Archiv

Nahost-Experte zu Syrien
Konfliktparteien müssen miteinander sprechen

Die Syrien-Konferenz solle sich auf einen Waffenstillstand konzentrieren, sagte Nahost-Experte Volker Perthes im DLF. Ein Dialog könne nur entstehen, wenn man die externen Unterstützer des Konflikts und die Konfliktparteien vor Ort davon überzeugen könne, dass der Bürgerkrieg aus humanitären, politischen und geopolitischen Gründen ein Ende haben müsse.

Volker Perthes im Gespräch mit Peter Kapern | 22.01.2014
    Peter Kapern: Es gehört zur Job-Description eines Außenministers, überbordende Erwartungen zu dämpfen. Frank-Walter Steinmeier hat diese Anforderungen gestern par excellence erfüllt. "Wir müssen vorsichtig sein mit den Erwartungen. Es wird nicht den großen Friedensdurchbruch geben", so der Bundesaußenminister gestern. Wenn er also recht hat, wenn die Genf II getaufte Friedenskonferenz in der Schweiz Syrien alles Mögliche, aber kaum den Frieden bringen wird, warum dann der ganze Aufwand? Aber vielleicht sind die Äußerungen Steinmeiers ja auch nur so etwas wie diplomatischer Zweckpessimismus. Bei uns am Telefon Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Perthes, schauen wir zunächst einmal auf die neuesten, eigentlich unfassbaren Enthüllungen, die uns da gestern erreicht haben. Das syrische Regime - das belegen Fotos - hat mehr als 10.000 Gefangene gefoltert und ermordet. Und mit dieser Regierung, die so etwas tut, wird jetzt verhandelt. Ist das erträglich?
    Perthes: Normativ ist das ganz schwer erträglich, aber in der realen tatsächlichen Politik muss man mit denen reden, die die Waffen kontrollieren, wenn man will, dass es einen Waffenstillstand gibt. Zum Beispiel muss man mit denen reden, die an den Schaltzentren der Macht sitzen, auch wenn sie die Macht missbrauchen. Da führt kaum ein Weg dran vorbei. Es hilft ja nicht, wenn man sich das Regime in Damaskus wegwünscht. Das haben wir, wenn wir ein bisschen selbstkritisch sein wollen, vielleicht die letzten drei Jahre zu viel getan.
    "Auf einen Waffenstillstand hin orientieren"
    Kapern: Sehen Sie das auch so pessimistisch wie der Bundesaußenminister? Die Konferenz wird also nicht den großen Friedensdurchbruch bringen, sondern allenfalls hier und da einen Waffenstillstand?
    Perthes: Ich glaube, es wäre gut, wenn man auf einen Waffenstillstand hin orientieren würde, wenn vor allem auch die externen Unterstützer der Konfliktparteien vor Ort, also die internationale Gemeinschaft, konkret Russland auf der einen Seite, westliche Staaten, Saudi-Arabien auf der anderen Seite, Iran natürlich an der Seite Russlands und Assads, wenn diese Sponsoren sich, ob sie da sind oder nicht da sind, darauf einigen könnten, dass sie den Konfliktparteien vor Ort deutlich machen: Schluss jetzt, es geht jetzt um einen Waffenstillstand. Wir brauchen das aus humanitären Gründen, auch aus politischen Gründen, letztlich auch aus geopolitischen Gründen, damit der Konflikt nicht weiter die Nachbarstaaten in Mitleidenschaft zieht. Dann, wenn das geschieht, dann wäre schon ein großer Fortschritt gemacht und dann könnte man vielleicht den weiteren Teil eines solchen Friedensprozesses, Regierungsvertreter und Oppositionsvertreter, auch in einen ernsthaften Dialog miteinander bringen, über etwa die Errichtung einer Übergangsregierung. Bisher werden die Parteien nicht ernsthaft miteinander sprechen.
    Kapern: Stichwort Übergangsregierung. Genau so etwas ist ja schon mal im vorvergangenen Jahr verabredet worden und dann nie umgesetzt worden. Gleichwohl ist monatelang darum gerungen worden, dass die Vereinbarung von damals so etwas wie der Ausgangspunkt der neuen Gespräche sein soll. Ist das nichts als Makulatur, wenn man jetzt schon so kleine Brötchen backt, wie das alle Experten gerade tun?
