Bernd Lechler: Vor einem Jahr etwa haben Sie auf Facebook gepostet, es sei ein neues Album fertig. Dann hat es doch noch ein Jahr gedauert. Warum so lang?
Matthew Caws: Das ist mir natürlich peinlich. Ich habe gerade erst nach dem Motto "Genau heute vor einem Jahr ..." auf Facebook gepostet, das war witzig. Ich dachte damals wirklich, es wäre fertig. Aber der Chef unserer Plattenfirma, der ein sehr gutes Gespür hat, sagte: "Wisst ihr, das Album ist wirklich gut, eure Fans werden es sehr mögen, wir bringen es raus." Lange Pause. "Aber es wird nicht euer Leben verändern."
"Ein Album abzuschließen, ist so eine Art Vertrauensübung"
Nicht dass ich unbedingt mein Leben verändert haben will, aber ich wusste, was er meint: Die Platte war fertig, aber man konnte sie noch verbessern. Und das war sehr befreiend, weil ich sowas noch nie erlebt hatte: dass ein Album eigentlich durch ist und ich trotzdem noch Ideen dazu hatte. Dadurch sind ein paar ungewöhnlichere Songs möglich geworden - einen wie "Gold Sounds" zum Beispiel haben wir noch nie gemacht.
Ein Album abschließen, das ist so eine Art Vertrauensübung: Man zwingt sich, keine Fragen mehr zu stellen. Aber es ist ganz gut, beides zu haben: Vertrauen - und auch ein bisschen Skepsis. Ich war mal bei einem Vortrag von Bruce Springsteen beim South-By-Southwest-Festival. Da sagte er zu den anwesenden Bands: "So, jetzt geht da raus und habt ein Superkonzert. Und vergesst nicht: Ihr seid die Größten! Und vergesst auch nicht: Ihr seid furchtbar." Er wollte sagen: Es ist gesund, diese widersprüchlichen Betrachtungsweisen beide im Kopf zu haben.
Lechler: Sie haben vor diesem Album ja eine Bandpause eingelegt und mit Ihrer Kollegin Juliana Hatfield das Duo Minor Alps gegründet. Hatten Sie danach einen ganz neuen Blick auf Nada Surf?
Ein bisschen schon. Es war interessant, ein Album mit jemandem zu machen, der dieselbe Rolle innehat: Wir waren beide Sänger, Songwriter, Gitarristen und auch Co-Produzenten. Ich habe gelernt, schneller loszulassen. Und vielleicht habe ich Josh von Barsuk Records auch deswegen nicht groß widersprochen. Vielleicht hätte ich früher gesagt: "Schade, dass er das Album nicht so stark findet - aber sei’s drum." Vielleicht bin ich durch die Arbeit mit Juliana Hatfield flexibler geworden.
"Der Albumtitel soll ein bisschen Mut machen - dem Hörer oder auch mir selbst"
Lechler: Hat das neue Album ein Thema? Ich meine, einige verwirrte Lovesongs gehört zu haben - und Gedanken darüber, wo es hingehen soll und wer man ist.
Caws: Ganz genau. In diesem Fall hat der Albumtitel viel damit zu tun, worum es geht: Entscheidungen. Wegkreuzungen. Situationen, in denen man sich klarmachen muss, was man will. Ich hatte in den letzten Jahren einige Situationen in meinem Leben, bei denen es keine einfachen Antworten gab. Beziehungsthemen. Wo man lebt. Was man tut. Und irgendwie ging mir eine Zeit lang mein Bauchgefühl verloren, auf das wir uns ja schon verlassen. Ich weiß nicht warum, vielleicht wird das Leben mit dem Alter komplizierter.
Der Albumtitel "You Know Who You Are" soll also ein bisschen Mut machen - dem Hörer, oder auch mir selbst. Wenn du nicht weißt, wie du dein Problem lösen sollst: Lass dir Zeit, überstürze nichts, sei gut zu dir, schlaf dich aus. Und manchmal ist es gut, sich mit der Natur zu verbinden. Ich sah den Film "Interstellar" mit Matthew McConaughey, darin sind zwei Astronauten auf einer gewaltigen Mission, 10 oder 20 Jahre, und eigentlich sollten sie eingefroren sein, damit sie nicht altern. Aber ein paar Wochen lang sind sie eben doch wach - und in einer Szene trägt einer der beiden seinen Walkman, und was er sich anhört, sind Wind und Regen und das Geräusch eines knarrenden Segelmastes. Weil ihn das an die Erde erinnert und daran, dass er ein Mensch ist, inmitten dieser riesigen Leere.
Ich hab mir dann auch so eine Aufnahme besorgt, die mir gefiel, eine Stunde Wind und Regen, und bin auch mit Kopfhörern durchs Haus gelaufen. Das war toll! Es war mitten im Winter und es erinnerte mich daran, dass ich nicht nur ein Typ mit einem Computer war. Sondern ich bin ein Tier. Auf einem Planeten, auf dem Naturgewalten wirken. Daraus wurde der Song "Animal".
Das sind also einige der Themen - und mit dem letzteren Problem beschäftigen wir uns natürlich alle: Unser Verhältnis zu dieser virtuellen Welt, und wie viel Zeit wir auf welche Weise darin verbringen. Und ob sie unseren Geist erweitert - oder ob wir uns vielmehr unser Lieblingsprogramm kreieren und dadurch unsere Gedanken eher erstarren, weil wir nichts anderes mehr sehen.
"Mit dem Erfolg hat keiner von uns gerechnet"
Lechler: Hat es eine Rolle gespielt, dass Ihr Debüt nun genau 20 Jahre her ist?
