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Nahost-Konflikt
Gazastreifen am Scheideweg

Nur wenig Strom, mangelnde gesundheitliche Versorgung, gesperrte Grenzen - die Lage im Gazastreifen spitzt sich weiter zu. Gleichzeitig laufen Vermittlungsversuche. Doch die Angst sitzt mit am Verhandlungstisch: Ohne Einigung, steigt die Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges.

Von Benjamin Hammer |
    Trauernde nehmen an der Beerdigung von Fadi al-Batsch, palästinensischer Ingenieur und Mitglied der Hamas, teil. Die Leiche des in Malaysia ermordeten palästinensischen Ingenieurs ist am Donnerstag im Gazastreifen angekommen.
    Trauernde nehmen an der Beerdigung von Fadi al-Batsch, palästinensischer Ingenieur und Mitglied der Hamas, teil (Picture alliance / dpa / Wissam Nassar )
    Die Stadt Shejaiya im Zentrum des Gazastreifens. Irgendwo im Himmel kreist eine israelische Überwachungsdrohne. Mohammed Schamadi sagt: Wenn er die Drohne höre, dann denke er an Krieg. Der 36-Jährige hat sein ganzes Leben in der Stadt verbracht. Hier hat er vor vier Jahren den letzten Krieg zwischen der Hamas und Israel erlebt: "Unser gesamtes Viertel wurde zerbombt. Die Konturen der Häuser waren verschwunden. Vertreter der Stadt mussten erst einmal markieren, wie die Grundstücke überhaupt verlaufen. Damit die Häuser wieder aufgebaut werden können. Unser Viertel war wie ausradiert."
    Heute ist kaum noch erkennbar, was sich hier vor vier Jahren ereignete. Nur ein rechteckiges, kleines Haus an der Hauptstraße erinnert an den Krieg. In der Fassade: Einschusslöcher, manche sind größer als ein Fußball. Auf die Hauswand hat jemand auf Arabisch den Namen eines getöteten Palästinensers gesprüht. Die Israelis würden ihn einen Terroristen nennen. Doch auf dem Haus im Gazastreifen steht geschrieben: Er ist ein "Schahied". Ein Märtyrer.
    "Es ist wie die Hölle"
    Die israelische Luftwaffe flog vor vier Jahren schwere Angriffe auf Shejaiya und begründete das damit, dass aus der Stadt viele Raketen in Richtung Israel gefeuert wurden. Während des Krieges, erzählt Mohammed Schamadi, sei das Haus der Familie von einem israelischen Kampfjet bombardiert worden. Um vier Uhr morgens.
    porträt von Mohammed Schamadi  - er verlor bei einem Angriff Israels seine Eltern und zwei Geschwister
    Mohammed Schamadi verlor bei einem Angriff Israels seine Eltern und zwei Geschwister (Benjamin Hammer / deutschlandradio)
    "Erst sieht man ein helles Licht. Es ist wie die Hölle. Und dann spürt man die Detonation. Das Haus wurde total zerstört. Und dann habe ich gesehen, dass meine Eltern und zwei Geschwister tot waren. Da konnte ich nicht mehr denken. Da war ich nur noch leer."
    Eine Gruppe von Kindern spielt in einer Gasse. Mohammed Schamadi sagt: Frieden werde es niemals geben. Sein Hass auf Israel werde ewig anhalten. Es sind Worte, die im Gazastreifen häufiger fallen. Gleichzeitig gibt es aber nichts, was der Palästinenser mehr fürchtet, als einen neuen Krieg. Schamadi hat sechs Kinder. Um die macht er sich die größten Sorgen.
    Desolate humanitäre Lage im Gazastreifen
    Israel und der Gazastreifen liegen direkt nebeneinander. Sie sind verbunden durch Kanäle, Strom- und Telefonleitungen. Getrennt werden die beiden Gebiete durch die tiefe Feindschaft zwischen Israel und der Hamas. Vor elf Jahren übernahm die islamistische Hamas die Kontrolle im Gazastreifen. Eine Gruppe, die von Israel als Terrororganisation eingestuft wird. Drei Mal schon eskalierte der Konflikt zu Kriegen. In der Region gibt es viele, die sagen: Ein vierter Krieg steht kurz bevor. Soweit würde Mukhaimer Abu Saada noch nicht gehen. Er ist Politikwissenschaftler und forscht an der Al Azah-Universität in Gaza-Stadt: "Die Hamas will keinen neuen Krieg mit Israel. Sie weiß: Das wird die Probleme nicht lösen. Im Gegenteil: Ein Krieg würde nur noch mehr Verzweiflung bringen für die zwei Millionen Palästinenser in Gaza. Klar ist aber auch: So kann es nicht weitergehen. Die Israelis müssen jetzt die Blockade aufheben oder zumindest lockern. Sie müssen die Lebensbedingungen für die Menschen verbessern."
