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Nachruf
Shoa-Regisseur Claude Lanzmann ist gestorben

Claude Lanzmann wollte mit seinen Filmen und Büchern die Vergangenheit wachhalten. Besonders sein Dokumentarfilm Shoa wurde zu einem beklemmenden Zeugnis über den Holocaust. In Alter von 92 Jahren ist der französische Regisseur und Autor nun gestorben.

Von Jürgen König |
    Der Regisseur Claude Lanzmann bekommt den "Goldenen Bären" 2013 verliehen, für seinen legendären Dokumentarfilm "Shoah".
    Regisseur Claude Lanzmann hat den "Goldenen Bären" 2013 verliehen, für seinen legendären Dokumentarfilm "Shoah" bekommen (RIA Nowosti / Ekaterina Chesnokova)
    92 Jahre wurde er alt - Claude Lanzmann, der viele Artikel geschrieben, viele Filme gedreht und produziert hat und dessen Name im öffentlichen Bewusstsein doch nur für einen einzigen Film steht: "Shoah". Mit diesem neunstündigen, mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm über den Holocaust fand Claude Lanzmann weltweite Anerkennung; in zwölf Jahren hatte er 350 Interviews für diesen Film geführt. 1985 sagte Claude Lanzmann dazu im Französischen Fernsehen:
    "Ich habe meine Gesprächspartner danach ausgesucht, ob sie in der Lage sind, beim Erzählen das, was sie erzählen, nachzuerleben. Dafür zahlt man einen sehr hohen Preis. Das ganze Leid kommt beim Erzählen wieder hoch."
    Mit diesem Stilmittel wollte Lanzmann den Film zu einem "ursprünglichen Ereignis" machen – und er ließ dabei auch die Täter zu Wort kommen: "Opfer und Peiniger, natürlich. Es ist das erste Mal seit 40 Jahren, dass sie reden. Und man sieht sie dabei."
    Auf Archivbilder verzichtete Claude Lanzmann; mit dieser damals äußerst ungewöhnlichen Stilistik gelang es ihm, den von den Nazis organisierten, systematischen Massenmord an den Juden für ein weltweites Publikum eindringlich nachvollziehbar zu machen; in Deutschland bildete dieser Film eine nachhaltige Grundlage für eine völlig neue Form von Erinnerungskultur.
    Er hat den ermordeten Juden Europas ein Denkmal gesetzt
    Seine Großeltern waren als jüdische Immigranten aus Osteuropa gekommen. Geboren 1925 in Paris, erlebte Claude Lanzmann schon als Gymnasiast den um sich greifenden Antisemitismus. Schnell kam er mit der Résistance in Berührung, an mehreren Partisanenkämpfen gegen deutsche Soldaten nahm er teil. In Paris und dem französisch besetzten Tübingen studierte Lanzmann Philosophie, wurde Leiter des neu gegründeten französischen Kulturzentrums in Berlin, arbeitete als Lektor an der Freien Universität Berlin, begann erste Artikel zu schreiben. Nach Frankreich zurückgekehrt, veröffentlichte er auch dort: Texte über "Deutschland hinter dem Eisernen Vorhang" brachten ihm die Bekanntschaft, bald auch die Freundschaft Jean-Paul Sartres und Simone de Beauvoirs ein. Er schrieb regelmäßig für ihre Zeitschrift "Les Temps modernes", wurde ihr Herausgeber, wurde eine feste Größe im französischen Geistesleben – und er wurde auch: ein Mittler zwischen Frankreich und Deutschland.
    Mit seinem Film "Shoah" habe Claude Lanzmann den ermordeten Juden Europas ein Grabmal und ein Denkmal gesetzt, sagte heute sein langjähriger Weggefährte Serge Klarsfeld:
    "Und er hat uns darüber hinaus ein geniales Werk hinterlassen, das die gesamte Erinnerung weiterträgt wie bei einem Roman von Primo Levi. Wenige Autoren sind darin auf dieser Höhe wie Claude Lanzmann. Und es wird schwer sein, ohne ihn zu leben, ohne den Glanz seiner Stimme, ohne den Glanz seines Schreibens - ein großer Verlust; mir war er ein großer Freund."
    Claude Lanzmann ist tot - seine Beisetzung dürfte ein Staatsakt werden.