Zurheide: Herr Lamers, zunächst einmal die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten: Die Lesart hierzulande ist ja in allererster Linie, er hat das gemacht aus innenpolitischen Gründen. Sehen Sie das ähnlich, denn Sie kennen auch die Vereinigten Staaten sehr gut?
Lamers: Ja, das sehe ich in der Tat ähnlich. Es ist eine innenpolitisch motivierte Entscheidung, man könnte sogar sagen, es ist eine familiäre Entscheidung, die Auswirkungen sind allerdings alles andere als familiär. Wir werden sehen, ob es zu einer großen Intifada noch mal kommt, ich glaube das übrigens nicht, aber die Frage ist natürlich, welche Alternative gibt es denn zu der Zweistaatenlösung. Das ist ja schon in Israel durchaus erörtert worden.
Zurheide: Ich würde da jetzt noch mal einhaken, in der Tat, wir kommen gleich dazu, welche Alternativen es möglicherweise gibt. Ich will auch noch mal nachfragen, Sie sagen, das ist eine möglicherweise innerfamiliäre Entscheidung des US-Präsidenten gewesen, ich will mal seine Position einnehmen – urteilen wir manchmal zu schnell, denn in der Tat kann man ja sagen, alle bisherigen Versuche, irgendetwas zu lösen – man kann immer noch darüber streiten, ob genug gemacht worden ist –, die haben natürlich wenig Erfolg gehabt, das ist richtig. Dieser Teil der Bestandsaufnahme, die kann man nicht bestreiten, oder?
Lamers: Nein, die kann man nicht bestreiten, und in der Tat, darauf ist ja in Israel schon hingewiesen worden, wie man das denn sich vorstellen kann, ein Staat, zwei Völker, die tief zerstritten sind. Sollen die gleichberechtigt beide sein? Wenn man sich das Land nicht teilt, also keine territoriale Teilung, dann muss man sich (…) * teilen, und das ist verdammt, Entschuldigung den Ausdruck, aber verdammt schwer. Ich bin dafür offen, nur das ist eben das Fatale an der amerikanischen Politik, er weiß, was er nicht will, und er zerstört alte Pläne, ohne eine Idee für eine bessere Lösung zu haben,
"Europa hat bislang da absolut versagt"
Zurheide: Genau das ist ja angemahnt worden, dass in der Tat die Frage ist, was kommt dann? Nikki Haley hat gestern vorm UN-Sicherheitsrat geredet, kritisieren kann man, durchaus mit Recht. Was wollen die Amerikaner, auch sein Schwiegersohn, den Sie ja jetzt schon indirekt angesprochen haben, soll da irgendwas gemacht haben, aber haben Sie da je was von gesehen?
Lamers: Nein, ich habe nie was davon gesehen, und ich fürchte auch, dass sonst niemand etwas davon gesehen hat. Nochmals: Das ist das Fatale, er weiß, was er nicht will, aber was er will, das weiß er nicht. Ich füge allerdings hinzu, Herr Zurheide, wissen die Europäer das? Der Nahe Osten heißt ja nicht Naher Osten, weil er nah an Amerika liegt, sondern nahe an Europa, und Europa hat bislang da absolut versagt. Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns ganz, ganz intensiv um die gesamte Region kümmern, denn was die Amerikaner bislang da angerichtet haben, überall, ist alles andere als auch nur halbwegs befriedigend.
Zurheide: Lassen Sie uns genau auf die europäische Haltung kommen, das würde ich gerne mit Ihnen besprechen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hat diese Woche eine Rede in Hamburg gehalten, wo er unter anderem darauf hingewiesen hat, zum Beispiel beim Thema Syrien, wir haben maximal nette Vorschläge, aber ansonsten können wir da wenig beitragen. Was sollte und müsste Europa denn machen, da stehen wir ja gerade vor ganz anderen Herausforderungen?
Durch die Trump-Entscheidung vor den Kopf gestoßen
Lamers: Ja, wir müssten in der Tat eine Strategie entwickeln, eine Politik, die diesen Namen verdient und ausgehen von der Situation, so wie sie ist. Die Situation, so wie sie ist in der ganzen Region, ist zunächst einmal, dass der Iran der Sieger der Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre gewesen ist, dass zweitens Saudi-Arabien ein Land ist, das auf der Kippe steht, das kann man ja gar nicht übersehen, nicht wahr, das übrigens jetzt natürlich durch die Trump-Entscheidung vor den Kopf gestoßen ist, der Trump, der ihnen noch vor einigen Wochen für 375 Milliarden Waffen verkauft hat. Wir müssen die gesamte Region in Betracht ziehen, müssen dabei auch die innere Lage natürlich in Israel sehen. Wissen Sie, das Israel von heute ist nicht mehr das Israel von Rabin, geschweige denn von Ben-Gurion. Es ist nicht mehr das Israel, das durch europäische Juden bestimmt ist, sondern durch Juden aus aller Welt, nicht zuletzt auch aus Russland. Es ist ein Israel, bei dem auch die Politik durch die Religion bestimmt wird, eine der fatalsten Entwicklungen überhaupt, so wie in der ganzen Region. Also es ist eine verdammt schwierige Aufgabe, Entschuldigung für diesen Ausdruck, aber es gibt auch keine Patentlösung, das ist gar keine Frage. Aber wir müssen uns zunächst mal darum kümmern, und zwar, es ist ja gut, dass gestern die Europäer immerhin zusammengeblieben sind bei der Sicherheitsratssitzung, einschließlich Großbritannien. Das ist vielleicht ein Anfang, aber es ist auch nicht mehr als ein Anfang. Ich glaube, es gibt Ansatzpunkte, die man erörtern kann, sowohl in Israel auch diese Konföderationsidee, die es in einer kleinen Gruppe von Israelis und eben Palästinensern gibt. Das müsste man versuchen weiterzuentwickeln. Aber wir können das nicht tun, ohne dass wir die gesamte Nachbarschaft in Betracht ziehen, bis hin zur Türkei, aber vor allen Dingen, es wird nicht anders gehen, als dass man Saudi-Arabien, solange das stabil und handlungsfähig bleibt, und den Iran miteinbezieht.
