Seit dem terroristischen Angriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel und dem darauf folgenden Angriff Israels auf den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen bekommt der Nahostkonflikt wieder mehr Aufmerksamkeit. Doch eine Lösung scheint in noch weitere Ferne gerückt als zuvor. Politische Akteure werben nun wieder für die Zwei-Staaten-Lösung, um Frieden in der Region zu erreichen: etwa der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und ihr US-Kollege Antony Blinken.
Inhalt
- Was ist die Zwei-Staaten-Lösung?
- Was sind die Probleme einer Zwei-Staaten-Lösung?
- Ist eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt überhaupt noch realistisch?
- Gibt es Pläne einer einseitigen Anerkennung eines Staates Palästina?
- Warum wird immer wieder eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert, obwohl ihre Umsetzung schon so lange nicht gelingt?
- Welche alternativen Optionen zur Lösung des Nahostkonfliktes gibt es?
Was ist die Zwei-Staaten-Lösung?
Im Ringen um nachhaltigen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern sieht die Zwei-Staaten-Lösung vor, dass es neben dem Staat Israel auch einen souveränen Palästinenserstaat auf dem Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Fluss Jordan geben soll.
Die Grundlage für diesen seit Jahrzehnten diskutierten Lösungsansatz im Nahostkonflikt liegt mehr als 70 Jahre zurück: 1947 gab es weder einen jüdischen noch einen arabischen Staat, sondern die Region Palästina war britisches Mandatsgebiet. Der Teilungsplan der Vereinten Nationen sah vor, Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Teil aufzuteilen und Jerusalem unter UN-Verwaltung zu stellen. Die arabischen Staaten in der UN-Vollversammlung stimmten damals dagegen.
1948 gründete sich der Staat Israel. Einen unabhängigen Palästinenserstaat gibt es aber bis heute nicht: Zwar rief die Palästinensische Befreiungsorganisation 1988 den "Staat der Palästinenser" aus und seit 2012 hat Palästina bei den Vereinten Nationen auch den Status eines Beobachterstaats inne. Die palästinensischen Gebiete - Ost-Jerusalem, das Westjordanland und Gaza - sind jedoch seit 1967 von Israel besetzt, wobei sich Israel 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen hat.
Was sind die Probleme einer Zwei-Staaten-Lösung?
Ein grundlegendes Problem, um zu einer Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern zu kommen, ist die Frage, wer dabei überhaupt für die palästinensische Seite spricht. Die den Gazastreifen kontrollierende Hamas ist als Terrororganisation für Israel kein geeigneter Verhandlungspartner. Mahmud Abbas, der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, gelte aber vielen Palästinensern nicht als geeigneter Verhandlungspartner, erklärt Tsafrir Cohen, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Medico International. Er betont, dass in den palästinensischen Gebieten seit mehr als 15 Jahren keine Wahlen abgehalten wurden. Diese seien aber notwendig, damit es eine von allen Palästinensern anerkannte Führerschaft gebe.
Auch wenn diese Frage gelöst werden könnte, ist die Zwei-Staaten-Lösung aus vielen weiteren Gründen kompliziert: So ist etwa umstritten, wo die Grenze zwischen Israel und einem palästinensischen Staat verlaufen würde. Auch der Status Jerusalems ist eine ungelöste Herausforderung: Das israelische Parlament hat das "vollständige und vereinigte Jerusalem" 1980 zur israelischen Hauptstadt erklärt. Doch Ost-Jerusalem, das völkerrechtlich zu den palästinensischen Gebieten gehört, wird auch von den Palästinensern als Hauptstadt beansprucht.
Ein weiteres großes Hindernis sind die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten: So leben im Westjordanland inzwischen etwa 450.000 Siedler. Es ist unrealistisch, dass sich Israel aus dem Westjordanland vollständig zurückzieht - schon allein wegen der hohen Anzahl an Israelis dort.
Es gibt aber noch zwei weitere Gründe dafür - zum einen das Argument der Sicherheit: "Die Furcht aus israelischer Sicht ist: Wenn man sich komplett aus dem Westjordanland zurückzöge, dann würde aus dem Westjordanland ein zweiter Gazastreifen werden - mit dem Potenzial solch brutaler Angriffe", erklärt der frühere Korrespondent in Tel Aviv Benjamin Hammer mit Blick auf den Terror der Hamas.
Zum anderen gibt es ein ideologisches Argument gegen den Rückzug aus dem Westjordanland: In der aktuellen israelischen Regierung gibt es auch Vertreter radikaler Siedler, die das Westjordanland als das sogenannte Kernland Israels betrachten.
Die Frage der Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge und ihrer Nachkommen ist eine weitere Herausforderung bei der Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung: Im ersten Nahostkrieg nach der Staatsgründung Israels, als fünf arabische Nachbarstaaten Israel angriffen, flohen etwa 700.000 Araber aus dem Gebiet Palästina oder wurden von dort vertrieben. Heute sind 5,9 Millionen Palästinenser beim UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge registriert. Wohin können sie zurückkehren? "Wir haben jetzt schon zwischen Mittelmeer und Jordantal eine extrem hohe Bevölkerungsdichte", erklärt Benjamin Hammer. Das mache diese zwischen Israel und den Palästinensern umstrittene Frage noch schwieriger zu lösen.
Durch den Terror der Hamas und den Gaza-Krieg dürfte eine Lösung des Konflikts derzeit noch komplizierter sein als ohnehin schon. "Die Menschen identifizieren sich und empfinden Empathie vor allem mit den Menschen auf ihrer Seite", sagt Tsafrifr Cohen von Medico International. "Das ist natürlich verheerend, weil das zu einer Verhärtung führt, die man kaum im Moment aufheben kann."
Ist eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt überhaupt noch realistisch?
