage weiter verschlechtert. Immer wieder gibt es deshalb auch Suizide. Wie das ZDF bereits im vergangenen Jahr berichtete, haben von 2006 bis 2016 in Indien mehr als 140.000 Bauern Selbstmord begangen. Das seien vier Fälle pro Tag. Die Zahlen seien so hoch, dass seit mehreren Jahren keine Daten mehr veröffentlicht würden.
Die besondere Rolle der Mittelsmänner
Doch nicht nur die Bauern fürchten um ihre Existenz, sondern auch die sogenannten "Mittelsmänner". Sie leben davon, dass sie zwischen den Landwirten und den Kunden vermitteln und dafür eine Gebühr verlangen. Ein Vertreter fragte im Beitrag von Deutschlandfunk Kultur: "Ist es wirklich möglich, dass die Bauern, nachdem sie den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet haben, am nächsten Tag losgehen und ihre Ernte verkaufen?" Der Bauer mache seinen Job, habe aber beim Verkauf der Produkte keine Routine. Man habe ein System aufgebaut, in dem jeder seine Rolle einnehme.
Aus Sicht von Devinder Sharma, einem unabhängigen Agrarexperten, spielen die Zwischenhändler eine zentrale Rolle, um das Wohlergehen der Bauern sicherzustellen. Es bestehe eine symbiotische Beziehung zwischen den beiden, und für die meisten Bauern "sind Zwischenhändler wie Geldautomaten", sagte Sharma.
(wes)