Bettina Schmieding: Als im Dezember das Kindesmissbrauchsurteil gegen den australischen Kardinal George Pell erging, sollte nach dem Willen des Richters nicht darüber berichtet werden. Mithilfe einer Nachrichtensperre wollte das Gericht verhindern, dass die Jury eines noch ausstehenden Prozesses beeinflusst wird. Viele Medien haben sich nicht daran gehalten, auch Medien im Ausland, wie die Washington Post und auch wir, der Deutschlandfunk, haben berichtet. Jetzt ist die Nachrichtensperre aufgehoben, und gleichzeitig wurde bekannt, dass der Generalstaatsanwalt die Zwischenzeit genutzt hat, um über hundert Medienhäusern per Post den Bruch der Nachrichtensperre vorzuwerfen. Den Journalisten drohen jetzt Haftstrafen. Amanda Meade hat für den australischen Guardian darüber berichtet.
Waren Journalisten wegen des Bruchs der Nachrichtensperre jemals in einem solchen Ausmaß Strafverfolgung ausgesetzt?
Amanda Meade: Nein, nicht in diesem Ausmaß, wo die größten Medienhäuser entschieden haben, die Nachrichtensperre zu brechen. Aber sie haben es in einer sehr zurückhaltenden Weise gemacht. Niemand nannte seinen Namen und was er getan hat. Sie haben es in einer subtileren Weise gemacht, aber das Gericht hat es sehr ernst genommen.
Schmieding: Justitia ist ja blind, sagt man. Aber es sieht aus, als sei die australische Version dieser Dame besonders blind. Kann jemand wirklich glauben, dass eine Nachrichtensperre wirklich eine Beeinflussung von Geschworenen verhindern kann heutzutage?
Meade: Ich glaube, diese Jury war vom Gericht angewiesen, nichts über den Fall nachzulesen. Und es musste ihnen glauben, dass sie das nicht tun. Alle, die im Gerichtssaal waren, haben sich positiv geäußert über die Art und Weise, wie fair das Verfahren ablief und wie gut die Jury gearbeitet hat. Die Artikel, die veröffentlicht wurden, wurden von den Webseiten genommen, auch wenn die Jury sie theoretisch in den Zeitungen lesen konnte, auch wenn dort der Name nicht erwähnt wurde. Als die Artikel veröffentlicht wurden, hatte die Jury bereits das Urteil gesprochen und war entlassen.
Das Gericht hatte Angst, dass künftige Jurys in einem zweiten Prozess die Artikel lesen würden und voreingenommen gewesen wären. Aber heute hat die Staatsanwaltschaft entschieden, keinen zweiten Prozess zu führen, also wurde die Nachrichtensperre aufgehoben und es durfte über den Prozess gegen Kardinal Pell berichtet werden. Und wir durften jetzt auch darüber berichten, dass hundert Briefe an Medienhäuser verschickt wurden, von den Unternehmensspitzen bis hinunter zu Reportern, Redakteuren, Produzenten – nach dem Gießkannenprinzip. Und wir waren jetzt in der Lage, darüber zu berichten. Das hat bei den Medien zu Empörung geführt.
"Es gibt viele Leute, die deswegen sauer sind"
Schmieding: Gibt es eine Diskussion in Australien, ob das Gesetz geändert werden müsste?
Meade: Ja, natürlich, es gibt viele Leute, die deswegen sauer sind, auch viele Medienhäuser. Sie haben gegenüber der (General-)Staatsanwaltschaft bestritten, dass sie gegen die Nachrichtensperre verstoßen haben, und angekündigt, dass sie gegen die Anklagen vorgehen werden. Viele Medienhäuser halten das Gesetz in diesen Zeiten für lächerlich. Das Problem könnte dadurch gelöst werden, dass Gerichte nur mit Berufsrichtern besetzt werden. Aber aus verschiedenen Gründen hat der Bundesstaat Victoria nicht die Möglichkeit, einen Prozess nur mit Berufsrichtern durchzuführen. In anderen Bundesstaaten haben Sie die Möglichkeit, auf die Jury zu verzichten und einen Prozess nur mit Berufsrichtern durchzuführen, was leichter zu kontrollieren ist.
Schmieding: Was glauben Sie, werden Journalisten dafür ins Gefängnis kommen?
Meade: Ich weiß es wirklich nicht. Der Richter war damals so wütend, dass er sogar gesagt hat, dass die Veröffentlichungen Druck auf das Gericht und den Richter ausgeübt hätten, eine andere Entscheidung zu treffen. Und es sei eine sehr ernsthafte und ungeheuerliche Verfehlung gewesen. Er wollte deswegen ein Exempel statuieren. Und wenn Sie sich seine Äußerungen ansehen: Klarer hätte er es nicht sagen können. Sicherlich werden nicht hundert Leute ins Gefängnis gehen. Es gab aber ein paar ernsthaftere Verfehlungen von Journalisten, die Titelgeschichten daraus gemacht haben, die sich Sorgen machen müssten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.