„Natürlich will jeder, der politisch tätig ist, irgendwie Kanzler werden, Regierungschef, so wie jeder Zidane sein will oder früher Fritz Walter. Es wird‘s aber nicht jeder, das muss man auch wissen. Was mich treibt - es macht mir Freude", sagt der Fußballfan Wolfgang Schäuble.
Über all die Jahrzehnte ein Mann voller Ehrgeiz. Der Christdemokrat macht eine der außergewöhnlichsten bundesdeutschen Politiker-Karrieren. "Aber angepasst war ich nie.“ Dazu ist er ein Charakter mit zu vielen Ecken und Kanten.
"Das Amt ist sein Leben"
„Schäuble ist nicht einfach ein Politiker, er ist ein Stück deutsche Geschichte.“ So hat es der Spiegel einmal formuliert. Und Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung meint: „Dieser Wolfgang Schäuble ist ein Politiker, wie ich keinen anderen kenne. Es gibt niemand anderen mit dieser Erfahrung, es gibt niemand anderen mit dieser politischen Sozialisation. Das Amt ist sein Leben.“
Geboren wird Wolfgang Schäuble 1942 in Freiburg. Mehr als fünf Jahrzehnte sitzt er im Bundestag - so lange wie niemand sonst. Er gilt als Architekt der deutschen Einheit und steuert Deutschland durch die Finanzkrise. Doch Kanzler wird er nicht. Es sind nicht die Wähler, die ihn ausbremsen. Es ist der Mann, mit dem er über 20 Jahre lang eng zusammenarbeitet: Helmut Kohl.
Wichtigster Weggefährte Helmut Kohls
Von 1982 an – der Pfälzer ist gerade Bundeskanzler geworden – entwickelt sich Schäuble zum wichtigsten Weggefährten. Er wird Minister für besondere Aufgaben im Kanzleramt. Der ehemalige Focus-Chefredakteur und Schäuble-Biograph Ulrich Reitz:
„Seine Hauptaufgabe war natürlich dann die Koordinierung, jeweils an der Schnittstelle entweder zwischen dem Kanzleramt und den Ministerien oder zwischen dem Kanzleramt und den Fraktionen. Insofern war Schäuble immer der Organisierer der Mehrheit für Helmut Kohl.“
Schäuble handelt Einigungsvertrag mit der DDR aus
Als 1989 die Mauer fällt, ist Schäuble Innenminister. Er handelt den Einigungsvertrag mit der DDR aus. Zwei Möglichkeiten gibt es, um die beiden deutschen Staaten zusammenzuführen: Eine neue gesamtdeutsche Verfassung oder einen Beitritt der DDR nach westdeutschem Grundgesetz. Schäuble entscheidet sich für den Beitritt. Kohl folgt ihm ohne Zögern, sagt Ulrich Reitz.
„Kohl hatte zu dieser Zeit ein außerordentliches Vertrauen in seinen Deutschland-Manager, und deswegen konnte er sicher sein, dass Schäuble diesen richtigen Weg gehen würde. Außerdem darf man ja nicht vergessen, dass Schäuble ein Spitzenjurist war. Und als solcher wusste er natürlich ganz genau, was er tat bis in die letzten juristischen Feinheiten, insofern war das schon ein ausgeklügelter Plan, der zu diesem Weg geführt hat.“
Große, kluge Rolle in der deutschen Einheit
„Er war einer derjenigen, die die aus der DDR nicht von oben herab behandelt haben. In der deutschen Einheit hat er eine große, gute, kluge Rolle gespielt", bezeugt Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Allerdings läuft nicht alles so, wie Schäuble es sich ursprünglich gedacht hat.
„Ich wollte nicht, dass wir die ganze bundesdeutsche Rechtsordnung auf einen Schlag in der DDR einführen. Natürlich gab es gute Argumente dafür, um Gottes Willen. Das Totschlag-Argument war, willst du das sozialistische Unrecht fortführen? Der Genscher hat gesagt: Ein Volk, ein Staat, eine Rechtsordnung. Es ist dann so gekommen, weil sie den Lothar de Maizière umgedreht haben aus Gründen, die ich bis heute nicht genau weiß. Da schweigt er, obwohl wir gut befreundet sind."
