Archiv

Nahost-Experte Michael Lüders
"Diesen palästinensischen Staat wird es nicht geben"

Die Umsetzung von Trumps Nahost-Plan sei wohl aus guten Gründen nicht benannt worden, sagte der Publizist Michael Lüders im Dlf. Den Palästinensern unfruchtbare Gebiete im Negev zuzuweisen, könne nicht funktionieren und sei eigentlich nur eine Umschreibung dafür, dass man letztlich keinen Deal mit ihnen möchte.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk Müller |
January 27, 2020, Washington, District of Columbia, USA: Benjamin Netanyahu, Prime Minister of the State of Israel, speaks to members of the media with United States President Donald J. Trump outside of the White House in Washington, D.C., U.S., on Monday, January 27, 2020. Washington USA PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAs152 20200127zaas152045 Copyright: xStefanixReynoldsx
US-Präsident Trump und der israelische Premier Netanjahu erläutern den sogenannten Nahost-Friedensplan - die betroffenen Palästinenser wurden dazu nicht konsultiert (www.imago-images.de)
Einen "Deal des Jahrhunderts", nennt der amerikanische Präsident seinen Nahost-Plan, den er in Washington formulierte. Die Antwort von palästinensischer Seite kam prompt: "Der Unsinn des Jahrhunderts!" "Nichts als Müll", antwortet Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Ein Plan aus den USA, der die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten legitimiert. Ein Plan, der andererseits explizit zwei Staaten vorsieht, einen souveränen eigenen Staat der Palästinenser. Aber zu welchem Preis? Dazu der Nahost-Experte Michael Lüders im Interview.
Der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders
Der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders (imago / allefarben-foto)
Dirk Müller: Herr Lüders, was ist gut am Plan?
Michael Lüders: Eigentlich nichts! Aber immerhin hat sich jetzt amerikanische, hat sich israelische Politik ehrlich gemacht. Man redet nicht mehr um den heißen Brei herum. Es gibt eine historische Auseinandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern seit 100 Jahren um das gemeinsame Land Israel/Palästina, und diese historische Auseinandersetzung haben die Palästinenser verloren. Jetzt geht es eigentlich darum, ihnen zu vermitteln, das ist so, daran wird sich nichts ändern, wir werden da jetzt noch ein bisschen basteln, dass wir da eine Lösung für euch hinbekommen, aber von Eigenstaatlichkeit, wie ihr euch das vorstellt, kann nicht ernsthaft die Rede sein. Die Palästinenser sind wirklich in einer tragischen Lage. Sie haben keine Verbündeten im Ausland. Sie wissen, dass die Amerikaner und die Israelis ihre Vorstellungen für die Palästinenser umsetzen können, und ob das auf Dauer gutgeht, ob sich das friedlich weiterentwickelt oder nicht, das steht heute natürlich völlig in den Sternen.
Alle israelischen Siedlungen sind illegal
Müller: Sie sagen, Ehrlichkeit. Ist Ehrlichkeit die Wirklichkeit?
Lüders: Wenn wir philosophisch werden wollen, in der Tat. Aber damit löst man ja keine Probleme. Man muss vor allem noch einmal nüchtern und ganz klar folgendes konstatieren: Alle Siedlungen, die Israel in den 1967 eroberten Gebieten gebaut hat, jeder einzelne Siedler, der dort lebt, tut dieses illegal. Es handelt sich um völkerrechtswidrig besetztes Land, von Israel besetztes Land, wo keine Veränderung dieser Art, kein Bevölkerungstransfer durchgeführt werden kann. Es ist ein klarer Rechtsbruch, das nicht erst seit gestern. Die israelische Seite hat die syrischen Golanhöhen und Ostjerusalem bereits 1980 annektiert, das alles wie gesagt rechtswidrig, aber die westlichen Staaten, allen voran die USA und die Europäische Union, haben letztendlich diesem Wirken nichts entgegengesetzt. Man hat Israel gewähren lassen, hat lange an der Fiktion eines sogenannten Friedensprozesses festgehalten, und der Europäischen Union fällt es jetzt ein bisschen auf die Füße, dass sie immer wieder von einer Zwei-Staaten-Lösung gesprochen hat. Die aber ist seit 10, 20 Jahren tot. Aber man hat die eigene Politik den neuen Realitäten nicht angepasst. Deswegen stehen die Europäer wieder mal außen vor, ähnlich wie in der Iran-Krise. Hier sind es die USA, die die Agenda setzen.
