27. September 2009, der Abend der Bundestagswahl, die den Freien Demokraten 14,6 Prozent bescherte, ihren größten Wahlerfolg auf Bundesebene. FDP-Chef Guido Westerwelle war auf dem Gipfel seiner politischen Karriere:
"Wir wollen jetzt Deutschland mitregieren, weil wir dafür sorgen müssen, dass es ein faires Steuersystem gibt, bessere Bildungschancen und dass die Bürgerrechte endlich wieder respektiert werden!"
Westerwelle betrachtete das glänzende Wahlergebnis als seinen ganz persönlichen Erfolg, als Bestätigung der Botschaft, die er seiner Partei und der deutschen Öffentlichkeit seit Jahren immer wieder lautstark eingehämmert hatte:
"Macht die Mitte stark, dann wächst die Gerechtigkeit in diesem Land, meine Damen und Herren! Aber was ist eigentlich mit den Bürgern, die weniger als alles haben und mehr als nichts? Das ist die gekniffene Mitte der Gesellschaft, und für die steht nur noch die FDP ein!!"
Selten lagen Fall und Aufstieg eines Spitzenpolitikers näher beieinander
Nach der Bildung der Koalition mit der Union schien die Realisierung liberaler Politik möglich. Doch Deutschland wartete vergeblich auf das von Westerwelle versprochene niedrigere, einfachere und gerechtere Steuersystem, auf den großen Sprung nach vorn in der Bildungspolitik, auf die nachdrückliche Verteidigung der Bürgerrechte. Die FDP verlor rapide an Glaubwürdigkeit und stürzte in der Wählergunst ab, als zu den ersten Maßnahmen der schwarzgelben Koalition eine Steuersenkung für das Hotelgewerbe zählte – Klientelpolitik, schimpften die Kritiker.
Und einen Proteststurm löste Westerwelle aus, als er eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Höhe der Hartz IV-Regelsätze mit den Worten kommentierte, wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspreche, lade zu spätrömischer Dekadenz ein. Er verspielte damit in kürzester Zeit auch sein Ansehen als erster Außenminister und Vizekanzler, der sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Selten lagen Aufstieg und Fall eines Spitzenpolitikers näher beieinander als bei ihm, der nicht begreifen konnte oder wollte, dass unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in der ersten Großen Koalition mit der SPD das Soziale in der Marktwirtschaft achten gelernt hatte, die konsequente Umsetzung liberaler Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht mehr möglich war.
Westerwelle warb für eine deutsche "Kultur militärischer Zurückhaltung"
Es war die erstaunliche Fehleinschätzung eines Mannes, der sich schon früh der Politik verschrieben hatte. Schon 1980 war der am 27. Dezember 1961 in Bad Honnef geborene Westerwelle der FDP beigetreten, wo er als Schützling von Hans-Dietrich Genscher bald Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen wurde, 1994 Generalsekretär der Bundespartei und 1996 auch Bundestagsabgeordneter. 2001 löste er Wolfgang Gerhard an der Spitze der Partei, 2006 auch als Fraktionschef im Bundestag ab. Auch als Außenminister tat er sich schwer mit der Realpolitik.
Während er nicht müde wurde, für eine deutsche "Kultur militärischer Zurückhaltung" zu werben, wartete die Welt auf die Übernahme größerer internationaler Verantwortung des Wirtschaftsriesen Deutschland, reagierten die NATO-Verbündeten ungläubig, als Deutschland sich im März 2011 im UN-Sicherheitsrat an der Seite Russlands und Chinas der Stimme enthielt, als es um die militärische Unterstützung der Anti-Gaddafi-Kräfte in Libyen ging. Seine Partei verzieh ihm seine Fehler nicht.
Im April 2011 wurde er zum Verzicht auf den Parteivorsitz gedrängt und verlor auch das Amt des Vizekanzlers. Danach wurde es ruhiger um Guido Westerwelle. Ende 2013 sagte er nach der verlorenen Bundestagswahl gegenüber dem Deutschlandfunk:
"Ich habe viele Jahre in der Opposition gearbeitet und habe auch manchmal kräftig auf die Pauke gehauen. Aber jetzt nach bald vier Jahren Regierungsverantwortung kann ich Ihnen sagen, dass manches, was von draußen sich als so schlüssig und leicht darstellt, in Wahrheit viel komplizierter ist, viel mehr Abwägung braucht, viel genaueres Hinsehen, manchmal auch eine viel größere Vorsicht, bevor man sich öffentlich zu Wort meldet."
Doch war die FDP bereits erstmals in ihrer Geschichte aus dem Bundestag geflogen.