Mit Lothar de Maizière, dem ersten und letzten frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR, feilt Schäuble am Einigungsvertrag. Die Bürger müssen noch in einer gesamtdeutschen Wahl darüber abstimmen.
Nach einem Anschlag auf den Rollstuhl angewiesen
Da verändert sich das Leben Wolfgang Schäubles dramatisch. Während einer Wahlkampfveranstaltung im baden-württembergischen Oppenau schießt ein psychisch kranker Mann den damals 48 Jahre alten Innenminister nieder. Seit Oktober 1990 ist er gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Wolfgang Schäubles Karriere scheint beendet. Doch sechs Wochen später stürzt er sich wieder in die Arbeit.
„Ich bin mehr so ein Mensch, der sagt, es ist, wie es ist. Das ist ja inzwischen ein geflügeltes Wort in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es entspricht allerdings dem, was alle, die mit der Rehabilitation von Querschnittsgelähmten zu tun haben, sagen: Akzeptiere, dass es so ist, und mache das Beste draus und versuche nicht, einer Schimäre nachzulaufen. Man kann im Rollstuhl leben.“
Politik als Therapie
„Er kann nicht leben ohne Politik, und ich glaube das auch. Das Leben im Rollstuhl ist für ihn nur erträglich, indem er Politik eben machen darf, machen kann, weitermachen darf.“
Für Schäuble sei Politik Therapie, sagt Hans Peter Schütz. Der Stern-Journalist, der 2021 verstorben ist, hat Schäubles politischen Lebensweg journalistisch begleitet und ist Zeuge des Attentats gewesen.
Helmut Kohl stellt seinen Kronprinzen ruhig
Wolfgang Schäuble, zu diesem Zeitpunkt Fraktionschef, will Helmut Kohl beerben. 1998 steht die nächste Bundestagswahl an. Kohl wirkt müde, die Prognosen sehen nicht gut aus für ihn. Auf dem Leipziger CDU-Parteitag 1997 erwarten deshalb viele das erlösende Signal. Hans Peter Schütz hat das Treffen damals beobachtet.
„Schäuble hatte ja eine wunderbare Rede gehalten, die Partei war begeistert. Da hat Wolfgang Schäuble schon auch selbst gedacht, dass er jetzt nun wirklich von Helmut Kohl zum Nachfolger ausgerufen wird. Das hat Kohl dann auch gemacht, und zwar nach dem Parteitag in einem Interview, aber allein mit der Absicht, ihn sozusagen als seinen Kronprinzen ruhig zu stellen und noch mal vier Jahre dranzuhängen, selbst dranzuhängen. Also, das sind natürlich schon Methoden, da muss man schon dafür gestrickt sein.“
Das schwierige Verhältnis zu Helmut Kohl
„Ich habe zu jedem Zeitpunkt gesagt, dass ich Wolfgang Schäuble für eine unserer größten Begabungen halte, und ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, wen ich mir als Nachfolger wünsche.“
Aber Helmut Kohl will es noch einmal wissen. Das Verhältnis der beiden verkrampft deutlich. Biograph Ulrich Reitz: "Schäuble hat es immer so interpretiert, dass Kohl sein Wort nicht gehalten habe. Wer Schäuble und seine Persönlichkeit kennt, der weiß, dass das einer der schlimmsten Vorwürfe ist, die man jemandem gegenüber erheben kann. Befreundet im persönlichen Sinne waren die beiden übrigens nie.“
"Helmut, lass' das"
Im Jahr 2015, nicht ganz zwei Jahrzehnte später, sagt Schäuble in einer ARD-Dokumentation, Kohl habe ihm mehrfach bestätigt, sein Nachfolger zu werden.
„Und ich habe immer gesagt: Helmut, lass das, weil ich wusste – was ich ihm nie übel genommen habe, bis heute nicht –, er wird freiwillig nicht aufhören.“
Schäuble überlässt es 1998 den Wählern, der Ära Kohl ein Ende zu setzen. Rot-Grün regiert fortan. Schäuble bleibt Fraktionschef und erbt zusätzlich den Parteivorsitz von Kohl.
Im Strudel der Spendenaffäre
In dieser ohnehin schwierigen Phase wird 1999 bekannt, dass die CDU jahrelang schwarze Kassen geführt hat. Kohl weigert sich, die Namen seiner Geldgeber preiszugeben und stürzt seine Partei in ihre tiefste Krise.