    Perthes: Nun, ich denke, von den kleinen Brötchen muss man dann irgendwann zur größeren Mahlzeit kommen, um in Ihrem Bild zu bleiben, und da ist es schon richtig, dass man einen Weg vorzeigt, wie das mit der Schlusserklärung der Genf-Konferenz von 2012 geschehen ist, nämlich die Errichtung einer Übergangsregierung, in der beide Parteien vertreten sind, durch Vertreter, wo jeweils die andere Partei ein Veto drüber hätte. Also das Assad-Regime könnte nicht den eigenen Präsidenten benennen für eine solche Übergangsregierung, weil da die Opposition ein Veto gegen hätte, die Opposition könnte keine Leute benennen, die für die Regierung in Damaskus völlig inakzeptabel wären, und eine solche Übergangsregierung soll dann, so hieß es in Genf 2012, das Umfeld schaffen, um eine neue Verfassung und letztlich auch Wahlen und andere Prozesse des Übergangs zu ermöglichen. Da sind wir noch nicht, aber ich glaube, wenn man das Ziel nicht beschreibt, dann blieben auch die taktischen Schritte, die man jetzt vielleicht gehen kann, ziellos.
    Russland wird Assads Regimes schützen
    Kapern: Sie haben eben schon angesprochen, welche Akteure dort in Montreux alle versammelt sein werden, beispielsweise Russland. Können Sie uns erklären, mit welcher Zielsetzung Russland in die heute beginnenden Gespräche geht?
    Perthes: Russland wird auch heute, so denke ich, versuchen, seinen Klienten, seinen Verbündeten, Assad und dessen Regime, zu schützen - nicht, weil man in Moskau richtig begeistert wäre von der Politik von Baschar al-Assad, aber aus vor allem wohl zwei Gründen. Russland will zeigen, dass es ein internationaler Spieler ist, der verhindern kann, dass andere regionale Staaten im Nahen Osten und der Westen Regimewechsel zu ihren Vorstellungen durchsetzen. Das wirft man dem Westen und der arabischen Staatengemeinschaft in Libyen vor und da will man verhindern, dass das noch einmal stattfindet. Und das Zweite ist, dass Russland seit Beginn des Konflikts davor gewarnt hat, dass in Syrien ein Staat unter der Führung El Kaida oder ein nicht staatliches Gebilde unter der Führung El Kaida, also von radikalen, extremistischen, terroristischen Kräften entstehen könnte. Man hat davor gewarnt, als es El Kaida in Syrien noch gar nicht gab, und durch die Unterstützung des Assad-Regimes hat man mittlerweile erreicht, wovor man gewarnt hat. Das ist ein Misserfolg russischer Politik, würde ich sagen. Gleichwohl sind wir heute aber da, dass die Russen sagen, schaut mal, El Kaida ist ein so starker Faktor on the ground, also vor Ort, dass das Beste, was wir tun können, ist, weiterhin Assad zu unterstützen.
    Kapern: Und was wollen die USA erreichen?
    Perthes: Die USA wollen sich erstens nicht selber militärisch engagieren müssen. Sie haben gelernt aus der Erfahrung im Irak, dass sie eine politische Rekonstruktion eines ganzen Staates von außen nicht leisten können. Sie wollen den Konflikt eindämmen, sie wollen, dass er nicht über die Grenzen Syriens hinaus migriert gewissermaßen und auch Irak und Jordanien und Libanon destabilisiert. Und sie wollen einen Übergangsprozess, ähnlich wie das in der Genfer Erklärung von 2012, über die wir gesprochen haben, angesprochen worden ist. Sie wollen sicherlich ein Ende des Krieges und auch ein Ende des Assad-Regimes, und sie wissen, dass sie nicht beides gleichzeitig kriegen können.
