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Nahost-Konflikt
"Da muss jetzt ein Umdenken passieren"

Mit einer neuen Intifada rechnet Marc Frings, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah, nicht. Den Menschen stecke noch die Ernüchterung der letzten Intifada in den Knochen, sagte er im Dlf. Viele glaubten auch nicht mehr an eine Zweistaatenlösung: "Die denken über ganz andere Konzepte nach."

Marc Frings im Gespräch mit Ute Meyer |
    Maskierter Mann vor brennenden Autoreifen.
    Ein maskierter Palästinenser in der Nähe von Ramallah im Westjordanland (Abbas Momani / AFP)
    Ute Meyer: Droht Israel nun eine neue Intifada, also ein Aufstand der Palästinenser, wie die Hamas angekündigt hat? Unter anderem darüber möchte ich sprechen mit Marc Frings. Er ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für die Palästinensergebiete mit Sitz in Ramallah im Westjordanland. Herr Frings, zunächst einmal die Frage, wie ist die Sicherheitslage bei Ihnen in Ramallah, haben Sie etwas von den Unruhen heute mitbekommen?
    Marc Frings: Ja, seit Mittwochabend spüren wir die Unruhe natürlich sehr deutlich, aber hier im Westjordanland hat man die üblichen Protestbilder gesehen. Menschen waren auf der Straße, sie haben ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, aber insgesamt sind wir weit von einem Massenaufstand und von der Intifada entfernt.
    Meyer: Wird das so bleiben oder befürchten Sie wie viele andere, dass sich das ausweiten könnte?
    Frings: Die erste Intifada, die jetzt genau vor 30 Jahren ausgebrochen ist, war ein wirklicher Volksaufstand, der angeleitet wurde von allen politischen Bewegungen und einen sehr großen Erfolg hatte, nämlich den Beginn des Osloer Friedensprozesses. Jetzt allerdings, im Jahr 2017, steckt in den Knochen der Menschen eher die ernüchternde Erfahrung der zweiten Intifada von Anfang der 2000er-Jahre. Damals hat man eigentlich nichts erreicht außer viele Tote und viele Verletzte, aber kein politisches Ziel. Entsprechend glauben die meisten heute, das ergeben auch unsere Umfragen hier vor Ort, dass die Besatzung, die israelische Militärbesatzung, weitere 50 Jahre andauert. Wir hatten im Juni ja das Jubiläum gehabt, 50 Jahre Militärbesatzung, und die Leute glauben nicht daran, dass es hier bald zu einer Verbesserung kommt.
    "Reaktion auf ein sehr konkretes Ereignis"
    Meyer: Das heißt also, die Bilder der Gewalt, die man im Fernsehen sehen kann, sind Ihrer Einschätzung nach nicht so sehr der Beginn eines Aufstandes, sondern eher der Ausdruck von Frustration und Wut?
    Frings: Es ist die unmittelbare Reaktion auf ein sehr konkretes Ereignis, und das war es, was Donald Trump da verkündet hat. Und da ist es, denke ich, nachvollziehbar, dass sich sehr viel Unmut artikulieren musste. Die Palästinenser sind natürlich nicht überrascht über die Entscheidung per se, weil die Amerikaner ohnehin schon sehr viel Vertrauen hier unter der palästinensischen Bevölkerung verloren hatte. Neu ist vielleicht eher der Umstand, dass der Friedensprozess gestern final beendet wurde, auch für die wenigen Optimisten, die es vielleicht hier vor Ort noch gab, war das ein ganz klares Signal, aber ich sehe nicht das Potenzial, dass die Menschen wegen dieses doch sehr virtuellen Ereignisses – denn die tatsächliche Botschaftsbeziehung in Jerusalem steht ja erst noch an –, ich glaube nicht, dass dies wirklich dazu führt, dass die Leute jetzt hier massenmobilisiert werden. Ein Freund in Jericho sagte mir, ach Jerusalem, das ist für uns so weit weg. Und noch weiter weg ist natürlich die Entscheidung.
