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Nahost
"Bis April werden wir keinen Friedensplan haben"

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann blickt wenig zuversichtlich auf die neue US-Friedensmission im Nahen Osten. Er rechne am Ende mit einer Formel, "die wie ein Kompromiss aussieht", sagte Zimmermann im DLF. Doch Israels rechtsgerichtete Regierung sei an einem Friedensprogramm nicht interessiert.

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Zu seiner Herzensangelegenheit hat US-Außenminister John Kerry den Nahen Osten gemacht. Zum zehnten Mal besucht er dieser Tage Israel und die Palästinensergebiete bereits, und das binnen knapp eines Jahres. 200.000 Flugkilometer legte er insgesamt dafür zurück. Pendeldiplomatie ist das im Wesentlichen, denn an einem Tisch sitzen beide Seiten nur selten. So traf Kerry am Abend Israels Premier Netanjahu und heute Palästinenserpräsident Abbas. So traf Kerry am Abend Israels Premier Netanjahu und heute Palästinenserpräsident Abbas. Zehn Seiten soll es umfassen, das Friedenspapier, das er dieses Mal im Gepäck hat. Seine Rahmenvereinbarungen, sein Rahmenabkommen für einen späteren Friedensschluss, wie Kerry es nennt, mit entscheidenden, aber umstrittenen Eckpunkten. In Israel begrüße ich Moshe Zimmermann, Historiker an der hebräischen Universität in Jerusalem. Boker tov, Herr Zimmermann, guten Morgen!
    Moshe Zimmermann: Boker tov, guten Morgen!
    Dobovisek: Kerrys Friedenspapier sieht eine Zweistaatenlösung vor, mit einem unabhängigen palästinensischen Staat, in den Grenzen von 1967. Die Absage Netanjahus zumindest durch die Blume kam gestern prompt. Warum?
    Zimmermann: Die Israelis versuchen von Beginn an, alles hinauszuzögern, und eine negative Antwort ist immer dafür geeignet. Man ist in Israel bestimmt nicht daran interessiert, ein Friedensprogramm zu bestätigen oder zu akzeptieren. Die israelische Regierung ist eine rechts orientierte israelische Regierung, da sitzen diejenigen, die davon ausgehen, dass Israel ganz Israel sein muss, das heißt inklusive Palästinensergebiete. Und deswegen ist auch taktisch nicht das getan, was man eigentlich von Israel erwartet, nämlich etwas bereiter zum Kompromiss. Aber am Ende wird Kerry, nehme ich an, beide Seiten so unter Druck setzen, dass man mindestens eine Formel findet, die wie ein Kompromiss aussieht für dieses Stadium.
    Dobovisek: Nun hören wir heute in den Nachrichten, dass sich Israelis und Palästinenser heute Morgen gegenseitig mit Raketen ein weiteres Mal, muss man sagen, beschossen haben. Ist das auch eine Art deutliche Antwort auf Kerrys Plan?
    Zimmermann: Das hat damit direkt nichts zu tun, das sind die Raketen aus dem Gazastreifen. Das Problem ist hier eben, dass die Palästinenser gespalten sind, die in der West Bank und die im Gazastreifen. Und die sprechen nicht dieselbe Sprache. Deswegen kann Israel auch diese Spaltung im palästinensischen Lager ausnutzen, um zu dieser Zeit keine Kompromisse zu akzeptieren.
    Dobovisek: Mit diesem Rahmenvertrag erhöht Kerry den Druck, das haben Sie gesagt. Wird der Druck denn am Ende etwas bewirken können?
    Zimmermann: Das Problem ist, dass wir nicht wissen, was das Wort Ende bedeutet. Eigentlich sollten die Verhandlungen bis April laufen, und es ist klar, bis April haben wir keinen Frieden und auch keinen Friedensplan. Deswegen muss man höchstens erwarten, dass irgendwo eine Formel gefunden wird, wie Sie schon eingangs gesagt haben. Also, die Palästinenser werden deklarativ akzeptieren, dass Israel ein jüdischer Staat ist, und Israel wird irgendwo akzeptieren, dass die Grenzen von '67 der Ausgangspunkt sind für die Verhandlungen. Und dann werden beide Seiten nicht so glücklich sein, die Amerikaner etwas mehr, und die Zuschauer werden weiter warten, bis etwas Weiteres sich entwickelt. Ohne eine echte Katastrophe bewegt sich hier eigentlich im Nahen Osten nichts.
    Dobovisek: Netanjahu machte gestern nach dem Treffen mit Kerry deutlich, dass er Zweifel am Friedenswillen der Palästinenser habe. Was meinte er damit?
    Zimmermann: Er meint damit, dass man Zweifel haben kann, ob Israel die Absicht hat, Frieden zu schließen. Man wirft immer die Schuld in die Schuhe der anderen, und das tut Israel die ganze Zeit. Die Palästinenser sind vielleicht nicht so friedenswillig, wie Pazifisten es sich wünschen, aber die israelische Seite zeigt auch wenig Entgegenkommen. Beide Seiten sind sehr skeptisch, beide Seiten sind frustriert. Und die israelische Seite hat mindestens einen Vorteil, sie ist die stärkere Seite in diesem Konflikt und kann sich erlauben, alles hinauszuzögern.