Dann gerät Schäuble selbst mit in den Strudel der Spendenaffäre. Während einer Bundestagssitzung verneint er, vom Waffenlobbyisten Karl-Heinz Schreiber Geld erhalten zu haben. Später muss er sich korrigieren.
„Ich habe andere Fehler nicht büßen müssen, den habe ich unverhältnismäßig büßen müssen, aber wenn mir einer kommt und sagt, ich hätte mich unehrenhaft verhalten in dieser Geschichte, kriegt er Ärger.“
„Das war ein glasklarer Fehler von Wolfgang Schäuble, den aber auch Helmut Kohl kühl ausgespielt hat. Das ist ja mittlerweile bekannt, wie das gelaufen ist damals. Mit dieser 100.000-Mark-Spende hat Kohl Schäuble unter Druck gesetzt und letztendlich ihm signalisiert, dass er keine Zustimmung mehr haben würde und ihm damit ein Stück weit auch den Boden entzogen.“
„Ich habe es in der Rückschau verstanden, er wollte mir drohen.“
Von Kohl politisch erledigt
Hans Peter Schütz vom Stern vermutet, der Altkanzler habe Schäubles Fehltritt nach außen sickern lassen. „Der war der Treueste der Treuen, aber auch ihn hat er am Ende eigentlich, ja ich kann es eigentlich nur so sagen, politisch erledigt.“
Kohls einstiger loyaler Weggefährte muss als Fraktions- und Parteivorsitzender zurücktreten. Ein schmerzhafter Schritt.
"Ich fühle mich im Augenblick als Opfer von Machenschaften, deren Ursache und deren Urheber ich nicht wirklich erkennen kann. Das ist wirklich ein ungeheurer Vorgang, dass mir unterstellt wird, ich hätte das Geld nicht an die Schatzmeisterei weitergegeben."
Üble Affäre mit kriminellen Zügen
15 Jahre später äußert sich Schäuble gegenüber der ARD noch einmal zu den Umständen des CDU-Spendenskandals. „Es war eine üble Affäre mit kriminellen Zügen.“
Auf die Frage, wer denn damals Kohls berüchtigte anonyme Spender gewesen seien, entgegnet er, was er früher bereits einmal vage angedeutet hatte: „Es gibt keine, weil es aus der Zeit von Flick schwarze Kassen gab. Vielleicht gibt es auch Spender.“
Sollte heißen: Kohl habe die anonymen Spender nur vorgeschoben, um nicht zugeben zu müssen, dass das Schwarzgeld der CDU noch aus den Zeiten des Flick-Skandals von 1981 stammte. Doch konkret will Schäuble an der Stelle nicht werden. Die Verbindung zu Helmut Kohl jedenfalls – für immer gestört.
„Die ist beendet, und deswegen leide ich daran auch nicht, das ist erledigt. Das Menschliche, Persönliche ist beendet, und das Politische bleibt. Das war eine wichtige Beziehung, jedenfalls für mich, vielleicht für ihn nicht, aber das ist sein Problem. Aber ich habe nicht die Absicht, mich dazu öffentlich zu äußern.“
Einer der wichtigsten Minister unter Merkel
Als Schäuble dies sagt, bestimmt längst Angela Merkel, einst seine Generalsekretärin, den Kurs der CDU – als Parteichefin und Kanzlerin. In Merkels Koalitionen ist er stets einer der wichtigsten Minister. Doch sein Verhältnis zur Kanzlerin bleibt kompliziert. Sie hat ihn nicht Fraktionschef werden lassen und auch nicht Regierenden Bürgermeister von Berlin. Außerdem, so Stern-Journalist Hans Peter Schütz:
„Das Spiel, was sie mit ihm gemacht hat, als es um die Bundespräsidentschaft ging, als für sie ganz offensichtlich schon länger klar war, dass es Herr Köhler wird, und sie trotzdem den Wolfgang Schäuble im Spiel gehalten hat: Das war natürlich auch ein Meisterstück von ihr, wenn man das so sagen will. Wolfgang Schäuble hat das vermutlich auch nur sehr, sehr schwer, ja, geschluckt.“
Als Innenminister der Hardliner
„Angela Merkel hat nie gesagt, dass sie mich unterstützt, sondern sie hat gesagt, sie muss gucken, ob das geht. So weit war das auch in Ordnung – oder auch nicht.“
Über viele Jahre hängt Schäuble als Innenminister das Image des Hardliners an. Das Erstaunen darüber, dass Merkel ihn 2009 zu ihrem Finanzminister macht, währt nur kurz. Dazu meint Wolfgang Bosbach, lange Schäubles Stellvertreter als Unions-Fraktionschef und politischer Wegbegleiter:
„Dass die beiden freundschaftlich miteinander verbunden sind, würden sie wahrscheinlich selber nicht behaupten. Das muss auch nicht sein. Entscheidend ist, dass gerade in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise und der Notwendigkeit deren Bewältigung, Angela Merkel auf dem Schlüsselressort Finanzen einen Minister hat, der erfahren ist, der kompetent ist, der durchsetzungsstark ist, und 100 Prozent loyal.“
Wieder nur die Nummer zwei
Wieder ordnet sich Wolfgang Schäuble als die Nummer zwei unter. Er ist gefordert wie selten zuvor und äußert gegenüber der Bild am Sonntag: „Die Finanzkrise wird die Welt so stark verändern wie der Fall der Mauer."
