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Nahost-Konflikt
"Zeichen stehen auf Eskalation"

Eine Deeskalation der Lage im Nahen Osten wird für die Nahost-Expertin Muriel Asseburg immer unwahrscheinlicher. Die internationale Gemeinschaft müsse massiveren Druck auf beide Seiten ausüben. Die bisherigen Bemühungen hätten nicht zu einer Zwei-Staaten-Realität geführt.

Muriel Asseburg im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 09.07.2014
    Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg.
    Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg sieht den Nahen Osten von einer Zwei-Staaten-Realität weit entfernt. (dpa / SWP)
    Beide Seiten hätten sich tief in ihren Positionen eingegraben und würden immer wieder Drohkulissen aufbauen. Im aktuellen Konflikt würden außerdem die Keime für neue Krisen gelegt, sagte Nahost-Expertin Muriel Asseburg im Interview mit dem Deutschlandfunk.

    Sowohl der Raketenbeschuss der Hamas aus dem Gazastreifen heraus auf Israel als auch die israelischen Luftangriffe auf das Palästinenser-Gebiet entfernten den Nahen Osten immer weiter von einer Zwei-Staaten-Realität.
    Vor diesem Hintergrund hält die Nahost-Expertin vor allem die Bemühungen der USA, den Nahen Osten dauerhaft zu befrieden, für gescheitert.

    Das Interview mit Muriel Asseburg in voller Länge:
    Matthias von Hellfeld: Die Menschen sind in Erwartung einer israelischen Bodenoffensive. Bis dahin versucht die israelische Armee, mit Raketenbeschuss die Kampfkraft der Hamas zu schwächen. Keine guten Aussichten also für den Nahen Osten. Darüber will ich jetzt sprechen mit Muriel Asseburg. Sie ist Nahost-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Abend!
    Muriel Asseburg: Ja, guten Abend.
    von Hellfeld: Lässt sich von heute Abend gesagt die Eskalation der Gewalt noch verhindern?
    Asseburg: Sehr unwahrscheinlich, weil die ja schon die ganzen letzten Wochen immer weiter eskaliert ist. Beide Seiten haben sich ganz stark eingegraben und, sagen wir, die Bemühungen, die es gegeben hat in den letzten Tagen, doch noch eine Waffenruhe herbeizuführen, oder einen temporären Waffenstillstand zwischen den militanten Gruppen im Gazastreifen und Israel, haben nicht gefruchtet, und jetzt stehen tatsächlich die Zeichen auf Eskalation.
    von Hellfeld: In Israel sind 40.000 Reservisten mobil gemacht worden. Wie deuten Sie das?
    Asseburg: Das heißt ganz klar, dass man sich auf eine Bodenoffensive vorbereitet, dass man zumindest die Option haben möchte, jetzt sehr schnell auch mit Soldaten, mit Bodentruppen in den Gazastreifen reinzugehen.
    von Hellfeld: Was sollen die dort erreichen?
    Asseburg: Na ja, man hat bei der letzten Offensive, der letzten größeren Offensive im Gazastreifen gemerkt, dass mit Luftschlägen allein die Infrastruktur der militanten Gruppen schlecht zu zerstören ist, dass man tatsächlich auch Truppen vor Ort auf dem Boden braucht, um da effektiv vorgehen zu können, und ich denke, man möchte diesmal vermeiden, dass die Offensive sich wochenlang hinzieht, und daher lieber schnell rein. Es kann aber auch sein, dass man tatsächlich nur versucht, jetzt eine große Drohkulisse aufzubauen, dass die Bodenoffensive nicht stattfindet.
    von Hellfeld: Wer jemals im Gazastreifen war, der kann sich nur schwer vorstellen, dass man dieses Problem militärisch lösen kann. Der Keim des nächsten Konfliktes ist doch gegeben, oder nicht?
    "Der Ansatz der Amerikaner ist gescheitert"
    Asseburg: Richtig. Und wir sehen ja auch, dass das, was jetzt passiert, nämlich diese Eskalation, Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, Beschuss, Bombardierungen vonseiten Israels im Gazastreifen, schon eine Reaktion auf das ist, was vorher passiert ist, nämlich die Entführung der drei jungen Religionsschüler in der Westbank, dann in Reaktion daraufhin eine sehr massive Operation Israels in der Westbank, Massenverhaftungen unter anderem von Abgeordneten des palästinensischen Legislativrates, dabei massives Vorgehen auch gegen die Bevölkerung und daraufhin dann jetzt die Reaktion der militanten Gruppen und auch der Hamas aus dem Gazastreifen.
    von Hellfeld: Die amerikanische Nahostpolitik ist in Ihren Augen gescheitert?
    Asseburg: Der letzte Ansatz, die letzten Bemühungen von Staatssekretär Kerry sind ganz klar im Sande verlaufen, waren nicht erfolgreich, und ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass tatsächlich der Ansatz, der in den letzten Jahren von Seiten der Amerikaner gefahren worden ist, gescheitert ist.
    Das heißt nicht, dass nicht grundsätzlich es möglich wäre, die Seiten zu einem Abkommen zu bringen, aber ich denke, um das zu erreichen, müsste man tatsächlich mit wesentlich massiverem Druck auf beide Seiten vorgehen und die internationale Gemeinschaft müsste bereit sein, hier tatsächlich diesen Druck auszuüben, die Vorgaben zu machen, sehr viel deutlichere Vorgaben, als Kerry bereit war, das zu tun, und die beiden Seiten auf diese Vorgaben verpflichten.
    "Beiden Seiten deutlichere Vorgaben machen"
    Die Vorgaben sind uns alle bekannt. Die hat zum Beispiel Präsident Clinton damals nach seinen gescheiterten Vermittlungsbemühungen veröffentlicht. An denen müsste sich das orientieren, wenn man tatsächlich zu einer Zwei-Staaten-Regelung kommen will. Was wir jedoch sehen ist genau das Gegenteil. Wir sehen die Verfestigung einer Realität, wo ein Staat die Kontrolle letztlich über das gesamte Gebiet hat, also eine Ein-Staaten-Realität, und wir sehen, dass die ganzen Bemühungen seit dem Oslo-Abkommen über die letzten 20 Jahre hinweg nicht dazu geführt haben, dass wir uns dieser Zwei-Staaten-Realität angenähert hätten.
    von Hellfeld: Soweit Muriel Asseburg, die Nahost-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, mit der ich vor dieser Sendung gesprochen habe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.