    Dobovisek: Auf der einen Seite reicht Israel den Palästinensern die Hand, indem es Gefangene freilässt, andererseits wird der Siedlungsbau weiter fortgesetzt. Auch ein fehlender Friedenswille?
    Moshe Zimmermann, geboren am 25. Dezember 1943 in Jerusalem, lehrt am "Richard-Koebner-Center for German History" an der Hebräischen Universität Jerusalem. Zuletzt erschien 2010 im Aufbau-Verlag sein Essay "Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma", der das Scheitern der Friedensbemühungen in Nahost aus einer linkszionistischen Perspektive analysiert.
    Zimmermann: Da muss man wieder die Taktik hinterfragen. Weil eben Israel nicht bereit ist, die Siedlungspolitik zu stoppen, hat man Bereitschaft erklärt, diese Gefangenen freizugeben. Aber das ist nicht aus gutem Willen der israelischen Seite, sondern nur, weil man irgendetwas tun muss, um zu zeigen, dass man bereit ist, weitere Schritte zu machen. Und diese Freilassung der Gefangenen erzeugt in Israel sehr viel Zorn. Es sind eben Freischärler oder für Israelis Mörder, und das macht die ganze Sache für die israelische Bevölkerung bestimmt nicht schmackhaft.
    Dobovisek: Gleich zu Beginn seines Nahost-Besuchs sprach John Kerry Ariel Scharon und seiner Familie sein Mitgefühl aus, seit acht Jahren liegt Israels früherer Ministerpräsident im Koma, nach Angaben der Ärzte hat sich sein Zustand drastisch verschlechtert, er kämpft um sein Leben, heißt es. Welche Rolle im Friedensprozess spielte Ariel Scharon während seiner Amtszeit bis 2006?
    Zimmermann: Ariel Scharon war einer der Hauptspieler in Israels Politik der Ausbreitung, der Siedlungspolitik, die Idee von ganz Israel, also Großisrael. Nur am Ende seiner Amtszeit hat er einen Schritt gemacht, nämlich den Verzicht auf den Gazastreifen, der signalisierte, dass sogar so ein Hardliner wie Ariel Scharon in der Lage ist, die Politik zu ändern. Wir spekulieren nur, wenn wir behaupten, dass Ariel Scharon weitere Schritte gemacht hätte nach 2005, und im Moment ist diese Spekulation selbstverständlich in aller Munde, weil die Leute sich auf die Nachrufe von Ariel Scharon vorbereiten. Er stirbt wahrscheinlich in den nächsten Tagen, vielleicht auch heute, und alle Leute sind mit der Frage befasst, inwieweit Ariel Scharon hätte das Schicksal des Nahen Ostens anders gestalten können, wäre er noch im Amt.
    Dobovisek: Für sein Vorgehen gegen die Palästinenser als General noch der Armee erhielt Scharon auch den Beinamen "der Bulldozer". Andererseits, Sie haben es erwähnt, setzte er 2005 die Aufgabe der israelischen Siedlungen auf dem Gazastreifen durch. Wie wichtig war dieser Schritt, der Rückzug aus dem Gazastreifen, und was können wir daraus lernen, wenn es jetzt um das Westjordanland geht?
    Zimmermann: Also, der Bulldozer war auch die Erklärung dafür, dass er diesen Rückzug eingeleitet hat. Das ist ein Mann, der immer nach vorne, also Augen zu und durch, Politik macht, Militär macht, alles das ist sein Charakter. Und man kann summa summarum sagen: Was er getan hat, war eher zugunsten der israelischen Siedlungspolitik, das war ein wichtiger Beitrag für den Erfolg der israelischen Rechten, für den Misserfolg der israelischen Linken. Und so sollte man ihn jetzt betrachten.
    Dobovisek: Kann es Frieden im Nahen Osten geben, ohne israelische Siedlungen im Westjordanland aufzugeben?
    Zimmermann: Es kann so etwas geben, wenn die Israelis sich bereiterklären, die Siedlungen als Teil des palästinensischen Staats zu akzeptieren. Aber die Siedler sind so eindeutig gegen eine derartige Lösung, dass man das nicht mal in Erwägung ziehen kann. Und für die Palästinenser ist es auch eine klare Sache: Solange israelische Siedlungen auf palästinensischem Gebiet sich befinden, ist ihre Unabhängigkeit nicht gesichert. Und deswegen ist davon auszugehen, dass man zuerst darüber sprechen wird, dass die Gebiete, die zu Palästina gehören, eben nicht mit israelischen Siedlungen stehen werden.
    Dobovisek: Der Historiker Moshe Zimmermann aus Jerusalem über die Friedensbemühungen von US-Außenminister John Kerry im Nahen Osten. Und wir hören, Sie sind schon sportlich aktiv am frühen Morgen, der Fußball war nicht zu überhören!
    Zimmermann: Ja.
    Dobovisek: Ich wünsche Ihnen dabei noch viel Spaß!
    Zimmermann: Ja, ich kehre sofort zurück zu meiner Truppe!
    Dobovisek: Ja, auf Wiederhören!
    Zimmermann: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.