Caws: Nein ... aber es ist nett, dass Sie es erwähnen, und es macht Spaß, über diese Langlebigkeit zu reden, denn die freut uns. Damit hat keiner von uns gerechnet - weder mit dieser langen Zeit, noch gar mit dem Erfolg. Nicht dass wir eine richtig große Band wären - aber wir sind auf jeden Fall größer, als ich je erwartet hätte.
Lechler: Ich habe überlegt, was ich an Nada Surf mag. Und ich glaube, abgesehen vom Songwriting natürlich und diesem vollen Gitarrensound, höre ich einfach gern Ihre Stimme. Sie haben so eine "freundliche" Art zu singen, die finde ich wohltuend. Bekommen Sie das öfter zu hören von Ihren Fans?
Caws: Ich habe das Glück, dass sie es auf die unterschiedlichste Weise sagen - aber ein Wort wie "Trost" kommt regelmäßig, oder eben "wohltuend". Das wärmt mich; gleichzeitig verstehe ich, was gemeint ist, denn mir tut das Musikmachen wohl. Wenn ich Musik höre, will ich dazu noch stimuliert werden und finde noch andere Aspekte interessant, aber bei dem, was im Studio aus den Boxen kommt ... Abenteuer gehört schon auch dazu, aber vor allem will ich, dass sich das, was ich da höre, gut anfühlt. Und das beeinflusst vermutlich auch die Art, wie ich singe. Oder versuche zu singen.
Lechler: Das heißt, wenn Kritiker mäkeln, Sie hätten sich auf einem Album - mal wieder - nicht gerade neu erfunden, dann ärgert Sie das nicht. Weil es Ihnen darum nicht geht.
Caws: Nein, darum geht es mir nicht. Mir genügt, was ich allein schon als kleines Wunder betrachte, nämlich, dass Popsongs ja oft immer und immer wieder dieselbe Klangsprache benutzen, und immer und immer wieder dieselben Akkorde und dieselbe Struktur, und trotzdem - wenn man wirklich drauf steht und ein bisschen lauter dreht und ihn ein paarmal hört - ist jeder Song seine eigene kleine Welt. Jeder ist eine kleine Erfindung.
Und das gilt auch für Genres, die sich noch leichter reduzieren lassen, auch wenn die Reduktion total unfair ist. Blues zum Beispiel. Wer keinen Blues mag, kann sagen: Das sind doch dauernd dieselben drei Akkorde. Oder Reggae: Ist doch immer derselbe Rhythmus. Aber wenn man erst richtig einsteigt - dann ist das ein Universum.
Wie Bäume! Wenn Sie sich einen Wald anschauen - die sehen alle gleich aus, und trotzdem weiß man: Jeder ist anders, jeder hat eine einzigartige Geometrie und malt seine ganz eigene Form in den Himmel. Diese Art von Neuerfindung ist für mich genug, das ist die Welt, in der ich leben möchte.
"Unser Publikum war immer wahnsinnig nett zu uns"
Lechler: Ihre Karriere begann mit einem Hit, "Popular", gefolgt von jahrelangem Streit mit der damaligen Plattenfirma. Schwierige Zeiten, stelle ich mir vor, und sicher nicht die letzten. Haben Sie in diesen 20 Jahren auch mal erwogen aufzuhören?
Caws: Nein. Nicht wirklich. Ich glaube, ich hab auf diese Frage mal geantwortet: "Dazu war ich zu faul." Ich wollte nicht auf die Uni. Und ich wollte nicht unbedingt das weitermachen, was ich angefangen hatte: Ich war eine Art Musikjournalist bei der Zeitschrift "Guitar World", aber kein sehr guter. Entweder das, oder ich hätte als Englischlehrer gearbeitet oder in einem Verlag - ich hätte mir jedenfalls richtig was einfallen lassen müssen. Dazu gefiel mir viel zu gut, was ich machte.
Ich jobbte in einem Plattenladen, hatte einen Vierspur-Rekorder, dann einen mit acht Spuren, dann noch einen, kaufte mir ein Mikrofon, verkaufte eine Gitarre, kaufte eine andere - ich spielte einfach rum, machte zu Hause Musik, ging zwei, dreimal die Woche zur Bandprobe, und damit war ich zufrieden.
Klar, wenn dann ein paar Jahre lang gar nichts gelaufen wäre, dann hätte ich schon irgendwann gedacht: Okay, jetzt sollte ich mich doch mal um eine Studium kümmern, aber ... Nein, ich wollte nie aufhören. Auch aus dem Grund, dass unser Publikum, auch wenn es nur 20 Leute waren, einfach immer wahnsinnig nett zu uns war. Immer enthusiastisch, immer haben sie uns unterstützt, und das ist wie eine Art emotionale Nahrung oder so. Das tut einfach so gut. Außerdem ist da über die Jahre eine Art Gesellschaftsvertrag entstanden. Immer wieder schrieben mir Leute: "Dieses oder jenes Album von euch, das hat mir echt geholfen, etwas zu überstehen." Da fühle ich mich ... nützlich!
Und im Lauf der Jahre dachte ich: Wenn auch nur ein paar Leute schon auf das nächste Album warten, und wenn ihnen das dann gut tut, und wenn ich mehr davon liefern kann und sie das erwarten - dann muss ich das doch auch tun. Andererseits arbeite ich natürlich auch gern. Es ist symbiotisch! Es ist der denkbar beste Vertrag. Denn ich habe so viel dadurch bekommen, da will ich einfach auch wieder was reinstecken und weitermachen. Vor einem begeisterten Publikum zu spielen, das ist nicht nur eine Art High, es ist auch... ich kann mich nur wiederholen - es ist wie Nahrung.
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