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Nahost-Konflikt
Rudolf Dreßler: "Beide Seiten zum Frieden nötigen"

Nach den jüngsten Gewalttaten müsse die Lage im Nahen Osten als ernst bezeichnet werden, sagte der ehemalige deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, im DLF. Der Weg zu einer neuen Friedensinitiative sei verbaut, weil sich beide Seiten nicht anerkennen wollten. Es bleibe nur, sie mit deutlichen Handlungen zum Frieden zu nötigen.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Doris Simon |
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler (SPD) in der ARD-Talkshow ANNE WILL am 30.07.2014 in Berlin
    Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler (SPD) (imago / Müller-Stauffenberg)
    Fachleute in Israel hätten schon länger vor einer dritten Intifada, eines neuerlichen Aufstands der Palästinenser gewarnt, sagte der ehemalige deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, im DLF. Der Konflikt lasse sich auch nicht innerhalb weniger Tage beilegen. Es sei ein Aufstand von unten, auf den auch die palästinensische Führung nur wenig Einfluss habe.
    Ein Grund für die gewalttätigen Proteste der palästinensischen Jugend sei die israelische Siedlungspolitik, sagte Dreßler, "die pausenlose Wegnahme von Land", das die Palästinenser eigentlich für ihren eigenen Staat bräuchten. Dafür sehe die Jugend aber keine Perspektive mehr. Man könne nur feststellen: "Netanjahu will die Zweistaatenlösung nicht mehr", sagte Dreßler. Es bleibe nur, wie es der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer formuliert habe, beide Seiten zum Frieden zu nötigen. Dafür reichten auch öffentliche Äußerungen nicht mehr aus, mit wirtschaftlichen Maßnahmen müsse "kräftiger Druck praktiziert werden", sagte Dreßler. Die USA fielen dafür wegen des Wahlkampfes aus, "aber Europa könnte das".

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Was sich in diesen Tagen in Israel und in Palästina tut, das ist längst nicht mehr eine Welle der Gewalt, denn eine Welle, die ebbt irgendwann ab. Aber die Gewalt und die Konfrontation dort nehmen eher zu. Daran ändert auch nichts der massive Einsatz der israelischen Armee und die Vergeltung nach Anschlägen und Morden. Die Sicherheitskräfte konnten auch nicht verhindern, dass es inzwischen sogar zu Angriffen im israelischen Kernland kommt. Auch deshalb wurden die ursprünglich für heute geplanten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen abgesagt. Premierminister Benjamin Netanjahu will in dieser Situation Israel nicht verlassen.
    Mitgehört hat Rudolf Dreßler (SPD), der Deutschland als Botschafter in Israel vertreten hat. Guten Morgen.
    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!
    Simon: Herr Dreßler, die regelmäßigen Konsultationen zwischen der Bundesregierung und der israelischen Regierung sind ja auch eine Demonstration der Nähe und für die israelische Seite eine wichtige internationale Anerkennung. Dass Benjamin Netanjahu diese Gespräche jetzt abgesagt hat, was bedeutet das für Sie über die Lage in Israel?
    Dreßler: Wenn er es abgesagt hat aus den innenpolitischen Gründen in Israel, dann geht es wohl darum, dass die Lage als durchaus ernst betrachtet werden muss. Es gab ja schon seit einiger Zeit Fachleute in Israel, die vor dem Ausbruch einer dritten Intifada gewarnt haben, und diese Warnungen, die auch öffentlich gemacht worden sind, die sind wohl ernst zu nehmen. Das ist jetzt eine Situation, von der man nicht sagen kann, das lässt sich innerhalb von einigen Tagen wieder beruhigen. Der Kernpunkt der Auseinandersetzung, der ist vielleicht mit dem Satz zu umschreiben, dass das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern von einer chronischen Konstellation der Nichtanerkennung geprägt ist, und da liegt das eigentliche Problem. In beiden Lagern will man die Anerkennung des anderen Staates nicht akzeptieren und damit ist ein Weg zu einer neuen friedenspolitischen Offensive verbaut.
    Simon: Herr Dreßler, wenn wir mal auf diesen Konflikt im Augenblick schauen. Palästinenser-Präsident Abbas scheint ja keinen Einfluss auf die Gewalt vonseiten der Palästinenser zu haben. Würden Sie das als einen Beleg sehen, dass das wirklich ein Aufstand von unten ist?
    Dreßler: Ich glaube, das zu unterschätzen, wäre sehr wagemutig. Ich glaube schon, dass dieses ein Aufstand von unten ist, weil die Perspektive für einen Staat, für einen eigenständigen palästinensischen Staat mit der Siedlungspolitik Israels nicht in Einklang zu bringen ist. Die Siedlungspolitik bedeutet pausenlos die Wegnahme von Land, was man eigentlich in einer Zwei-Staaten-Lösung der anderen Seite zugestehen muss, und wenn dieses so weitergeht - und es ist ja nicht so, dass irgendein Stopp zu erkennen ist -, dann sehen die Palästinenser für ihre Perspektive eines eigenen Staates kein Ziel mehr, kein Ergebnis mehr, und das ist der Grund, warum die politische Führung in Palästina dieses nicht mehr in den Griff bekommt.