    Beweise für Kriegsverbrechen sammeln
    Kapern: Das alles lässt sich ja, die russische und die amerikanische Position, wenn ich Sie richtig verstehe, doch unter einen Hut bringen - mit einer entscheidenden, vielleicht entscheidenden Ausnahme, nämlich die Zukunft von Diktator Baschar al-Assad.
    Perthes: Ja. Die Zukunft von Assad ist umstritten, auch natürlich zwischen den Parteien vor Ort. Und ich glaube, es ist richtig, wenn man, was das diplomatische Vorgehen angeht, jetzt sagt, wir lassen diese Frage einfach mal für einen Moment außerhalb der Betrachtung und konzentrieren uns auf die Schritte, die notwendig sind, um überhaupt ernsthaft über einen Übergang, über eine Transition zu reden, und das heißt eben Waffenstillstand, humanitäre Versorgung, möglicherweise auch Anerkennung der faktischen Autorität der Opposition in einer Reihe von befreiten oder jedenfalls nicht mehr unter Regimekontrolle stehenden Gebieten, sodass die dann etwa von der UNO und von Hilfsorganisationen versorgt werden könnten. Man kann auch beginnen, UNO-Vertreter und zivilgesellschaftliche Organisationen beginnen lassen, Beweise zu sammeln für Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Das wird dann sicherlich politisch eher verträglich sein, um in der Zukunft Material zu haben für eine strafrechtliche Aufarbeitung der Vorgänge.
    Kapern: Also es geht darum, Beweise zu sammeln, es geht darum, Hilfe zu leisten. Wird das alles gehen ohne militärischen Schutz in diesem Kriegsgebiet?
    Perthes: Man könnte sich idealerweise vorstellen, dass es einen internationalen Schutz schon lange gegeben hätte, etwa eine Flugverbotszone, die es den Flugzeugen des Regimes verboten hätte, die Städte, die von den Rebellen gehalten werden, von der Opposition gehalten werden, zu bombardieren. Das ist nicht geschehen. Ich glaube, wenn man einsteigt, ich bin sicher, wenn man einsteigt in eine Übergangslösung, wenn es eine Übergangsregierung gibt, die dann tatsächlich Autorität ausüben soll, die zum Beispiel Milizen entwaffnen soll, die Sicherheit wiederherstellen soll, dann wird das nicht ohne die Hilfe einer UN-Truppe oder von der UN mandatierten Friedenstruppe gehen. Dann muss man ganz genau überlegen, wer daran teilnehmen soll, sicherlich keine Staaten, die heute direkt oder indirekt eine der Konfliktparteien militärisch unterstützen, aber vielleicht islamische Staaten aus der weiteren Umgebung. Indonesien beispielsweise hat angekündigt, dass es bereit wäre, für eine solche Truppe Soldaten zur Verfügung zu stellen.
    Iran-Ausladung: "Fatales Vorgehen der Vereinten Nationen"
    Kapern: Nun haben wir, Herr Perthes, in den vergangenen Tagen die Posse erlebt um die Teilnahme des Iran an diesen Gesprächen. Die Regierung aus Teheran wird nun nicht mit dabei sein. Was bedeutet das für die Konferenz?
    Perthes: Ich glaube, das ist ein ganz fatales Vorgehen der Vereinten Nationen gewesen, des Generalsekretärs konkret, das den Vereinten Nationen auch geschadet hat - einfach dadurch, dass man den Eindruck vermittelt hat, man wisse zwar, was richtig ist, nämlich Iran an den Tisch zu holen, man knicke dann aber ein, wenn die USA sagen, das war keine gute Idee. In der Sache, glaube ich, hat Ban Ki-moon recht gehabt, der UNO-Generalsekretär. Iran ist Teil des Problems und nur durch die Teilnahme an einer solchen Konferenz könnte man hoffen, dass Iran vielleicht zum Teil der Lösung wird. Es ist sicherlich besser, Iran als Unterstützer Assads im Zelt, im Konferenzraum gewissermaßen, zu haben als außerhalb des Zelts.
    Kapern: Volker Perthes, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute früh im Deutschlandfunk. Herr Perthes, danke für das Gespräch, einen schönen Tag und auf Wiederhören.
    Perthes: Sehr gerne, Herr Kapern. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.