Auf absehbare Zeit scheint eine Zwei-Staaten-Lösung weit entfernt: Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster sieht keine Möglichkeit für Verhandlungen mit den Palästinensern über eine Zwei-Staaten-Lösung, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland im Oktober 2023.
"Von der israelischen Seite gibt es, glaube ich, gar kein Interesse im Moment an einer weiteren Lösung des Problems, nur an der Einhegung und Verwaltung des Problems", sagt Tsafrir Cohen von Medico International.
Andere halten die Zwei-Staaten-Lösung schon länger für grundsätzlich gescheitert. "Ich glaube, die Zwei-Staaten-Lösung war bereits vor diesem Angriff nicht mehr möglich", sagte Steven Höfner im Oktober 2023, damals noch Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Beide Seiten hätten regelmäßig die Vereinbarungen nicht eingehalten.
Auch der Historiker Michael Wolffsohn hält eine Zwei-Staaten-Lösung für nicht realisierbar, wegen der Hunderttausenden jüdischen Siedler im Westjordanland und dem etwa einen Fünftel palästinensischen Israelis - auf beiden Seiten der Grenze lebte dann eine fremde Bevölkerung.
Etwas optimistischer schaut der Chefkorrespondent des Deutschlandradios Stephan Detjen auf die Umsetzbarkeit einer Zwei-Staaten-Lösung: Was man vor einiger Zeit noch für eine Utopie und für vollkommen realitätsfern gehalten habe, darüber nähmen jetzt auf einmal wieder Gespräche hinter den Kulissen "eine ziemlich konkrete Gestalt an".
Gibt es Pläne einer einseitigen Anerkennung eines Staates Palästina?
Die USA sehen derzeit eine Chance für einen großen Wurf: Außenminister Blinken hatte Anfang Februar in Katar gesagt, er sei für einen machbaren, zeitlich festgelegten und unveränderlichen Weg hin zu einem palästinensischen Staat - in Frieden an der Seite Israels.
Doch in Israel hält man davon nur wenig. Premier Netanjahu betont immer wieder er sei der Garant dafür, dass es einen palästinensischen Staat nie geben werde. Auch Amichai Chikli, Minister im Kabinett von Netanjahu, kritisiert die Pläne für einen palästinensischen Staat im israelischen Armee-Radio scharf. Wenn das tatsächlich die Vision der Amerikaner sei, dann müsse dagegen angekämpft werden. "Wir könnten sagen: 'Wenn ihr einseitige Schritte einleitet, dann werden wir die Oslo-Abkommen kündigen'", so Chikli weiter.
Chikli spielt bei diesen "einseitigen" Schritten auf die Überlegungen an, die zum Beispiel der britische Außenminister David Cameron geäußert hat. Er könne sich vorstellen, einen palästinensischen Staat vorzeitig anzuerkennen. Auch die USA könnten diesen Schritt gehen. Dies könnte dann auch eine vertrauensbildende Maßnahme für arabischen Staaten sein, die sich auch am Wiederaufbau des Gazastreifens beteiligen und Normalisierungsabkommen mit Israel abschließen könnten.
Warum wird immer wieder eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert, obwohl ihre Umsetzung schon so lange nicht gelingt?
Nach Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Claudia Baumgart-Ochse vom Peace Research Institute Frankfurt gibt es keine Alternative zur Zwei-Staaten-Lösung - so schwierig sie auch umzusetzen ist: "Trotzdem denke ich, sie ist eigentlich nach wie vor die einzige Formel, die funktionieren könnte."
Beide Nationalbewegungen, die palästinensische als auch die jüdische-israelische, seien noch so stark, dass sie sich nur sehr schwer vorstellen könne, wie eine Einstaatenlösung aussehen könnte. "Ein gedeihliches Zusammenleben auf diesem ja relativ kleinen Territorium - das ist inzwischen, glaube ich, recht schwierig."
Auch Jean Asselborn, Luxemburgs demnächst scheidender Außenminister, betont die Alternativlosigkeit der Zwei-Staaten-Lösung: “Israel wird meines Erachtens erst Ruhe und Frieden bekommen, wenn auch die Palästinenser ihren Staat haben”, sagte er. Seiner Einschätzung nach gibt es keinen anderen Weg, als wieder ernsthaft über die Zwei-Staaten-Lösung zu reden, auch wenn “wir in den letzten zehn Jahren als internationale Gemeinschaft und auch Europa keinen Millimeter mehr vorangekommen sind.”
Welche alternativen Optionen zur Lösung des Nahostkonfliktes gibt es?
Da viele die Realisierbarkeit der Zwei-Staaten-Lösung bezweifeln, wird auch über eine Ein-Staaten-Lösung nachgedacht. Beispielsweise hat der Philosoph Omri Boehm von der New School for Social Research in New York in seinem Buch "Israel. Eine Utopie" als Alternative einen binationalen, gemeinsamen Staat skizziert. Diese Idee ist an sich nicht neu, sie war vor der Staatsgründung Israels auch schon von Zionisten angedacht worden: Diese Form einer Ein-Staat-Lösung umfasst nationale Selbstbestimmung und Autonomie für Juden wie Palästinenser, eine gemeinsame israelische Staatsbürgerschaft, Freizügigkeit und gleiche Rechte für alle.
Allerdings ist diese Perspektive nicht unbedingt realistischer als die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung: Eine Ein-Staaten-Regelung mit gleichen Rechten für alle stehe im direkten Gegensatz zu Israels Selbstverständnis als jüdischer Staat, analysiert Muriel Asseburg, Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Realpolitisch denkbar ist somit auch, dass es zu einer diskriminierenden Ein-Staaten-Regelung kommt, in der jüdische Israelis bessergestellt und privilegiert werden.
jfr, Jan Christoph Kitzler