Zurheide: Aber wie will man diese Konflikte überwinden, oder geraten wir da nicht automatisch wieder in Konflikt auch mit den Vereinigten Staaten, oder sagen Sie, ja, dann müssen wir das eben riskieren und eine starke europäische Stimme gemeinsam in die Waagschale werfen, um die Interessen dort auszugleichen. Darum geht es, sind sie auszugleichen?
Lamers: Ja, also natürlich, wir geraten in Konflikt mit der derzeitigen Administration in den USA, und das ist ja eine Schwierigkeit, die über Israel und den Nahen Osten hinausreicht. Das heißt auch, wir brauchen viel Geduld und Standfestigkeit, und wir brauchen eine grundsätzliche Haltung zu den Vereinigten Staaten, wo wir sagen, die Administration derzeit, die ist das eine, aber es gibt auch das andere Amerika. Wir dürfen nie sagen, Amerika ist so und so, dann hat man schon verloren. Amerika ist immer so und auch anders, und wir müssen eine Amerika-Strategie, eine USA-Strategie natürlich auch entwickeln, ganz, ganz, ganz dringend. Es kann ja nicht zweifelhaft sein, dass wir auf die USA nach wie vor angewiesen sind, wir müssen nur dafür sorgen, dass sie auch auf uns angewiesen sind, was bislang nicht der Fall ist. Dieser Schritt mit Jerusalem, niemand ist dafür und davon anscheinend nur unterrichtet worden, geschweige denn konsultiert worden.
Dringend eine neue Lösung
Zurheide: Das macht es natürlich extrem schwer. Das wird schwierig genug, da stimme ich Ihnen zu. Was könnte denn im Nahen Osten passieren? Sie haben gerade gesagt, wir müssen vielleicht weg von dieser Überlegung Zweistaatenlösung, die zu nichts geführt hat. Eine Konföderation, dieser Gedanke taucht auf, und das ist die sogenannte dritte Lösung, nur auch da müssen natürlich die widerstrebenden Interessen, die ja auf allen Seiten da sind. Sie haben die Heterogenität der neuen israelischen oder der sich verändernden israelischen Gesellschaft angesprochen, dann haben wir die Konflikte, die natürlich auf palästinensischer Seite da sind, wir haben sie auch mehr als einmal schon beschrieben. Glauben Sie, in einer Konföderation kann man das besser zusammenbinden?
Lamers: Ich weiß es nicht, aber die Zweistaatenlösung scheint mir wirklich tot zu sein, und deswegen müssen wir versuchen, eine neue zu entwickeln, und wir müssen ganz massiv dort vertreten sein, ganz massiv. Und wir müssen uns übrigens darauf einstellen, Herr Zurheide, dass auch das beispielsweise viel Geld kostet. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir in einer Welt leben und dass wir nicht mehr nur an uns denken können, und auf diesem Hintergrund ist mir die innenpolitische Diskussion und Entwicklung in unserem Lande das, was mir am meisten Sorge macht. Aber gut, der Macron hat immerhin bewiesen, dass es auch anders geht. Er spricht im Augenblick für Europa, er handelt da ja auch, er hat es sehr klug gemacht bislang, das kann man nicht anders sagen. Ich habe keine Patentlösung, das ist klar, und wir müssen uns vorwerfen, dass wir es immer den Amerikanern auch überlassen haben. Dann haben wir gemurrt, nicht wahr, aber es dann schließlich hingenommen, ungezählte Male auch in der Vergangenheit. Wissen Sie, die amerikanische Nahostpolitik fing an, 1952 mit dem Sturz von Mossadegh im Iran problematisch zu werden, um es mal vorsichtig auszudrücken. Das haben wir alles hingenommen. Wir müssen uns auf die eigenen Beine stellen, nicht gegen die USA, aber zunächst einmal auch unabhängig von den USA.
Zurheide: Ein vehementes Plädoyer für eine europäische Lösung auch von Ihnen, Karl Lamers, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, danke schön!
Lamers: Gerne!
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* Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der Tonqualität war diese Stelle unverständlich.