Jeder Zweite in Deutschland nimmt Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ein. Allein die Apotheken in Deutschland setzen laut dem Informationsdienst IQVIA jährlich 3,1 Milliarden Euro damit um, hinzu kommen die Verkäufe in Supermärkten, Drogerien und im Internet. Und ständig kommen neue dazu. Allein in Deutschland wurden 2024 – bis Anfang Oktober – mehr als 12.600 neue Nahrungsergänzungsmittel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registriert. Doch was nützen die Produkte wirklich? Und wann können sie schaden?
Was sind Nahrungsergänzungsmittel?
Nahrungsergänzungsmittel (auch Supplements genannt) sind meist Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe oder Pflanzenextrakte, die frei verkäuflich in Form Tabletten, Pillen oder Kapseln angeboten werden. Es handelt sich rechtlich gesehen nicht um Medikamente, sondern um Lebensmittel. Ob die angegebenen Inhaltsstoffe stimmen und ob das Produkt sicher ist, wird nicht extern überprüft. Ein Hersteller muss sein Produkt lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit registrieren lassen, um es auf den Markt zu bringen. Dafür reichen 13 Klicks auf einem Online-Formular und ein Bild des Etiketts. Ansonsten gilt das Lebensmittelrecht. Ob es eingehalten wird, verantworten die Unternehmen selbst.
Daher sind die Versprechen auf den Verpackungen dieser Produkte meist vage formuliert, etwa nach dem Prinzip „Vitamin C trägt zu einer normalen Funktion des Immunsystems bei“. Von medizinischer oder heilender Wirkung ist nichts zu lesen. Solche Angaben sind nur für Medikamente zulässig.
Welche Trends gibt es bei Nahrungsergänzungsmitteln?
Besonders beliebt sind Vitamin D, Vitamin B 12, Vitamin C und Multivitamin-Präparate, bei den Mineralstoffen liegt Magnesium seit Jahren ganz vorne. Immer beliebter werden aber auch pflanzliche Produkte, wie Kurkuma oder Rhodiola (Rosenwurz). Relativ neu wird auch Ashwagandha beworben, die sogenannte Schlafbeere, der stressreduzierende, schlafverbessernde und leistungssteigernde Wirkung zugeschrieben wird. Sie gilt aber möglicherweise als lebertoxisch.
Andere Mittel versprechen, Alterungserscheinungen bremsen zu können, wie etwa "TA-65". Dieses Extrakt aus der Pflanze Astragalus membranaceus soll das Leben verlängern, indem es die sogenannten Telomere verlängert: die Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden - und angeblich für das natürliche Altern von Zellen verantwortlich sein sollen. Ob das wirklich so ist, ist ebenso unklar wie die Wirkung von "TA-65".
Doch Influencer verdienen viel Geld damit, zum Teil teure Produkte mit medizinisch fragwürdigem Wert zu bewerben.
Welche Gefahren gibt es bei Nahrungsergänzungsmitteln?
Oft sind Vitamintabletten überdosiert, enthalten also ein Vielfaches der empfohlenen Tagesdosis. Das Prinzip "Viel hilft viel" geht allerdings nicht auf, es kann sogar schaden. Zu viel Selen kann zu einer chronischen Vergiftung führen, mit Symptomen wie Haarausfall, Haut- und Nagelveränderungen. Zu viel Vitamin A kann bei Rauchern die Knochen schädigen, Vitamin E steht im Verdacht, Prostatakrebs auszulösen.
Problematisch ist auch eine Überdosis Vitamin D. Normalerweise bildet es der Körper über das Sonnenlicht selbst. Die tägliche Maximalzufuhr beträgt 20 Mikrogramm oder 800 sogenannte Internationale Einheiten (IE), doch einige Hersteller werben mit bis zu 40.000 IE. In einigen Fällen hat zu viel Vitamin D die Nieren von Menschen so sehr geschädigt, dass sie dialysepflichtig wurden. Auch einige Säuglinge und Kleinkinder wurden mit zu viel Vitamin D behandelt und wurden in der Folge krank: Sie verloren Gewicht, waren dehydriert und apathisch, die Nierenfunktion war gestört.
Zur Leistungssteigerung wird auch reines Koffeinpulver konsumiert. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA empfiehlt, nicht mehr als 0,2 Gramm als Einzeldosis einzunehmen. Ab einer Dosis von 5 bis 10 Gramm kann Koffein tödlich sein.
Welcher Umgang mit Supplements wird empfohlen?
Obwohl es wissenschaftliche Empfehlungen für Höchstmengen gibt, entwickelt vom Bundesinstitut für Risikobewertung, gibt es kein Gesetz, das diese bestimmt. Dabei hat die Europäischen Union bereits 2002 eine Richtlinie für Nahrungsergänzungsmittel erlassen, in der Höchstmengen für Inhaltsstoffe von Nahrungsergänzungsmitteln, also für Vitamine, Mineralstoffe und sonstige Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung festgelegt werden sollten.
Angela Clausen, Teamleiterin „Lebensmittel im Gesundheitsmarkt“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, fordert ein nationales Prüfverfahren: "Das heißt, es muss vorher geprüft werden, ob die angegebenen Dosierungen sicher sind, ob die angegebenen Nährstoffe oder die angegebenen Stoffe überhaupt zulässig sind und ob die Werbeaussagen stimmen können."
Ansonsten lehnen Experten, darunter auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Nahrungsergänzungsmittel ab und empfehlen vor allem eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung, um den Bedarf an Nährstoffen zu decken. Wer gesund ist, braucht in der Regel keine zusätzlichen Vitamine oder Mineralstoffe.
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