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Nachruf auf Peter Esterhazy
"Was hundert ist, bestimme ich"

Der Schriftsteller Peter Esterhazy galt als Meister der Ironie. Als Kind erlebte er tiefen Stalinismus, später fand Esterhazy heraus, dass sein eigener Vater Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes war. Nun ist der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels von 2004 im Alter von 66 Jahren gestorben.

Von Ralf Borchard |
    Schriftsteller Peter Esterhazy
    Der Schriftsteller Peter Esterhazy. Im Juni 2016 war er noch bei einem Buch-Festival in Budapest zu Gast (picture alliance/dpa/Foto: Zoltan Balogh)
    Peter Esterhazy galt als Meister der Ironie. Mit Sprach- und Fabulierlust spielte er mit Zitaten, verwob die Geschichte Mitteleuropas mit der seiner eigenen Adelsfamilie, beschrieb das Leben als Mosaik aus Episoden, die sich gegenseitig jagen und widersprechen. Esterhazy schrieb auf ungarisch, aber er sprach auch sehr gut deutsch.
    Es war eine Lust, ihm zuzuhören, etwa wenn er über sein Buch mit dem Titel sprach: "Die Mantel- Und-Degen-Version: einfache Geschichte Komma 100 Seiten" - alles andere als einfach zu lesen, und eigentlich mehr als 100 Seiten lang. Aber:
    "Was hundert ist, bestimme ich."
    Fünfmal gibt es im Buch die Seite 81, doch am Ende steht die Seite 100. Dahinter steckt eine Theorie:
    "Auf jeden Fall spricht Gott ungarisch"
    "…der zufolge die ungarische Geschichte auf dem sogenannten Stau-Prinzip basiert. Genauer gesagt: Dass die ungarische Zeit ist regelmäßig verstopft, aufgeschoben wird, gleichsam stehen bleibt, doch sich zumindest anstaut, und dabei den falschen Eindruck erweckt, dass nichts geschieht."
    Geboren 1950 in Budapest erlebte er als Kind tiefen Stalinismus, seine Eltern wurden als Klassenfeinde in ein Dorf verbannt. Später fand Esterhazy heraus, dass sein eigener Vater Spitzel des kommunistischen Geheimdienstes war – auch das verarbeitete er literarisch.
    Zum mehr als 30 Bücher umfassenden Werk, gut 20 davon ins Deutsche übersetzt, gehört auch "Deutschland im Strafraum", 2009 zum Fußballbuch des Jahres gekürt. Peter Esterhazy spielte selbst, sein Bruder Marton gar im ungarischen Nationalteam, seine eigenen Dribbelkünste erreichten vor allem literarisch Spitzenniveau:
    "Was den Roman betrifft, weil das ist das Ganze – und außer das Ganze gibt es gar nicht. Ja, die Ungarn mögen es glauben, dass der Gott selbst ein Ungar ist. Auf jeden Fall spricht er ungarisch."
    Die Weltliteratur verliert eine große Stimme
    Als junger Erwachsener hatte Esterhazy vor allem den sanften Gulaschkommunismus erlebt, den er, wenn überhaupt, entsprechend sanft kritisierte. Umso deutlicher stellte er sich gegen die rechtsnationale Regierung von Viktor Orban - wenn auch das fein ironisch:
    "Der Ministerpräsident konnte ohne Weiteres sagen, dass die Ungarn von Natur aus politically incorrect sind, politisch inkorrekt – kleine Pause – das bedeutet, dass sie normal denken."
    Peter Esterhazy, der 2004 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, machte vergangenen Oktober seine Krebskrankheit öffentlich. Wenige Monate zuvor hatte der Sprachkünstler mit den Worten zurück und nach vorn geblickt:
    "Ich lebe nicht radikal genug. Ich lebe, als erwarte mich ewiges Dasein und nicht völlige Vernichtung. Das heißt, ich lebe in der Knechtschaft meiner Zukunft und nicht in der unendlichen Freiheit meiner Sterblichkeit."
    Nun ist Peter Esterhazy im Alter von 66 Jahren gestorben. Die ungarisch- und deutschsprachige Literatur, ja die Weltliteratur, verliert eine große Stimme.