    Meyer: Bedeutet das dann also in letzter Konsequenz, dass man sich eh über kurz oder lang damit abfinden wird, dass eben Israel unter dem Schutz der USA den Plan, Jerusalem als Hauptstadt zu installieren, auch offiziell durchsetzen kann?
    Nur eine sehr fragile Mehrheit, glaubt noch daran
    Frings: Na ja, diese Vorstellung gibt es ja ohnehin schon bei den Palästinensern. Palästinensische Kommentatoren weisen immer wieder darauf hin, dass Israel längst Realitäten und Fakten geschaffen hat. Wenn Trump jetzt sagt, er hat die Realität nur ausgesprochen oder synchronisiert, dann ist das aus palästinensischer Sicht natürlich nur die Anerkennung der einen Realität, nämlich der israelischen, während die palästinensische Identifizierung mit der Stadt Jerusalem unter den Tisch fällt. Ich glaube, dass das Vertrauen in eine Zweistaatenlösung weiter abnehmen wird. Schon jetzt ist es nur eine sehr fragile Mehrheit, die noch daran glaubt. Ich glaube, wichtiger wird es jetzt eher sein, wie sich die Beziehung zwischen der Gesellschaft, der Straße einerseits und der palästinensischen Führung entwickeln wird, denn die Führung hier in Ramallah, also die Autonomiebehörde unter Präsident Abbas, war ja im Grunde genommen so The Last Man Standing, also der letzte Akteur, der wirklich glaubhaft dafür einstand, dass nur der friedliche Verhandlungsweg zum Ziel führen kann, zur palästinensischen Staatlichkeit. Und hier ist aus meiner Sicht sehr klar, da muss jetzt ein Umdenken passieren, wenn man noch das Restvertrauen, das es noch in der palästinensischen Gesellschaft gibt, wahren will.
    Eingeengt aufgrund fehlender regionaler Unterstützung
    Meyer: Aber inwiefern muss ein Umdenken passieren? Also vielleicht noch mal zur Erklärung: Die radikale Hamas, die hat ja schon mit Gewalt gedroht, und man könnte meinen, dass sie vielleicht von dem Konflikt auch profitieren wird, die stand zuletzt ziemlich unter Druck, und die Fatah, die als gemäßigt gilt, hat immerhin ein Treffen des Palästinenserpräsidenten Abbas mit US-Vizepräsident Mike Pence abgesagt. Das klingt ja alles sehr nach Konfrontation.
    Frings: Die Hamas in der Tat steht wirklich sehr eingeengt da aufgrund von fehlender regionaler Unterstützung. Die Autonomiebehörde dagegen ist ja hier letztlich mal gewählt worden, die Wahlen liegen dort lange zurück, und jetzt steht eben die Herausforderung an, was würde passieren, wenn es wieder zu Wahlen käme. Und ich glaube, dass im Moment eine Partei oder eine politische Bewegung wie die Fatah mit der aktuellen Ausgestaltung der Politik, wie sie Abbas praktiziert, keine Mehrheit bekäme. Man muss bedenken, dass die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung 30 Jahre oder jünger ist, das heißt, die sind komplett hineingeboren worden in eine absolute Hoffnungslosigkeit, also sozusagen mit der zweiten Intifada sozialisiert wurde. Dieser Teil der Gesellschaft kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie ein palästinensischer Staat oder eine Zweistaatenlösung aussehen soll, und die denken über ganz andere Konzepte nach. Eines dieser Konzepte hat Saeb Erekat, der Generalsekretär der PLO, selbst jetzt ins Feld geführt am Mittwochabend, er sprach von einer Einstaatenlösung, die man jetzt anzustreben hat. Ich glaube, damit nähert man sich zumindest der Stimmung unter der Jugend deutlich mehr an, als wenn man immer noch von der Illusion, wenn ich es überspitzt formulieren darf, der Illusion einer Zweitstaatenlösung spricht, die hier keiner mehr kommen sieht angesichts einer Siedlungsbevölkerung, die mittlerweile an die 600.000 Personen reicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.