Es ist ein kein angenehmer Job, den Marc Dessel-Scheriau im Dienst einer großen Sache erledigen muss. Er ist Koordinator Spielbetrieb im Jugendausschuss des Fußballkreises Hochsauerland und damit einer der vielen engagierten Menschen, der die vom Deutschen Fußballbund im fernen Frankfurt beschlossene Reform des Kinder- und Jugendfußballs an der Basis verkaufen müssen.
Teil 6 - Abschluss der Serie zur Reform
In den Diskussionen, die Dessel-Scheriau führt, höre er "eigentlich immer das Gleiche: Wir spielen das nicht so, wir wollen das nicht. Die Kinder haben keinen Spaß daran. Die Kinder möchten das nicht. Wir haben einen total starken Einzelspieler, der geht dann unter, das kann ja auch nicht sein. Und dann natürlich ein großes Argument: Ja, der Aki Watzke aus Dortmund hat ja auch dagegengesprochen. Und wenn der das schon sagt, dann muss ja was dran sein."
Trainer weigerten sich, neue Wettkampfformen umzusetzen
Im Hochsauerlandkreis wurde ein kompletter Spieltag der F-Jugendlichen abgesagt, weil etliche Trainer sich geweigert haben, die kleineren Wettkampfformen umzusetzen. Dabei ist wissenschaftlich erwiesen, dass diese Spielformate allen Kindern mehr Einsatzzeit, mehr Ballaktionen, mehr Erfolgserlebnisse und damit die besseren Entwicklungschancen bieten. Doch in einer großen, schwerfälligen Fußballnation wie Deutschland ist es schwierig, tief eingeschliffene Gewohnheiten und Vorstellungen zu ändern.
Und das liegt nicht zuletzt an den Strukturen: Der Alltag im Kinderfußball an der Basis wird in weiten Teilen von Eltern gestaltet, die im Training reproduzieren, was sie selber früher als Spieler erlebt haben. Seit drei Jahren ist nun bekannt, dass der Wettkampfbetrieb umgestaltet und das Training modernisiert wird. Es gibt überall Informationsveranstaltungen und Fortbildungsmaßnahmen, aber ,"die Resonanz war halt eher schleppend, sag ich mal. Wir haben den Vereinen E-Mails geschrieben. Denkt dran, wir machen eine Schulung, bitte nehmt teil. Aber es kam halt wenig Resonanz zurück", berichtet Dessel-Scheriau.
Eltern in Klubs nicht eingebunden
Hier liegt ein Grundproblem der Revolution, die in ähnlicher Form in vielen anderen Ländern längst umgesetzt ist. Kinder- und Jugendfußball ist in Deutschland auch deshalb so kostengünstig und niederschwellig, weil Eltern viel ehrenamtliche Arbeit verrichten. Oft trainieren sie die Mannschaften mit den eigenen Kindern nur deshalb, weil es keinen anderen oder keine andere gibt.
Der ehemalige Hockeynationaltrainer Bernhard Peters kennt diese Schwäche im System. Er saß in den Nullerjahren in einem Kompetenzteam beim Deutschen Fußball-Bund und bekleidete später im Fußball Direktorenposten bei der TSG Hoffenheim sowie dem Hamburger SV. Das Problem bestehe darin, "dass diese Eltern, die oft das Training übernehmen, formal gar nicht richtig eingebunden sind in die Klubs. Die Klubs haben wiederum keine Ressourcen, wirklich ständig in der Richtung Fortbildungen anzubieten, sie haben auch selber oft gar nicht die Kompetenzen dazu, wie man bedürfnisgerecht Kindertraining inhaltlich anbietet. Und da ist dann die Ursache zu sehen, weil diese Klientel, dieser sehr engagierten Eltern ja auch ständig wechselt."
Dieser Umstand ist ein Grund für die Stagnation der vergangenen Jahrzehnte, obgleich eigentlich lange bekannt ist, wie Kinder das Spiel besser lernen können. Peters hat beim DFB unter dem damaligen Sportdirektor Matthias Sammer im Nachgang der WM 2006 versucht, die im Hockey bereits verbreitete kleine Spielform Funino, im Fußball zu etablieren. Und scheiterte nicht zuletzt an den Strukturen.
Peters bemängelt "keine klare Richtlinie"
"Das ist ja das Problem des Föderalismus generell, dass der DFB immer sagt, dass er für diese Altersklassen – was ja formal auch richtig ist – kein Zugriffsrecht hat. Und es gab keine klare Richtlinie durch den Dachverband, wie es ihn beispielsweise in dem Geburtsland von Matthias Sammer gab: in der DDR."
Nach Sammers Jahren beim DFB zwischen 2006 und 2012 folgte auch ohne Reform eine Zeit, in der Deutschlands Spitzenfußball sehr erfolgreich war, was den Erneuerungsdruck reduzierte. Außerdem wurde zunehmend über taktisch-strategische Aspekte des Spiels gesprochen. TV-Experten wie Jürgen Klopp und die Jahre von Pep Guardiola beim FC Bayern haben das Nachdenken über Fußball verändert.
Für den Kinderfußball war das eher schädlich, sagt Peters, der heute Führungskräfte für verschiedene Positionen in Spielsportarten ausbildet: "Kindertraining darf nie ein reduziertes Abbild vom Erwachsenentraining sein. Aber durch diese immens erfolgreichen Vorbilder wie Guardiola, der sicher eine Menge Positives auch in seiner Bayern-Zeit auch hier in Deutschland bewegt hat, gab es immer wieder die Tendenzen, alle diese Dinge sehr intensiv zu kopieren in den Kinderbereich. Und das war der Sache sicher nicht zuträglich. Wenn Kinder die gleichen Rondos spielen wie Guardiola die bis zum Abwinken gemacht hat."
Schon kleine Kinder lernen Pressingstrategien
Die Orientierung am medial in großer Tiefe dargestellten Erwachsenenfußball führt dazu, dass schon kleine Kinder taktische Vorgehensweisen wie die richtige Pressingstrategie lernen. Das erhöht zwar die Siegchancen in einzelnen Spielen, bremst aber die Entwicklung von Ballfertigkeit und Kreativität.
Von solchen Denkmustern sollen die Kindertrainerinnern und -trainer, die Jugendleiter und die ehrenamtlichen Funktionäre sich jetzt verabschieden. Es kann niemanden verwundern, dass das zu Konflikten führt. So erzählt Spielbetriebskoordinator Marc Dessel-Scheriau aus dem Sauerland von einem Staffelleiter, der für die Reform kämpft. Der "hat diese Saison erst angefangen, ganz neu. Und der wurde in seinem eigenen Verein, der ist selber F-Jugendtrainer, ein bisschen runtergemacht und hat dann seinem Verein die Brocken hingeschmissen, weil er das immer machen wollte. Und der ist jetzt auch kein Staffelleiter mehr, weil der Druck einfach zu hoch wurde für ihn."
Das mag ein Einzelfall sein, klar ist aber, dass viel Durchhaltevermögen nötig sein wird, um die Menschen in allen Winkeln dieser Fußballnation zu überzeugen. Ebenso sicher ist aber auch: Ein Zurück wird es nicht mehr geben.