Palästinenser auch an arabischen Verbündeten gescheitert
Müller: Sie haben gesagt, die Palästinenser haben keine Verbündeten mehr, sie stehen alleine. Warum haben die Palästinenser keinen Partner mehr?
Lüders: Das hat viele Gründe, nicht zuletzt Geopolitik, für die Palästinenser sicherlich schwierig. Sie haben nicht die Netzwerke, die man braucht, in den USA, in Europa, in Deutschland, um sich Gehör zu verschaffen. Und sie sind letztendlich auch gescheitert an ihren arabischen Verbündeten oder solche, die sie dafür gehalten haben. Allen voran die saudische Regierung hat sich frühzeitig der amerikanischen Sichtweise angeschlossen, dass man eine Lösung für die Palästinenser so machen solle, wie das jetzt geschehen ist. Mohammed Bin Salman, der saudische Kronprinz, hat Mahmud Abbas schon vor zwei Jahren klipp und klar gesagt, die Amerikaner werden jetzt die Spielregeln bestimmen und ihr könnt zustimmen oder Nein sagen, und infolgedessen haben die Palästinenser hier nichts zu holen von der arabischen Seite und sind natürlich auch gescheitert an ihrer eigenen Zerstrittenheit.
Gazastreifen "bereits in 2020 nicht mehr bewohnbar"
Müller: Haben die Palästinenser zu wenig, die Führungseliten zu wenig gegen den Terror gemacht?
Lüders: Der Terror ist ein Problem, das sich ergibt aus den schwierigen Bedingungen der Palästinenser. Wenn wir uns zum Beispiel den Gazastreifen vor Augen führen, so reden wir von einem Gebiet, das nach Auskunft der Vereinten Nationen bereits in diesem Jahr 2020 nicht mehr bewohnbar sein wird. Zwei Millionen Menschen haben dort keine Zukunft, weil das Wasser zum Beispiel versalzt und sie keine Anbauflächen mehr haben. Diese Pläne oder diese Überlegungen oder Einsichten werden von der internationalen Staatengemeinschaft ignoriert und unter schwierigen Bedingungen neigen Menschen zu radikalen Bewegungen. Das ist auch hier so.
Letzte palästinensische Wahlen waren in 2006
Müller: Terror als Ausweg?
Lüders: Wir haben in den palästinensischen Gebieten die letzten Wahlen gehabt im Jahr 2006. Jetzt haben wir 2020. Seither hat es keine Wahlen mehr gegeben, weil die USA, die Europäische Union und Israel die große Sorge hatten, dass bei wirklich freien Wahlen die Hamas die stärkste Kraft wird. Das will man natürlich nicht, kann man auch nachvollziehen.
Abbas: "Bekommen hat er nichts"
Müller: Der Westen hat das verhindert? Wir haben das so verstanden oder einige haben das so verstanden, dass Abbas das verhindert hat.
Lüders: Abbas ist nicht in der Position, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Er ist in der tragischen Position, dass er über Jahrzehnte hinweg, seit dem Tod von Arafat, immer wieder versucht hat, auf Verhandlungen zu setzen mit der israelischen und amerikanischen Seite. Bekommen hat er nichts. Heute ist er ein 84 Jahre alter Mann, von dem die Amerikaner hoffen, dass er möglichst bald ersetzt wird durch einen kooperativeren Gesprächspartner auf palästinensischer Seite. Die Tragik für die Palästinenser ist, wenn sie Gewalt anwenden, wenn sie sich mit den Mitteln der Gewalt gegen die israelische Besatzung wehren, gelten sie als Terroristen, und wenn sie es friedlich tun, dann erhalten sie von der Gegenseite, den Israelis und den Amerikanern, nichts. Infolgedessen stehen sie wirklich mit dem Rücken zur Wand und es wird lange dauern, bis sie eine Möglichkeit finden, hier einen konstruktiven Ausweg zu finden.
"Wenig Anlass, gemäßigte Parteien zu wählen"
Müller: Sie sagen im Grunde, wenn man die Interessen dort vor Ort aus der palästinensischen Sicht vehement vertreten will und tut das auf gewaltlosem Wege, dann bringt das nichts. Also brauchen wir die radikale Fassung der Interessensvertretung?
