Kommentar zu Nahost-Demos
Die Polizei muss differenzieren

Mit pauschalen Verboten für propalästinensische Demonstrationen in Deutschland sollte man vorsichtig sein, kommentiert Ann-Kathrin Jeske. Es sei wichtig, zwischen friedlichen Versammlungen und Antisemitismus zu differenzieren.

Von Ann-Kathrin Jeske | 19.10.2023
Palästinenser sowie deren Unterstützer streiten sich mit der Polizei vor dem Brandenburger Tor.
Die Hamas-Terroranschläge und Israels Verteidigungseinsätze lösen auch in Deutschland Proteste aus. Die Polizei muss nun entscheiden, welche Versammlungen sie erlaubt und welche sie verbietet. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)

Es ist keine leichte Aufgabe, vor der die Polizeibehörden im Moment stehen. Der Terror der Hamas und die Verteidigungsschläge Israels gegen die Angriffe treiben auch in Deutschland die Menschen auf die Straße. Und die Polizei muss entscheiden: Welche Versammlungen verbietet sie und welche nicht?

Das ist – wie so oft im Recht – eine Abwägungsentscheidung, also eine, für die es keinen klaren Katalog gibt, sondern, bei der die Polizei das Grundrecht der Versammlungsfreiheit abwägen muss gegen die Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. 
Schwierig ist das schon deshalb, weil die Polizei dazu in die Zukunft schauen muss: Sie muss also eine Gefahrenprognose darüber abgeben, was auf so einer Demonstration passieren könnte: Ist davon auszugehen, dass der Protest von Gewalt geprägt ist? Werden die Demonstrantinnen und Demonstranten volksverhetzende Aussagen skandieren? Das wären Straftaten, die ein Versammlungsverbot rechtfertigen.

Oder aber: Wollen sich die Menschen versammeln, um auf die Menschenrechtslage in den palästinensischen Gebieten aufmerksam zu machen? Gehen sie auf die Straße, um beispielsweise für die Zwei-Staaten-Lösung einzutreten? Das wäre legitimer Protest.  

Tendenz, es sich mit Verboten zu leicht zu machen

Wenn man sich die Beispiele vor Augen führt, merkt man schon: In der Praxis gibt es auf den Demonstrationen meist beides – diejenigen, die friedlich demonstrieren, aber eben auch diejenigen, die die Grenze zur Strafbarkeit überschreiten. Die Polizei muss deshalb differenzieren: Geht sie davon aus, dass nur Einzelne ausrasten oder ist zu erwarten, dass große Teile der Demonstration in Gewalt und Straftaten münden? Diese Prognose ist aktuell sicher nicht leicht zu treffen.

Dennoch gibt es in den vergangenen Tagen eine Tendenz mancher Polizeibehörden, es sich leicht zu machen: In immer mehr Städten werden pauschale, mehrere Tage andauernde Versammlungsverbote ausgesprochen. Beispiel Hamburg: Dort gilt eine Woche lang ein Versammlungsverbot für propalästinensische Spontan-Demonstrationen. Mit solchen pauschalen Verboten sollte man vorsichtig sein, denn im Rechtsstaat sollte ja genau das nicht passieren – dass diejenigen, die sich spontan, friedlich versammeln wollen, in einen Topf geworfen werden mit jenen, die Antisemitismus verbreiten.

Differenzieren zwischen friedlicher Mahnwache und Antisemitismus

Auch, vielleicht gerade jetzt, muss man der Polizei also abverlangen zu differenzieren. In Berlin hat die Polizei das übrigens am Mittwoch gemacht: Dort gab es nämlich nicht nur die Spontandemonstrationen in Neukölln, bei denen viele Demonstrantinnen und Demonstranten durch Gewalt und Antisemitismus auffielen und gegen die die Polizei zurecht vorging.

Zeitgleich – das schreibt die Berliner Polizei auf ihrer Internetseite – hielten 350 Menschen am Pariser Platz eine friedliche, propalästinensische Mahnwache ab, im stillen Gedenken und mit Teelichtern - und ohne ein Verbot der Polizei.