Griechenland ist pleite, der Euro taumelt. Die Krisengipfel in Europa häufen sich. Milliardenschwere Rettungspakete werden geschnürt, doch durchgreifende Präventionsmaßnahmen sind zunächst nicht in Sicht. Schäubles Krisenmanagement in dieser Phase enttäuscht vor allem die eigenen Parteifreunde. Im Jahr 2010 ist er gesundheitlich angeschlagen, lässt aber – typisch Schäuble – vom Krankenbett ausrichten: „Nachrichten über mein Ableben sind verfrüht.“
Späte Genugtuung als Chefminister
Dennoch denkt er selbst an einen Rücktritt in dieser Zeit. Kanzlerin Angela Merkel versichert ihm aber mehrfach, er solle im Amt bleiben. Schäuble rechnet ihr das hoch an. Er kämpft sich zurück und wird zum unangefochtenen Chefminister. Eine Genugtuung für den Mann, der es auch ihretwegen nicht ins Kanzleramt geschafft hat. Jetzt will er die Wirtschaftskrise bewältigen, die Staatsfinanzen in Ordnung bringen und den Euro retten.
2012 wird er in Aachen mit dem Karlspreis geehrt. Laudator Jean-Claude Juncker, damals Eurogruppenchef, hebt die Verdienste Schäubles hervor: „Er schindet sich, er bemüht sich, er kämpft für diese einheitliche europäische Währung, weil er weiß, dass der Euro die eigentliche Antwort auf die Globalisierung im 21. Jahrhundert ist. Der Euro ist für Wolfgang Schäuble ein politisches Projekt.“
Finanzminister mit enormem Einfluss
Kein anderer europäischer Finanzminister besitzt so viel Einfluss wie er. Die Euro-Krise hat ihn auf den Höhepunkt seiner Macht befördert. Banken- und Fiskalunion, Europäischer Währungsfonds, Schuldenbremse und Euro-Stabilitätspakt – nicht immer ist Schäuble mit Angela Merkel einer Meinung, doch die große Linie stimmt da noch zwischen den beiden.
Nebenbei verkündet Schäuble im Deutschen Bundestag: „Wir schaffen zum ersten Mal wieder einen Haushalt für den Bund ohne neue Schulden.“
Dieses Ziel rückt für Griechenland in immer weitere Ferne. Die Lage verschlechtert sich dort sogar deutlich. Und viele in Europa sagen, die Deutschen seien dafür verantwortlich. Schuld sei der Sparwahn des Finanzministers Wolfgang Schäuble. 2015, auf dem Höhepunkt der griechischen Dauerkrise, droht die Situation aus dem Ruder zu laufen.
