Hier gibt es mehr Schafe als Menschen. Brecon und Radnorshire, der Wahlkreis in Wales, zählt gerade einmal 70.000 Einwohner. Kleine Städte und Dörfer, eingepasst in eine saftig grüne und hügelige Landschaft. Wer nicht von Schafen lebt, betreibt ein Bed&Breakfast. Tourismus und Landwirtschaft prägen die Region. Eine britische Idylle, auf die heute das ganze Land schaut: Es ist Boris Johnsons erste Feuerprobe bei den Wählern. Nur eine Woche nach Amtsantritt des neuen Premierministers wird sich zeigen: gibt es den "Boris Bounce", den Sprung nach oben in der Wählergunst für seine konservativen Tories? Oder wird er seine erste empfindliche Schlappe einfahren? Die Frau, die für letzteres sorgen könnte, heißt Jane Dodds, Chefin der walisischen Liberaldemokraten und Kandidatin mit klarer Anti-Johnson-Agenda:
"Für mich steht außer Frage, dass ein No-Deal-Brexit vom Tisch muss. Vor allem wegen der Folgen für die Bauern, für die Landwirtschaft, die hier in Brecon und Radnorshire einen großen Teil unserer Wirtschaft ausmacht."
Notschlachtungen bei ungeordnetem Brexit
Jane Dodds weiß die richtigen Knöpfe zu drücken. Viele Waliser, die vor drei Jahren noch mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben, sehen jetzt die Folgen ihrer Entscheidung immer klarer: 80 Prozent der Einnahmen in der hiesigen Landwirtschaft kommen derzeit noch aus Brüssel. Und gerade das Geschäft mit den Schafen würde bei einem ungeordneten Austritt à la Johnson sofort zum Erliegen kommen. Hohe Zölle drohen dann von einem Tag auf den anderen. Zehntausende Tiere, so warnt der Schafzüchterverband erst Anfang der Woche, müssten notgeschlachtet werden.
Der liberalen Politikerin ist aber auch etwas anderes gelungen, das Modell werden könnte für das ganze Land: eine Anti-Brexit-Allianz zu schmieden. Grüne und die walisischen Nationalisten Pleid Cymru haben auf eigene Kandidaten verzichtet und unterstützen Dodds. Für den konservativen Amtsinhaber Chris Davies ist das keine gute Ausgangslage. Dazu kommt, dass die Wähler seinetwegen erneut an die Urne müssen. Der Tory-Politiker war wegen Rechnungsbetruges verurteilt worden. In einer Volksinitiative sprach ihm ein nötiges Quorum der Wähler das Misstrauen aus, weswegen jetzt neu gewählt werden muss. Die Tories haben sich dennoch entschieden, noch einmal mit Davis ins Rennen zu gehen. Ein überzeugter Brexiteer, der im Zweifel, wie sein neuer Parteichef und Premierminister Johnson auch ohne Deal aus der EU austreten will.
"Wir sollten keine Angst haben vor einem No-deal. Und wir sollten definitiv die Option nicht vom Tisch nehmen, auch ohne Abkommen mit Brüssel aus der EU auszutreten", sagt der Konservative.
Brexit-Partei muss Federn lassen
Die Tories könnten mit dem Kurswechsel hin zum "Brexit ohne Wenn und Aber" auf den letzten Metern punkten bei der Nachwahl in Wales. Zulasten der Brexit Party von Nigel Farage. Sie war noch bei der Europawahl in dem Wahlkreis stärkste Kraft geworden. Landesweite Umfragen zeigen aber, dass sie Federn lassen muss, seitdem Johnson Premier ist. Für die liberale Favoritin könnte es also noch einmal eng werden, wenn die Tories – so wie von Johnson geplant – wieder zur Brexit-Partei Nummer eins werden sollten in Großbritannien. Möglicherweise aber auch, weil ihr der Kandidat der Labour Party wichtige Stimmen nehmen wird. Labour, in dem Wahlkreis seit Thatchers Zeiten chancenlos, hat sich nicht der Anti-Brexit Allianz anschließen wollen.
Labour Kandidat Tom Davis setzt auf andere Inhalte als den Brexit: Labour stehe eindeutig gegen die Sparpolitik. Damit wolle man punkten. Zumindest in Brecon und Radnorshire scheint diese Strategie kaum aufzugehen. Umfragen prognostizieren dem Labour-Mann einen abgeschlagenen vierten Platz.