Sebastian Lange hat es ziemlich gut getroffen. In Berlin kämpfen seine Kollegen mit Schnee und Eis – Lange aber kann im T-Shirt ins Büro pendeln.
„Ich bin nach Sydney gegangen für die ‚Welt’, weil wir dort Redakteure in 'ner Rotation hinschicken, also immer zwei Redakteure, die dort im Wechsel tätig sind, jeweils für drei Monate, weil wir welt.de dann, wenn Deutschland schläft, aktuell halten.“
Das Prinzip ist so simpel wie einleuchtend: Wer in der Nacht arbeitet, bekommt es mit der Müdigkeit zu tun. Die Konzentration leidet. Ganz anders in Sydney.
„Wenn wir hier morgens um 9 Uhr anfangen, ist es in Deutschland 23 Uhr abends. Dann ist es halt so, dass wir uns erst mal vertraut machen, mit allen Übergaben, die es gegeben hat in der Redaktion, gucken an, wie die Webseite aktuell aussieht, gucken, was die Konkurrenz macht. Und wenn wir dann aufhören zu arbeiten, also so 17 Uhr, dann fängt halt der 7-Uhr-Dienst an in Berlin.“
In einer Zeit, in der das Smartphone den Wecker ersetzt und der Blick ins Netz schon vor dem Frühstück für viele zur Gewohnheit geworden ist, wird das Geschehen in der Nacht für Redaktionen immer wichtiger. Die Redakteure der „Welt“ sitzen in Sydney dann auch Tisch an Tisch mit Kollegen aus der Schweiz und aus Dänemark. Und auch die Deutsche Presse-Agentur dpa hat erste Nachtredakteure entsandt.
„Wer schon mal eine Nachtschicht gemacht hat, der weiß auch, dass immer wieder tote Punkte kommen“,
…sagt Verena Schmitt-Roschmann aus eigener Erfahrung. Ihre Redaktion wertet für Zeitungen, Sender und nicht zuletzt Online-Portale in Deutschland aus, was die internationale Agentur AP berichtet. Meldungen, die jahrelang nur in Deutschland umgeschlagen wurden, auch in der Nacht – seit diesem Jahr aber nun in Sydney.
Gut für den Bio-Rhythmus
„Wir haben jetzt einige Wochen Erfahrung damit und das zahlt sich auch tatsächlich aus, dass das alles viel günstiger ist für den Bio-Rhythmus und für die Arbeit.“
Australien ist gefragt, aber auch Amerika. Bricht etwa über der Düsseldorfer Zentrale des „Handelsblatts“ die Nacht ein, übernimmt New York. Die Wirtschaftszeitung hat dort gleich einen zweiten Newsroom installiert. Und auch die „Süddeutsche Zeitung“ setzt zu später Stunde lieber auf die USA, wie Online-Chef Stefan Plöchinger erklärt:
„Wir haben einen Kollegen in Los Angeles sitzen, der von der Zeitung und uns gemeinsam bezahlt wird und uns über Nacht Geschichten macht. Und wir werden ab April fest einen Kollegen in San Francisco haben, der über Tech, Politik, Wirtschaft aus den USA als Nacht-Autor tatsächlich Geschichten schreibt.“
Was aber bringt Nachtarbeit in der Ferne? Die „Welt“ ist auf eine Meldung besonders stolz: die über den Tod Paul Walkers, des Schauspielers, der mit den Straßenrennen-Filmen von „The Fast and the Furious“ bekannt wurde und ausgerechnet bei einem Autounfall ums Leben kam. Sydney reagierte fix – und wurde mit 2,5 Millionen Abrufen belohnt. Ein Wettrennen um die meisten Klicks? SZ-Redaktionsleiter Ploechinger distanziert sich:
„Was ich von Menschen, die woanders sind, haben will, die woanders sind, sind Geschichten, die woanders spielen, weil sie woanders leichter zu schreiben sind als in Deutschland. Da sind natürlich die USA – Deutschland ist ein sehr transatlantisch zentriertes Land – aber natürlich auch Asien wäre interessant. Das ist eher so etwas, worüber man nachdenken sollte, als dass wir besonders viele Leute zum ‚Ticker-Schubsen’ in andere Länder schicken.“
Ihr Ansatz mag sich unterscheiden, ihr Ziel aber ist dasselbe: Frisch sollen ihre Seiten aussehen, rund um die Uhr, von Mitarbeitern, die dafür teils am anderen Ende der Welt sitzen. Sonniges Sydney statt düsteres Deutschland – die Betroffenen beschweren sich über diesen Tapetenwechsel natürlich nicht.