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Naher und mittlerer Osten
Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien

Im nahen und mittleren Osten ringen der schiitische Iran und das sunnitische Saudi-Arabien um die regionale Vorherrschaft. Es geht um finanzielle Interessen und um religiöse Deutungshoheit - aber nicht nur. Verwickelt in den Konflikt sind längst auch andere Länder - etwa der Jemen.

Von Sebastian Engelbrecht |
    A man inspects the rubble of houses allegedly destroyed by Saudi-led air strikes in Sanaa, Yemen, 09 June 2017. A Saudi-led airstrike hit a house in Yemen's capital Sanaa, on Friday, killing four civilians, including women and children, and injuring a number of others, Yemen's local Saba news reported.
    Der Krieg im Jemen ist nur einer von vielen Brandherden, an denen der Machtkampf der Iraner und Saudis deutlich wird (picture alliance / dpa / Hani Al-Ansi)
    Am 4. November feuern Huthi-Rebellen vom Jemen aus eine Mittelstreckenrakete auf Riad ab. Eine saudische Flugabwehrrakete vom Typ Patriot fängt das Geschoss in der Luft ab. Zwei heftige Detonationen sind zu hören. Es ist die 78. Rakete, die die schiitischen Huthi-Rebellen seit Beginn des Krieges im Jemen vor zweieinhalb Jahren auf Saudi-Arabien abfeuern. Die erste, die auf die saudische Hauptstadt zielt.
    Für Abdel Aziz Aluwaisheg, stellvertretender Generalsekretär des Golf-Kooperationsrates, ist klar, dass die Mittelstreckenrakete aus dem Iran stammt und dass iranische Militärs die Huthis im Jemen an den Waffen ausbilden. Aluwaisheg vertritt den Zusammenschluss von sechs Staaten auf der arabischen Halbinsel.
    "Das scheint der weitreichendste Angriff zu sein, den die Huthis bisher versucht haben", sagt er. "Von der Grenze zum Jemen bis Riad sind es mehr als 1.000 Kilometer. Das ist die Rakete mit der höchsten Reichweite, die sie ausprobiert haben. Glücklicherweise konnte die Luftabwehr sie abfangen, so dass sie keinen Schaden anrichten konnte."
    Saudische Blockade trifft vor allem Jemens Zivilbevölkerung
    Schärfer reagiert der saudische Außenminister Adel Jubair. Er nennt den Angriff der Huthis auf Riad einen "Kriegsakt". Saudi-Arabien verhängt eine Land-, See und Luftblockade gegen den Jemen. Damit wollen die Saudis Waffenimporte aus Iran verhindern. Sie treffen jedoch vor allem die Zivilbevölkerung im Jemen, wo eine Hungersnot herrscht und die Cholera grassiert.
    Saudi-Arabien steht nicht nur außenpolitisch und militärisch vor immer neuen Herausforderungen durch Iran und seine Bündnispartner, sondern auch innenpolitisch vor großen Umwälzungen. Seit dem 20. Juni 2017 hat das Reformtempo noch einmal zugenommen. An diesem Tag ernannte König Salman seinen 31-jährigen Sohn Mohammed bin Salman zum Kronprinzen.
    Schon als Verteidigungsminister hatte Mohammed zwei Jahre zuvor, im Frühjahr 2015, kurz entschlossen gehandelt und den Krieg gegen die Huthis im Jemen begonnen. Nun, als Kronprinz noch mächtiger, hat er sich vorgenommen, das Land völlig neu aufzustellen. Dem Fernsehsender Al-Arabiyya sagte Mohammed bin Salman:
    "Das Erdöl hat heute nahezu den gleichen Stellenwert wie unsere Verfassung: zuerst der Koran, dann das Erdöl. Das ist sehr gefährlich. Wir leiden im saudischen Königreich unter einer krankhaften Erdöl-Abhängigkeit. Und alle leiden darunter. Diese Abhängigkeit ist gefährlich und bremste den Fortschritt in vielen Bereichen in den vergangenen Jahren."
    Kronprinz ist beliebt in Saudi-Arabien
    Mit seiner "Vision 2030" will der Kronprinz das Land unabhängig vom Öl machen und die Nutzung erneuerbarer Energien einführen. Außerdem strebt er eine "Saudisierung" der Wirtschaft an und hat dafür ein Quotensystem eingeführt: Unternehmer müssen einen fest gelegten Prozentsatz an Saudis beschäftigen.
    Viele in Saudi-Arabien haben ein Leuchten in den Augen, wenn von Mohammed bin Salman die Rede ist. Zu ihnen gehört Fateen Obaid, ein Palästinenser, der seit 20 Jahren in Riad lebt. Er arbeitet als Journalist bei "Al-Hayyat", einem Blatt, das in der ganzen arabischen Welt vertrieben wird.
    "Er ist sehr jung und voller Energie, und er hat eine Vision, er hat Ambitionen. Sein großes Projekt ist der Bau einer großen Stadt an der Grenze von Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien. Solche riesigen Projekte werden diesem Land natürlich ein neues Ziel setzen, nämlich wie andere Länder zu sein, wie Dubai zum Beispiel, und mehr in Freiheit zu leben."
    UN-Iran-Atomabkommen zum Verdruss der Saudis
    1.300 Kilometer nördlich von Riad. In Irans Hauptstadt Teheran ist von Aufbruch wenig zu spüren. Viele Fassaden sind grau, und auf etlichen Hochhaus-Baustellen, die aussehen wie stählerne Gerüste, tut sich nichts.
    Zum Verdruss der Saudis schlossen die UN-Vetomächte und Deutschland im Sommer 2015 ein Atomabkommen mit Iran. Es verbietet dem Iran die Entwicklung von Atomwaffen. Im Gegenzug haben die Westmächte ihre Sanktionen gegen Iran gelockert.
    Aber zu einem wirtschaftlichen Aufblühen hat das noch nicht gereicht. Denn westliche Banken scheuen sich, Kredite für Industrieprojekte im Iran zu gewähren.
    Dozent im Iran: "Bevor ich Schiit bin, bin ich Moslem"
    Auf dem Markt von Teheran lächeln einem Passanten freundlich zu und beobachten die Schritte der wenigen westlichen Gäste aufmerksam. Aber offene Gespräche sind eine Seltenheit.
    Einer der wenigen, der in Teheran offen spricht, ist Raed Faridzadeh, Dozent für Germanistik an der Shahid-Beheshti-Universität in Teheran. Auch als gläubiger Mensch leidet er unter dem Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien, zwei Staaten, die sich beide als besonders gottesfürchtig präsentieren.
    "Bevor ich Schiit bin, bin ich Moslem, und tatsächlich ist Mekka die heiligste Stadt für die Muslime, und tatsächlich können wir uns nicht von Saudi-Arabien trennen, das ist ja unmöglich. Tagtäglich beten die Muslime auf Arabisch. Tagtäglich richten sie sich auf ein Ziel, und das ist eben Mekka."
    Gegenseitige diplomatische Vertretungen bleiben zu
    Schon wegen der heiligen Stätten in Saudi-Arabien ist die Islamische Republik Iran auf gute Beziehungen zu Riad angewiesen. Als Vermittler versucht sich nun die Schweiz. Zur Wiedereröffnung der diplomatischen Vertretungen in Riad und Teheran hat es noch nicht gereicht. Bis dahin vertritt immerhin der Schweizer Botschafter in Riad die iranischen Interessen, der Botschafter aus Bern in Teheran die Interessen Saudi-Arabiens.