Zugespitzt, alarmistisch bis reißerisch – so klingen die Titel der öffentlich-rechtlichen Talkshows oft und setzen damit schon vor Beginn der Sendung ein gewisses Framing. Das hat die Studie „Die Talkshow-Gesellschaft“ der linksliberalen Denkfabrik „Progressives Zentrum“ bereits im Jahr 2020 kritisiert. Geändert hat sich an dieser Praxis wenig, auch nicht mit Blick auf den Krieg im Nahen Osten.
„Krieg in Nahost. Gefahr für die Welt?" hieß zum Beispiel kürzlich eine Ausgabe der ZDF-Talkshow "Maybrit lllner". Die Sendung "hart aber fair" titelte: "Erst Terror, bald Krieg. Keine Chance auf Frieden im Nahen Osten?" – und machte eine Woche später eine Sendung unter der Überschrift: "Der Weg der Gewalt: Kann das Sterben in Nahost gestoppt werden?".
"Damit erzielt man erstmal Aufmerksamkeit"
Für Professor Jens Wolling ist dieses Vorgehen erstmal nicht ungewöhnlich: "Negativismus, Konflikt – das sind einfach klassische Nachrichtenfaktoren. Damit erzielt man erstmal Aufmerksamkeit", hält der Medienforscher von der TU Ilmenau fest. "Es ist nicht völlig überraschend und keine Besonderheit dieses Konfliktes, dass wir diese Art von Themen haben und die Brisanz erstmal auf die Tagesordnung zu stellen ist durchaus legitim.“
Das sieht zunächst auch Sigrun Rottmann so. Sie leitet das Seminar für konfliktsensitiven Journalismus am Institut für Journalismus an der TU Dortmund. "Zum einen wählt man solche Titel, weil man meint, dass man damit das Publikum anspricht. Also ein Titel wie 'Krieg im Nahen Osten. Um was geht es und wie geht es weiter?', der ist vielleicht aus Sicht der Redaktionen nicht so attraktiv."
Aber: Rottmann sieht die Talkshow-Macher auch in der Verantwortung: "Also sie sollten sich auf jeden Fall Gedanken über ihr Framing machen. Welche Bilder erzeugen sie in den Köpfen des Publikums mit diesen Überschriften. Sie sollten möglichst nicht alarmistisch sein."
Sorge vor "Themenverdrossenheit"
Und sie mahnt: Eine solche Berichterstattung könne dazu führen, dass das Publikum sich mit wichtigen Ereignissen nicht mehr auseinandersetzen will oder kann. In einer Studie im Auftrag der Stiftervereinigung der Presse hatten zuletzt mehr als ein Drittel der Befragten angegeben, Nachrichten bewusst weniger zu verfolgen, weil sie so negativ seien. "Da sollte man erst recht darauf achten, dass die Titel von Sendungen mit Sorgfalt formuliert werden und ganz präzise sind, nicht übertreiben, nicht sensationalistisch sind."
Davor warnt auch Medienforscher Wolling und ergänzt: "Wir können natürlich auch auf der anderen Seite sehen, dass so ein dauerhaftes konfrontiert sein mit solchen Meldungen dann auch sowas wie Angst und Hilflosigkeit entstehen kann, was dann teilweise sogar Hand in Hand geht. Also diese emotionale Komponente bei Themenverdrossenheit ist da auch nicht zu unterschätzen.“
Beim WDR sieht man die Titel indes nicht problematisch. Auf Anfrage des Deutschlandfunks heißt es: "Wir halten die Sendetitel von 'hart aber fair', die das Thema Nahost-Konflikt ankündigen, nicht für 'unnötig reißerisch'. Sie haben die Aufgabe, die Fragestellung der Sendung inhaltlich so klar zu skizzieren, dass sich unser Publikum für die Sendung interessiert. Wir arbeiten hier mit großer Sensibilität und journalistischer Professionalität." Anfragen an die Produktionsfirmen von Anne Will und Maybrit Illner sind bisher unbeantwortet geblieben.
Konstruktiv statt konfliktorientiert
Dass sich das Publikum auch für Sendungstitel mit einem konstruktiven Titel interessieren würde, davon ist Wolling indes überzeugt: "Wenn das ein Versprechen ist, das man einlösen kann, ist das natürlich sehr gut. Und von daher denke ich, wäre das was, was man an der Stelle auch machen kann und von dem ich fest überzeugt bin, dass das auch zu einem Zeitpunkt, wenn die erste Aufregung vorbei ist, genauso gut oder noch viel besser die Zuschauer erreichen würde."
Insgesamt sei für die Gesellschaft besser, nicht nur in Konflikten zu denken: "Wenn Medien Lösungen anbieten, dann ist das einfach effektiver für die Gesellschaft insgesamt, weil das dazu führt, dass Leute optimistischer werden und sich dem Problem auch stellen und sich nicht sozusagen den Kopf in den Sand stecken oder Probleme leugnen. Das ist in vielerlei Hinsicht die bessere Variante."
"Vormachen, wie eine gute Streit- und Diskussionskultur geht"
Dass genau das trotz zugespitzter Titel in einigen Talkshows zum Nahen Osten passiert, beobachtet Sigrun Rottmann gerade, zum Beispiel mit Blick auf die Auswahl der Gäste: "Ich habe in den vergangen zwei, drei Wochen mehrere Talkshows gesehen, in denen die Gäste wirklich mit Substanz Hintergründe beleuchtet haben und Informationen eingeordnet haben, indem sie sich konstruktiv aufeinander bezogen haben und ergänzt haben, auch wenn sie sich nicht in allem einig waren, und so etwas sichtbar wurde wie ein gemeinsamer Versuch, das zu verstehen und zu verarbeiten, was geschehen ist."
Statt inszenierte Konflikte mit oft immer gleichen Gästen, die auf ihren Positionen beharren und anscheinend absichtlich provozieren, könnten so auch künftig konstruktive Debatten in Talkshows geführt werden, hofft Rottmann: "Wenn Talkshows das immer so machen würden, dann wäre das super, weil dann würden sie nämlich eine konstruktive Rolle in Debatten über kontroverse und konfliktgeladene Themen spielen und sie würden dann vormachen, wie eine gute Streit- und Diskussionskultur geht."