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Namibia
Die Mitschuld der Missionare

Das Volk der Herero lehnte sich 1904 gegen die deutschen Kolonialherren in Deutsch-Südwest-Afrika auf. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Lange vor diesen Ereignissen waren evangelische Missionare ins Land gekommen. Wie verhielten sie sich angesichts des Massakers? In wenigen Tagen trifft sich der Lutherische Weltbund in Namibia und wirft die Frage nach der Verantwortung auf.

Von Carsten Dippel |
    Vor dem Abmarsch in den Kampf gegen die aufständischen Hereros in Deutsch-Südwestafrika wird im Jahr 1904 die 2. Marine-Feldkompanie eingesegnet.
    Vor dem Abmarsch in den Kampf gegen die aufständischen Hereros in Deutsch-Südwestafrika wird im Jahr 1904 die 2. Marine-Feldkompanie eingesegnet. (picture-alliance / dpa - Friedrich Rohrmann)
    Weit und ausgedörrt ist das Land. Kaum ein Baum, an dem sich das Auge festhalten kann. Die Sonne sticht, hier im tiefen Süden Afrikas. Doch die Stille ist trügerisch. Auf der Haifischinsel in der Lüderitzbucht, drängen sie sich zu Tausenden, in ein Lager gepfercht wie Vieh, erschöpft und resigniert, vor Durst darbend. Männer, Frauen, Kinder.
    "Die Sterblichkeit unter den Hottentotten ist entsetzlich. Im Durchschnitt sterben acht pro Tag, es kommen aber Tage vor, an welchen 18 bis 20 sterben. Die Herero sind etwas widerstandsfähiger, sind wohl auch schon acclimatisiert. Die allgemeine Todesursache ist Skorbut."
    Missionar Nyhof in einem Bericht über die Lage auf der Haifischinsel, Lüderitzbucht, Namibia, Januar 1907.
    Es ist Hochsommer im fernen Deutsch-Südwestafrika. Seit drei Jahren tobt ein Krieg in der 1884 gegründeten Kolonie. Während sich im Kaiserreich die Menschen um ihren Alltag sorgen, spielt sich im südlichen Afrika ein beispielloses Grauen ab. Das Volk der Herero hatte es im Januar 1904 als erstes gewagt, sich gegen die Kolonialmacht aufzulehnen. Ein Aufstand, der schon bald brutal niedergeschlagen wurde. Generalleutnant Lothar von Trotha hatte im Oktober 1904 eine verhängnisvolle Proklamation an die Herero gerichtet.
    Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts
    "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie ihrem Volke zu, oder lasse auf sie schießen."
    Generalleutnant Lothar von Trotha, 2. Oktober 1904.
    "Ich glaube", präzisierte von Trotha später in einem Brief an den Generalstab, "dass die Nation als solche vernichtet werden muss".
    Trothas Befehl markierte eine entscheidende Wende in dem bis dahin schon Monate dauernden Konflikt zwischen der die Siedler im Land beschützenden Kolonialmacht und den Herero, in den später auch die Nama und andere Volksgruppen hineingezogen wurden.
    Es beginnt ein Massaker, an dessen Ende jeweils gut die Hälfte des Volkes der Herero und der Nama umgekommen sein werden. Insgesamt, so schätzt man 60 bis 70, vielleicht sogar bis zu 90.000 Tote. Es ist der erste Genozid des 20. Jahrhunderts. Dazu der Historiker Reinhard Kößler:
    "Das sind sehr klare Worte. Da gibt es für mich überhaupt keinen Zweifel an der Vernichtungsabsicht. Also der Terminus Rassenkrieg fällt wiederholt. Das heißt also die Vorstellung, die Interessen der weißen Rasse und dann implizit entsprechend in der biologistischen Form der Deutschen durchzusetzen, das ist klar die Intention."
    Lange vor diesen Ereignissen und lange vor der deutschen Kolonialmacht waren Missionare ins heutige Namibia gezogen. Die ersten kamen schon 1805 aus der Schweiz und England.
    Im südlichen West-Afrika kreuzten sich damals viele Handelswege. Händler aus der von den Buren, später den Briten beherrschten Kapkolonie brachten Waren ins Land, darunter jede Menge Waffen und Branntwein. Sie dienten meist als Tauschware gegen Rinder. Später waren es vor allem die Missionare der Rheinischen Missionsgesellschaft, die das Land nördlich des Oranjeflusses nachhaltig prägten.
    Fromme Pietisten sorgen sich um Gott
    Der Theologe Hanns Lessing hat sich eingehend mit der Mission im südlichen Afrika beschäftigt:
    "Es war nicht die ursprüngliche Idee der Mission, christliche Weltpolitik zu machen. Die Missionsleiter in Deutschland haben gesehen, es passiert was globalisierungsmäßig, man kann plötzlich überall hinfahren, man hat Kenntnis von anderen Ländern. Man weiß von Leuten, die von Jesus Christus noch nie gehört hatten und die wollten das Evangelium in die Welt bringen. Und der Hintergrund dieser Leute war entschieden staats- und sogar auch kirchenfern. Das waren fromme Menschen aus dem Pietismus und der Erweckungsbewegung, die eigentlich das Gefühl hatten, dass die Entwicklung der Welt auch in der Neuzeit einen von Gott wegführt und die wollten ein Leben haben, wo man näher an Gott dran war."