    "Netanjahu will die Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr"
    Simon: Das, was Sie gerade beschreiben, Herr Dreßler, ist ja etwas, was man schon seit langem sieht, worüber auch schon seit langem international gesprochen wird, und dass es sich zuletzt immer weiter verschlimmert hat, der Druck, die Situation in Palästina, in Jerusalem, davor haben ja viele Nichtregierungsorganisationen, aber auch palästinensische Politiker gewarnt. Hat Ihrer Meinung nach die Bundesregierung, die ja einen guten Draht hat nach Israel, ihre Möglichkeiten ausreichend genutzt?
    Dreßler: Ich glaube schon, dass sie das im Innenverhältnis, wenn auch nicht über irgendeine Presseagentur sehr wohl getan hat. Man kann den deutschen politischen Führungen parteiübergreifend da keinen Vorwurf machen. Das geht ja so weit, dass auch Repräsentanten der Vereinigten Staaten sehr deutliche Worte offen gesprochen haben. Das gilt nicht nur für den augenblicklichen Präsidenten Obama. Wenn ich daran erinnere, dass der ehemalige Präsident Clinton bereits vor vier Jahren Netanjahu öffentlich attackiert hat. Er hat die Weigerung der Netanjahu-Regierung am Ende der Clinton-Amtszeit, die ausgehandelten Parameter für eine Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren, und den demographischen Wandel in Israel zugunsten der national-religiösen Kräfte dafür verantwortlich gemacht. Deutlicher kann ein amerikanischer Präsident sich öffentlich auch nicht mehr äußern. Wir müssen einfach erkennen: Netanjahu mit seiner augenblicklichen Regierung will die Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr.
    Simon: Jetzt gibt es trotzdem das Problem, dass da etwas, was immer schon ein Pulverfass war in der Region, zu einem Brandherd werden könnte. Die israelische Seite hat mit den alten Rezepten reagiert auf die Gewalt von palästinensischer Seite: Gegengewalt, Vergeltung. Das hat aber überhaupt nichts beruhigt, das haben wir ja eben noch mal gehört. Wenn Sie sagen, die Möglichkeiten der Bundesregierung, die Möglichkeiten der Amerikaner sind begrenzt, wer oder was kann in der jetzigen Situation etwas verändern?
    Dreßler: Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hat das mal so formuliert, dass man beide Seiten für eine Verständigung nötigen müsse, und ich glaube, dass diese Auffassung von Joschka Fischer, die vor einiger Zeit geäußert worden ist, den Sachverhalt einigermaßen trifft. Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass man Frieden nicht mit Freunden verhandelt, sondern mit Feinden, und genau dieses ist der eigentliche Punkt, der beiden Seiten klargestellt werden muss.
    "Über wirtschaftspolitische Dinge mit kräftigem Nachdruck regeln"
    Simon: Aber wie sollte diese Nötigung vorgehen? Sie haben ja gerade plastisch beschrieben, was alles probiert worden ist im Fall Netanjahu.
    Dreßler: Die öffentlichen Äußerungen reichen wahrscheinlich nicht mehr aus. Die Staatengemeinschaft muss andere Maßgaben beschließen und muss der israelischen Seite und der palästinensischen Seite, ich sage mal, mit deutlichen Handlungen zeigen, dass sie die augenblickliche Lage nicht mehr akzeptieren. Das kann aber nicht über irgendeine Presseagentur erfolgen, sondern das muss man beiden Seiten klipp und klar dann auch formulieren. Und solche Gespräche, wie sie jetzt zwischen deutscher Regierung und israelischer Regierung möglich gewesen wären, die hätten ein Mittel sein können, dieses zu praktizieren. Das wird jetzt möglicherweise auf November verschoben werden müssen, aber besser im November wird es gesagt als gar nicht.
    Simon: Sie sagen, handeln. Bei den Amerikanern könnte es zum Beispiel die milliardenschwere Militärhilfe sein. Was hätte denn die Bundesrepublik über das Einwirken, Drängen hinaus für praktische Handlungsmöglichkeiten?
    Dreßler: Bei uns ist das gleiche, wie es in der europäischen Staatengemeinschaft und bei den Vereinigten Staaten auch ist. Dieses lässt sich über wirtschaftspolitische Dinge sehr wohl mit, ich sage mal, kräftigem Nachdruck regeln. Aber es muss dann auch praktiziert werden. Die Amerikaner sind jetzt de facto bald schon wieder in einem Wahlkampf und fallen für ein solches Standing aus, aber die europäische Wertegemeinschaft könnte es versuchen zu händeln. Ich sehe aber zurzeit nach jedenfalls außen keine Signale, die das möglich machen, und dadurch, dass jetzt die Konsultationen abgesagt worden sind, wird ja wieder eine wichtige Strecke an Zeit vergehen, die beiden Seiten dann hinterher fehlt. Wenn es jetzt zwischenzeitlich weiterhin eskaliert, dann wird eine neue Chance verpasst sein.
    Simon: Die Einschätzung von Rudolf Dreßler, dem ehemaligen Botschafter Deutschlands in Israel. Herr Dreßler, vielen Dank.
    Dreßler: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.