    Die von der Israelischen Feuer- und Rettungsbehörde zur Verfügung gestellte Aufnahme zeigt einen Feuerwehrmann der mit Schläuchen durch ein Getreidefeld geht. 
    Feuer-Drachen lösen Brände in Israel aus (picture alliance / dpa / Israel Fire and Rescue Authority)
    Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist desolat. Was nicht nur an der weitgehenden Blockade des Küstenstreifens durch Israel und Ägypten liegt. Ein weiterer Grund: Der erbitterte Machtkampf zwischen den palästinensischen Parteien Hamas und Fatah. Im Gazastreifen gibt es seit über einem Jahr nur rund fünf Stunden Strom am Tag. In den Krankenhäusern fehlen lebenswichtige Medikamente.
    "Es ist kein Geheimnis: Die Lebensbedingungen werden immer schlechter. Armut, Arbeitslosigkeit, der Mangel an Strom. Kaum noch sauberes Trinkwasser. Und so weiter. Die Frage ist nun: Gegen wen richtet sich die Wut der Palästinenser? Gegen die Hamas? Oder gegen Israel?"
    In den vergangenen Monaten ist ein Aufstand der Bevölkerung gegen die Hamas weniger wahrscheinlich geworden. Denn die hat sich hinter die Massenproteste am Grenzzaun geklemmt und verspricht: Der sogenannte Marsch der Rückkehr werde zu einem Ende der israelischen Blockade führen. Weiterhin schicken junge Palästinenser Flugdrachen und Luftballons mit Brandsätzen über die Grenze nach Israel – animiert durch die Hamas. Die sagt, dass das alles "gewaltfreier Protest" sei. Die israelische Armee sieht das anders. Und warnt: Wenn die Hamas nicht aufhört, werde man entschieden reagieren.
    Seit Anfang der Woche hält Israel den Grenzübergang Kerem Shalom geschlossen. Nahrungsmittel und Medikamente dürfen die Grenze zwar weiterhin passieren. Doch die Geschäftsleute im Gazastreifen fürchten, dass es die Wirtschaft endgültig zum Erliegen bringen wird. Die Schließung des Warenüberganges durch Israel, dürfte auch manche Vertreter der israelischen Armee nervös machen. Hinter den Kulissen warnen sie: Wenn sich die Bedingungen im Gazastreifen weiter verschlechtern, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines neuen Krieges.
    Katar investiert viel Geld in Gazastreifen
    Wenn man die Küstenstraße des Gazastreifens entlang fährt, sieht man immer wieder Flaggen des Golfstaates Katar. Das Land hat in den letzten Jahren viel Geld im Gazastreifen investiert. Und es könnte nun dabei helfen, einen neuen Krieg zwischen Israel und der Hamas zu verhindern.
    "Es ist völlig offensichtlich", sagt der Politikwissenschaftler Abu Saada. "Alle Parteien haben zugegeben, dass es indirekte Verhandlungen gibt zwischen Israel und der Hamas. Katar hat bestätigt, dass es zwischen den Parteien einen möglichen langfristigen Waffenstillstand vermittelt."
    Zwei Kinder spielen im Gazastreifen
    Kinder im Gazastreifen (Picture alliance / EPA / Mohammed Saber)
    Chancen gibt es in dieser desolaten Lage genug. Die Hamas könnte sich endlich mit der rivalisierenden Fatah vertragen. Israel und die Hamas könnten einen Gefangenenaustausch vereinbaren. Die Hamas könnte sich verpflichten, alle Formen der Gewalt einzustellen, Israel könnte dafür die Blockade lockern. Doch Chancen bergen Risiken. Denn bisher gibt es bei allen Szenarien keine erkennbaren Fortschritte.
    Rettung im Krieg?
    "Wenn es in den nächsten sechs Monaten keine Versöhnung zwischen den palästinensischen Parteien gibt und wenn es keinen Deal gibt zwischen Israel und der Hamas, dann steht uns eine neue kriegerische Konfrontation im Gazastreifen bevor."
    Denn dann würde der Druck auf die Hamas so sehr steigen, dass sie ihre Rettung in einem Krieg suchen könnte. Eine Eskalation, die sie gar nicht will. Im Nahen Osten sind bereits mehrere Kriege ausgebrochen, den alle Seiten eigentlich vermeiden wollten.