Bomben von Beirut bis Basra - täglich ist von ihnen zu hören; so wie von Gefechten: Zwischen Milizen, Untergrundkämpfern, Regierungseinheiten. Dabei heißt es in den Nachrichten zumeist, dass "Schiiten Sunniten attackiert haben" oder "Sunniten ein Attentat auf Schiiten verübten". Je häufiger diese Zuordnungen kommen, desto stärker drängt sich eine Vermutung auf: Im Nahen Osten - im Libanon, in Syrien, im Irak - ist ein Religionskrieg entbrannt. Und die beiden Seiten - Schiiten und Sunniten - befeuern das: Hassan Nasrallah zum Beispiel, der Generalsekretär der libanesisch-schiitischen Hisbollah.
Nasrallah wird nicht müde, den Einsatz von Hisbollah-Kämpfern in Syrien an der Seite von Präsident Bashar al-Assad zu rechtfertigen - und zwar damit, dass "die sunnitischen Extremisten gestoppt werden" müssten. Ansonsten würden Al Kaida und deren Anhänger einen ultra-fundamentalistischen, terroristischen Staat gründen. In dasselbe Horn stößt Assad, ein Alawit, also Angehöriger einer Religionsgruppe, die dem schiitischen Islam entstammt: Er sei ein Kämpfer gegen fanatische Sunniten. Und auch von Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki, ebenfalls Schiit, sind solche Töne zu hören:
"Wenn wir nicht gegen das, was im Irak passiert, vorgehen, wird es sich ausweiten. Und das, was in Syrien passiert, weitet sich auch aus, wenn wir nicht dagegen vorgehen. Und wenn wir nicht handeln, wird sich der Virus des Terrorismus von jedem Land, in dem er lebt, ausbreiten."
Die Sunniten halten dagegen: Sie nennen Nasrallah, Assad und Maliki schiitische Despoten, die - vereinfacht gesagt - die Sunniten unterdrücken wollen. Zugunsten des schiitischen Halbmondes; der Achse, die in Libanon beginnt, sich über Syrien und Irak erstreckt und in Iran endet. Die schiitischen Herrscher in Teheran seien die Quelle allen Übels; sie strebten danach, ihr Staatssystem in die arabische Welt zu exportieren; alles ihrem schiitischen Einfluss unterwerfen. Nasrallah, Assad und Maliki seien willfährige Vasallen.
Diese gegenseitigen Vorwürfe stacheln beide Seiten dazu auf, die jeweils anderen zu attackieren; unter Einsatz aller Waffen. Vordergründig geht es also um Religion, da zwischen Beirut und Basra die Bruchlinie verläuft - zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Doch hinter den religiösen Verwerfungen steht das Ringen um politischen Einfluss. Iran hat den Anspruch, Regionalmacht zu sein, was sich wahrscheinlich am ehesten im Atomprogramm des Staates manifestiert. Die meisten sunnitisch geprägten arabischen Staaten weisen diesen Anspruch des Iran zurück; Saudi-Arabien und sogar Katar streben selbst eine regionale Führungsrolle an. Der Politikwissenschaftler Karim al-Makdisi lehrt an der renommierten American University of Beirut. Er selbst ist Christ und sagt:
"Seit der von den USA geführten Invasion im Irak ist die Balance zwischen Irakern und Iranern - dass sie regelmäßig gegen einander Krieg führten und einander umbrachten - verschwunden. Der Irak wurde schwächer und Iran wurde stärker. Viel stärker. Und weil das so ist, fürchteten Saudi-Arabien, Katar und andere Golfstaaten, dass sie im Nahen und Mittleren Osten an Einfluss verlieren würden. Und darum meinen sie den ihrer Ansicht nach wachsenden iranischen Drang, die Region zu dominieren, stoppen zu müssen."
Und das machen die Golf-Araber unter anderem, indem sie militante sunnitische Gruppen finanzieren, die in Syrien, aber auch in Libanon und im Irak Schiiten angreifen. Die ihrerseits schlagen zurück - ebenfalls mit brutalen Mitteln. Die Folge ist, dass eine neue Generation von Kämpfern heranwächst, die alle glauben, im Namen ihrer Religionsgruppe zu töten. Eine neue Generation Gotteskrieger.
"Es ist wie mit Frankenstein. Man schafft etwas, dann kann Frankenstein das Monster nicht mehr kontrollieren. Wie lange kann man solche Monster unter Kontrolle halten - es ist nicht klar."