„Am 28. - 24.00 Uhr isch over.“
Es geht wieder um ein Hilfspaket für Athen und drastische Reformen im Gegenzug. Doch die neue Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras reagiert nicht so, wie die europäischen Partner das erwarten. Schäuble empört sich im Deutschen Bundestag:
„Eine Währungsunion, in der ein Partner sagt, es interessiert mich alles nicht, ich mache nichts, und ich halte mich an nichts, was vereinbart worden ist, kann nicht funktionieren.“
Durch die Eurokrise zum Buhmann
Vor allem mit dem damaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis gerät der Deutsche immer wieder aneinander. In internen Ministerrunden spricht Wolfgang Schäuble den Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone an. Den „Grexit“ will Angela Merkel aber unbedingt verhindern. Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Kanzlerin und ihr Finanzminister in Brüssel nicht mehr die gleiche Strategie fahren, um Griechenland zu retten. Und Yanis Varoufakis hat das erkannt.
„Ich sagte ihm, Wolfgang, Du hast überhaupt kein Mandat für einen Grexit.“ Die Griechen lehnen die Sparauflagen ab. Viele lassen ihre Wut und Verzweiflung am deutschen Finanzminister aus.
„Dass man in dieser Rolle, die ich als Finanzminister habe und die ich wahrnehmen muss, dann eben zum Buhmann gemacht wird, und dass man einen Deutschen mit Hakenkreuz darstellt, wenn man demagogisch ist, das ist auch nicht sehr originell.“
Eine schwere Zeit für Schäuble. Sein Vorschlag eines „Grexit auf Zeit“ erntet Kritik – von den Franzosen, von den Amerikanern und von der Opposition im Deutschen Bundestag. Die Linke fährt schweres Geschütz auf. Gregor Gysi: „Herr Schäuble, es tut mir leid, aber Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören.“ Schäuble deutet an, er könne auch zurücktreten.
„Wenn man nicht zu einer gemeinsamen Position gilt (gemeint: kommt), dann ist klar, dass der Regierungschef, der oder die Bundeskanzlerin, so ganz abstrakt, das ist so, dann halt gilt. Und wenn ein Minister das nicht will, dann ist es wiederum so, auch das ist geregelt, dass man gegen seinen eigenen Willen nicht gezwungen ist, Minister zu sein.“
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung meint dazu: „Dann müsse er halt gehen und müsse die Entlassungsurkunde entgegen nehmen. Ich glaube, dass ist für einen Wolfgang Schäuble kaum vorstellbar. Er war immer jemand, der dann, wenn es entscheidend wurde, sich der Autorität des Kanzlers gebeugt hat. Das war bei Helmut Kohl so und das ist bei Angela Merkel so.“
Warum Schäuble die letzte Konsequenz nie gezogen hat, begründet Biograph Ulrich Reitz so:
„Also ein Überzeugungstäter ist Wolfgang Schäuble nie gewesen, jedenfalls nicht im Tagesgeschäft. Das heißt aber nicht, dass er nicht wesentliche Überzeugungen hatte. Schäuble war der beste Schattenkanzler, den Deutschland je hatte.“
„Er ist ein großer Europäer, er ist ein Intellektueller, er ist einer, der auch führen will und seine Vorstellungen von Europa und der stabilen Währung durchsetzen wollte. Aber er hat sich, denke ich, in der Eurokrise vergaloppiert, und viele der europäischen Nachbarn wieder dazu verleitet, vom bösen Deutschen und vom herrischen Deutschen zu reden. Das war ein Fehler. Ich glaube, hier hat er sich im Habitus, im Stil, in der Art und Weise verkalkuliert und deswegen hat ihn die Kanzlerin letztendlich zurückgepfiffen, und er hat sich dieses Zurückpfeifen gefallen lassen.“
Im Bundestag wirbt Schäuble letztlich für die Position der Bundeskanzlerin: Griechenland solle in der Währungsunion bleiben. Er fügt sich.
Viel Anerkennung als Bundestagspräsident
Nach den Bundestagswahlen 2017 bekleidet er vier Jahre lang das Amt des Bundestagspräsidenten. Schäuble leitet die Parlamentssitzungen, gibt dem Haus Stimme und Gesicht und erfährt in dieser Rolle viel Anerkennung. Bei der Bundestagswahl 2021 gewinnt er erneut seinen Wahlkreis Offenburg, er wird zum 14. Mal direkt ins Parlament gewählt.
Und auch wenn Wolfgang Schäuble nie Kanzler geworden ist – ihm ist es gelungen, der deutschen und europäischen Politik über Jahrzehnte hinweg seine Handschrift zu verleihen.
(*) Wir haben eine falsche Bildunterschrift korrigiert.