Im Schuhgeschäft von Samer Mudschahad in Ramallah ist nicht viel los. Die Freunde des Inhabers sind da - aber keine Kunden. Vor ein, zwei Jahren habe er an einem Tag einen Umsatz von 5000 Schekel gemacht, sagt Samer Mudschahad, also umgerechnet etwa 1.200 Euro. Heute verkaufe er 60 Prozent weniger.
"Die Lage ist sehr, sehr schlecht. Die Leute kaufen jetzt nur noch ein, wenn es gar nicht mehr anders geht. Sie brauchen ihr Geld für die Miete und für den Strom."
Seit mehreren Wochen bekommen die Angestellten der Palästinensischen Autonomiebehörde nur etwa die Hälfte ihrer Gehälter ausgezahlt. Die "PA" hat akute Finanzprobleme. Israel erhebt für die Palästinenser Steuern und Zölle, zum Beispiel, wenn Waren über israelische Häfen in die palästinensischen Gebiete gelangen. Seit Februar kürzt Israel das Geld: um etwa 125 Millionen Euro pro Jahr - Geld, das die Palästinenser nach israelischer Darstellung an die Familien von Attentätern überweisen oder an deren Hinterbliebene, wenn die Attentäter von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurden. Weil die Palästinenser die Maßnahme der Israelis kategorisch ablehnen, nehmen sie nun gar kein Geld mehr an - und verlieren damit bis zu 2,2 Milliarden Euro pro Jahr. Der Schuhverkäufer Samer Mudschahad findet das richtig so.
"Wenn Israel uns auch nur einen Schekel abzieht, dann lehnen wir das gesamte Geld ab. Denn wenn wir uns einmal auf solche Spiele einlassen, ist völlig unklar, was später noch folgen wird."
Aus Sicht vieler Palästinenser sind getötete Attentäter keine Terrorristen, sondern Märtyrer, die im Kampf gegen die israelische Besatzung gestorben sind. Die Autonomiebehörde betont, dass sie Ehepartner und Kinder der Attentäter finanziell nicht im Stich lassen könne. Außerdem könne es nicht angehen, dass Israel definiere, wer ein Terrorist sei. Die Gefangenen- und Märtyrerrenten erhielten vor allem jene, die unschuldig in israelischen Gefängnissen säßen oder getötet worden seien.
"This is our money."
"Das ist unser Geld", sagt, Hanan Ashrawi, die im Exekutivkomitee der PLO sitzt, der Palästinensischen Befreiungsorganisation:
"Wir leben unter Besatzung. Israel nutzt den Umstand, dass es unsere Grenzen kontrolliert und erhebt unsere Zölle. Und dann nutzt Israel das Geld, um uns politisch zu erpressen."
Gegenüber der New York Times sagte der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Mohammed Schtajje: Der Region drohe ein sehr heißer Sommer. Und er meinte nicht das Wetter. Die Palästinensische Autonomiebehörde könne schon bald kollabieren. Auch Marc Frings von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah beobachtet die angespannte Lage mit Sorge. Er sagt:
"Über 130.000 Menschen arbeiten für die Autonomiebehörde. An jedem Gehalt sitzen ungefähr fünf bis zehn Familienangehörige. Die Autonomiebehörde hängt zu 70 Prozent von den Finanztransfers ab, die aus Israel kommen. Im Moment wird geschätzt, dass man vielleicht noch bis Juli oder August in der Lage ist, diese Zahlungen aufrechtzuerhalten. Dann drohen weitere Gehaltskürzungen. Und auch der Bankrott der Autonomiebehörde steht im Raum."
Betroffen ist vor allem der Polizei- und Sicherheitsapparat
Vor ein paar Tagen, so berichten israelische Medien, soll sich der Chef des israelischen Geheimdienstes Schin Bet mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas getroffen haben. Der Israeli wollte Mahmud Abbas davon überzeugen, wieder Überweisungen aus Israel anzunehmen – trotz der Kürzungen durch Israel. Für die israelischen Sicherheitsbehörden steht viel auf dem Spiel: Sie arbeiten seit Jahren mit den Sicherheitskräften der Autonomiebehörde zusammen. Die Zahl von Terroranschlägen ist drastisch zurückgegangen. Marc Frings:
"Die größte Gruppe der PA-Angestellten sind solche, die im Sicherheitsapparat arbeiten. Wenn diese Beamten im Polizei- und Sicherheitsapparat nicht mehr bezahlt werden können, dann ist - und das ist im Grunde das Schreckensszenario - auch nicht mehr gewährleistet, dass die Sicherheit für Israel gewährleistet werden kann."
Inner-israelische Kritik an Netanjahu-Kurs
Vertreter der israelischen Armee und der Geheimdienste, so berichten israelische Medien, haben sich dagegen ausgesprochen, dass Israel die Gelder für die Palästinenser kürzt. Die israelische Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu bleibt aber dabei: Die Autonomiebehörde zahle keine Gefangenen- sondern Terrorrenten und biete damit möglichen künftigen Terroristen einen Anreiz, ein Attentat zu verüben. Im erneuten israelischen Wahlkampf ist es höchst unwahrscheinlich, dass Benjamin Netanjahu einlenkt. Gleichzeitig betont die palästinensische Autonomiebehörde, die Zahlungen an Gefangene und Hinterbliebene auf keinen Fall einzustellen. Die sogenannten Märtyrerrenten sind in der palästinensischen Bevölkerung populär. Und die Autonomiebehörde, die seit Jahren ohne eine Neuwahl an der Macht ist, hat nur noch wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Vor kurzem wurde bekannt, dass die palästinensische Regierung vor zwei Jahren klammheimlich die Ministergehälter kräftig erhöhte. In der Bevölkerung sorgte das für Empörung, auch beim Schuhhändler Samer Mudschahad aus Ramallah. Der Palästinenser glaubt, dass es am Ende des finanziellen Machtkampfes zwischen Israel und der Führung der Palästinenser eine Lösung geben wird.
"Wir Palästinenser machen uns keine Sorgen. Wir haben uns daran gewöhnt, mit allen möglichen Situationen umzugehen. Aber: Weder Israel, noch die USA haben ein Interesse daran, dass die Autonomiebehörde kollabiert. Sie haben ein Interesse daran, dass sie fortbesteht."