Lüders: Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe auf analytischer Ebene festgehalten, dass Menschen unter sehr schwierigen Lebensbedingungen wie etwa im Gazastreifen wenig Anlass haben, gemäßigte Parteien zu wählen. Die Hamas aus ihrer Sicht, die wir aus guten Gründen alle miteinander nicht mögen, ist ja der Meinung, dass sie durch die Anwendung von Gewalt die israelische Seite dazu zwingen kann, Zugeständnisse zu machen, was teilweise auch gelingt, aber nur im minimalen Maße. Es bräuchte eigentlich eine konstruktive Lösung mit Blick auf die Errichtung eines palästinensischen Staates, aber diesen palästinensischen Staat wird es nicht geben, auch wenn das gestern in Washington anders behauptet worden ist.
"Minderheit kann auf Dauer über Mehrheit nicht herrschen"
Müller: Zwei-Staaten-Lösung, hat Donald Trump gesagt.
Lüders: Ja! Aber er hat natürlich die Ausführungsmodalitäten aus guten Gründen nicht benannt. Denn wenn man sich das mal anschaut: Der Plan selber ist noch nicht wirklich ausgesprochen. Wir kennen die Details noch nicht. Aber es soll ja offenkundig Gebietsaustausche geben des Inhaltes, dass die israelische Seite das Jordantal bekommt, was das wirtschaftliche Rückgrat der palästinensischen Landwirtschaft ist. Stattdessen sollen sie unfruchtbare Gebiete im Negev bekommen. Kein Palästinenser wird freiwillig in den Negev ziehen. Das kann alles nicht funktionieren und infolgedessen sind das eigentlich nur Versuche zu umschreiben, dass man letztendlich mit den Palästinensern keinen Deal machen möchte. Man muss sich aber auch die Demographie immer vor Augen halten. Es leben heute schon mehr Nichtjuden zwischen Mittelmeer und Jordanfluss als Menschen jüdischen Glaubens, und eine Minderheit kann auf Dauer über eine Mehrheit nicht herrschen, jedenfalls nicht, wenn es sich demokratisch nennt.
Arafat und Rabin versuchten die Friedenslösung
Müller: Reden wir noch einmal über diese friedliche Option, die friedliche Komponente, die ja vielleicht gar nicht da ist. Vor vielen, vielen Jahren hat Jassir Arafat in einer bestimmten Situation auf Frieden, auf Kooperation gesetzt. Da hat er auch etwas bekommen. Sie haben jetzt gesagt, die Palästinenser bekommen auf gar keinen Fall was, wenn sie friedlich vorgehen.
Lüders: Nicht nur Arafat sollte man in dem Zusammenhang erwähnen, sondern auch Yiszhak Rabin, der die Hand zum Frieden ausgestreckt hat.
Bevölkerungstransfer Richtung Jordanien?
Müller: Also beide Seiten!
Lüders: Beide Seiten, und er ist dafür im Dezember '95 ermordet worden von einem israelischen Rechtsextremen. Seit seiner Ermordung ist die israelische Politik immer mehr in Richtung rechts und Großisrael gegangen. Von einer Friedenslösung kann eigentlich seit der Ermordung von Rabin nicht mehr die Rede sein. Jedenfalls nicht im Sinne einer Zwei-Staaten-Lösung. Die gibt es nicht mehr, weil die israelische Politik mittlerweile von Ultranationalisten dominiert wird, die an einen solchen staatlichen Kompromiss mit den Palästinensern nicht mehr denken. Sie wollen das gesamte Israel, das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordanfluss. Die Frage ist nur, was passiert mit den Palästinensern. Letztendlich sagen viele israelische Rechte, na ja, eigentlich gibt es doch schon einen palästinensischen Staat, der heißt nur anders: Jordanien. 60 Prozent der Bevölkerung dort sind Palästinenser, Vertriebene der Kriege '48 und '67, oder deren Nachfahren. Wir wollen mal sehen, ob es wirklich einen palästinensischen kleinen Staat gibt, oder ob nicht doch die Tendenz geht in Richtung eines Bevölkerungstransfers in Richtung Jordanien.
Ultrarechte in den USA und Israel erzwingen ein Großisrael
Müller: Herr Lüders, wir haben noch 20 Sekunden. Trotzdem noch die Frage: Diese Regierungen, wie Sie gerade sagen, die Rechten, die so entscheiden, sind gewählt - demokratisch, mehrheitlich.
Lüders: Absolut! Genau das ist der Punkt. Die Ultrarechten in Israel und die Ultrarechten in den USA haben sich jetzt zusammengetan, um gemeinsam ein Großisrael zu verwirklichen, auf Kosten der Friedensbewegung und der friedlichen Menschen in Israel, der jüdischen Diaspora und der Palästinenser.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.