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Jugend trainiert für Paralympics
„Wir fahren nach Berlin!“

Berlin ist ab dem 17.9. für vier Tage „Hauptstadt des Schulsports“. Auch das U16-Leichtathletikteam des Mecklenburgischen Förderzentrums Schwerin ist mit körperlich und motorisch beeinträchtigten Kindern dabei.

Von Silke Hasselmann |
Start eines Rennens in der Leichtathletik.
Nachwuchs für den Para-Sport: Finalwettbewerbe von Jugend trainiert für Paralympics. (Bild von 2011) (imago sportfotodienst / imago sportfotodienst)
Till Bamberg ist auf dem Weg vom Lehrerzimmer zur Turnhalle im Mecklenburgischen Förderzentrum Schwerin: "Wir haben heute circa 180 Schüler hier…“ Ein schönes Schulgebäude, freut er sich, weil komplett ebenerdig und mit rollstuhlgerechten Fluren versehen. „Na ihr? Wo ist der Rest der Bande?“, fragt Sportlehrer Bamberg jene acht Mädchen und Jungen, die bereits von seinem Kollegen Lutz Hoffmann auf die heutige Trainingseinheit eingestimmt werden: Startübung für den 100-Meter-Lauf:
„…und gehen dann sofort nachher noch mal auf die Weitsprunggrube. Die Werte von der letzten Woche habe ich noch, die von euren Anläufen, dass wir die noch mal ausprobieren…“ Till Bamberg berichtet derweil erkennbar stolz, dass sich seine Schweriner Schüler zuvor bei der Landesmeisterschaft gegen die Mannschaften der beiden anderen Körperbehindertenschulen Neubrandenburg und Rostock durchsetzen konnten und sich somit für Berlin qualifiziert haben. Dass am heutigen Trainingstag zwei Schüler entschuldigt fehlen – kein Problem. Hauptsache, sie sind ab Sonntag in Berlin dabei.

Von Cerebralparese bis Diabetes Typ I vieles dabei

„Wir machen immer einmal im Jahr das Landesfinale in Rostock, und dieses Mal haben wir es endlich geschafft. Wir hatten ja auch schon letztes Jahr fast gewonnen, aber da fehlte uns leider ein Sportler. Es sind immer zehn, und wenn dann einer fehlt, fehlen dann Punkte. Ja, und jetzt fahren wir zum Bundesfinale nach Berlin! Da habe ich gestern die Nachricht bekommen, dass elf Schulen inklusive unsere dort vertreten sind. Also zehn weitere aus anderen Bundesländern.“
Lutz Hoffmann: "Herrschaften, muss ich noch was zum Erwärmen sagen? Anfangen schön locker. Wirklich locker! Hopserlauf - los geht´s!" Die beiden Sportlehrer erklären den aufgeregten Jugendlichen immer wieder mit einer Mischung aus Humor, klarer Ansprache und verständnisvoller Geduld, worauf sie achten müssen. Nicht immer ist deren körperliche oder motorische Behinderung augenfällig. Von Cerebralparese bis Diabetes Typ I sei vieles dabei, sagt Till Bamberg.
„Also ich persönlich benutze das Wort Behinderung nicht, weil: Diese Beeinträchtigung zu haben, hindert einen ja nicht am Leben teilzunehmen. Da ist unser Ziel, sie darauf vorzubereiten, dass sie selbstbewusst aus der Schule rausgehen und sagen:'Ja, ich habe zwar was. Aber ist egal; ich werde trotzdem ein ganz normales Leben führen können.' Und auch diese sportlichen Sachen, aber nicht nur die sportlichen Geschichten, können dazu führen, dass sie einfach dieses Selbstbewusstsein kriegen.“

Premiere für fast alle

Derweil stellt Marie aus der 9 c den Startblock auf der Tartanbahn so ein, dass er zu ihrer Körpergröße und Beinlänge passt. Schließlich will auch sie im Berliner Mommsen-Stadion möglichst schnell in den 100-Meter-Lauf kommen. Für alle im Schweriner Leichtathletikteam wird dieses Herbstbundesfinale eine Premiere sein. Außer für Marie. Die hat beim diesjährigen Frühjahrsfinale bereits in der Rollstuhl-Basketballmannschaft gespielt:
„Ich bin Marie Reinhardt. Bei mir ist der zweite; ich war schon mal mit Rollstuhlbasketball da.“
Reporterin: „Wie habt ihr da abgeschnitten?“
Marie: „Erster Platz!“
Reporterin: „Im Bundesfinale Erster geworden?“
Marie: „Ja! Gegen Köln.“
Reporterin: „Dann weißt du als Einzige hier im Team schon so ein bisschen, wie das da läuft, oder?“
Marie: „Ja!“
Reporterin: „Und freust dich darauf, noch mal mitzumachen, diesmal Leichtathletik?
Marie: „Ja. Bei mir ist das Schwerste Ausdauer und das Beste Kugelstoßen.“
Und weiter geht es zum Weitwurftraining für das U16-Team aus Schwerin. Till Bamberg: „In Berlin habt ihr drei Versuche frei und einen Probewurf. Das hier ist die Abwurflinie…“ Jonas muss noch auf den Anlauf verzichten; leicht verdrehtes Knie. Also: Wurf aus dem Stand.
 Reporterin: „Welche Weite hast du eben geworfen?“
Jonas: "45 Meter.“
Reporterin: „Bestleistung oder bist du schon noch weiter gekommen?“
Jonas: „Noch weiter. 52 Meter war mein Rekord jetzt. Also, ich mache noch Weitsprung, 100-Meter-Lauf und den 800-Meter-Lauf mit.“

Vor dem Wettkampf gemeinsames Trainingslager

Emma hat mit ihrem versteiften Rücken deutlich größere Probleme, den Ball geradeaus zu werfen. Doch letztlich sei die Platzierung in Berlin unerheblich, sagt Till Bamberg. Wichtiger sei ihm zu sehen, dass alle ihr Bestes geben, um sich zu verbessern. Wichtig natürlich auch: das Gemeinschaftserlebnis und Fairness:
"Wir machen das immer so: Alle drei Schulen mit der Truppe von den Leichtathleten treffen sich einmal im Jahr in der Sportschule in Güstrow für drei, vier Tage. Wir machen ein Trainingslager, wo wir einfach alle gemeinsam – und das ist eigentlich auch das Schöne - alle gemeinsam zusammensitzen, alles Mögliche trainieren, auch mal schöne Sachen machen. In den Naturpark gehen oder sonst irgendetwas. Sie hocken wirklich alle zusammen.“ erzählt der Schweriner Sonderschulpädagoge und Sportlehrer über das in Mecklenburg-Vorpommern bereits traditionelle Trainingslager vor dem Landesentscheid.
„Und gleichzeitig eine Woche später kämpfen wir gegeneinander. Aber da ist keiner irgendwie neidisch auf den anderen. Sie feuern sich an. Also in Rostock war es jetzt zum Beispiel so, dass wirklich alle drei Schulen gemeinsam alle Läufer angefeuert haben. Das war ganz schön zu sehen.“
Und so wird es auch in Berlin sein, wenn die Schweriner Leichtathleten in ihren lichtblauen Trikots samt Schullogo auflaufen. Nur mit sehr viel mehr Kindern und Jugendlichen aus den besten Schulsportteams ihrer Bundesländer, zumal die paralympischen Wettkämpfe gleichzeitig an denselben Wettkampfstätten stattfinden, wie die Finals von „Jugend trainiert für Olympia“.