    So bauen die Missionare der Rheinischen Mission ab 1842 Stationen in dem weiten, nur dünn besiedelten Land. Fromme Inseln mit einer Kirche, einer Schule, Handwerksgebäuden. Der Missionar sieht sich dabei als Sämann, der von hier aus die fromme Botschaft zu den "Heiden" bringt.
    Und tatsächlich ist das Verhältnis lange Zeit eng und vertrauensvoll. Manche Chiefs der Herero und Nama bringen ihre Kinder hier zur Schule. Und manch ein Missionar nimmt eine Afrikanerin zur Frau, gründet mit ihr eine Familie. Sie bemühen sich, auf die Kultur und Sprache der Afrikaner einzugehen. Und doch liegt in dem Engagement der Mission die Keimzelle des Konflikts, sagt die Historikerin Kathrin Roller:
    "Es war ein patriarchalisches Verhältnis. Wenn man den Begriff Rassismus weiter fasst, dann war es natürlich auch ein rassistisches Denken. Man ging davon aus, dass Afrikaner auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehen, dass man sie wie Kinder erziehen muss, dass selbstverständlich die europäische Kultur höherstehend sei, dass man ein Vorbild sein müsse. Dass die Missionarsfrau auch christliches Leben und Eheleben vorleben müsse, um die Afrikaner zu 'heben', also war ganz klares hierarchisches und patriarchalisches Verhältnis."
    Im Kaiserreich tobt während des Krieges eine lebhafte Debatte um die theologischen Implikationen des Kolonialismus. Ernst Troeltsch, einer der führenden liberalen Theologen, geht von der Partikularität des Heils aus und unterscheidet streng zwischen Kultur- und Naturvölkern, die wiederum nicht im Stande seien, aus dem Naturkreislauf herauszutreten. Er plädiert daher bei der Mission unter "Wilden und Halbwilden", wie er sagt, für ein System "patriarchalischer Lenkung und Leitung".
    Angst vor einer Vermischung der "Rassen"
    Dem hält der Barmer Missionsinspektor Gustav Warneck die Idee einer Gotteskindschaft aller Menschen, eines universalen Menschenrechts entgegen, demzufolge es kein Zweiklassenevangelium geben könne. Wie wenig selbstverständlich diese Vorstellung jedoch war, zeigt eine Debatte im Reichstag. Als der spätere Kanzler Matthias Erzberger in einer Rede meinte, auch "Neger" hätten eine Seele, schallte ihm lautes Gelächter der Abgeordneten entgegen.
    "Wenn man in die Frühzeit des 19. Jahrhunderts zurückgeht, herrschte da eine große evangelische Naivität, dass man das Gefühl hat, wer den Herrn Jesus hat, ist ein vollgültiger Mensch. Das Reich Gottes wächst und man ist den afrikanischen Brüdern und Schwestern ganz nah. Je schärfer die Kolonialkonflikte aber wurden, desto stärker musste man sich positionieren. In der zweiten Generation war es zum Beispiel schon völlig unmöglich, dass Missionare afrikanische Frauen nahmen und Familien gründeten. Die Mission hat dann eben auch dafür gesorgt, dass es nicht zu, wie damals gesagt wurde, einer Vermischung von 'Rassen' kommt."
    Die Missionare attestieren den Afrikanern im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen Menschenwürde, aber So zielt die Arbeit der Mission zielt letztlich doch auf eine Auflösung des traditionellen indigenen Lebens.
    Der Missionar versteht sich als "Türhüter", der die afrikanische Bevölkerung vor europäischen Einflüssen zu schützen sucht. Gleichzeitig jedoch, so drückt es Gustav Warneck aus, ist die Missionsstation ein auch moralisch herausgehobener Ort, der gleichermaßen in Differenz zu den deutschen Siedlergemeinden und den indigenen Strukturen steht. Insofern ist auch die Missionstheologie bei Warneck nur bedingt ein Gegenpol zu Troeltsch.
    In seiner Existenz als Mensch wird der Afrikaner zwar als gleichwertig anerkannt. Nicht jedoch Kultur und Tradition seiner Gesellschaft, die es im Sinne des Evangeliums zu überwinden gelte. Ein Eintreten für die Rechte der afrikanischen Völker ist mit diesem theologischen Verständnis kaum möglich.
    Mit Gründung der Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" 1884 kommt es in Namibia zu einer dramatischen Wende. Nun haben die deutschen Siedler eine veritable Schutzmacht an ihrer Seite. Die afrikanische Bevölkerung wird dabei mehr oder minder zur Dienstbotenklasse degradiert.
    Durch die zunehmende koloniale Unterwerfung des Landes sitzen die Missionare plötzlich zwischen den Stühlen. Sie sind immer stärker auf das Wohlwollen der Kolonialverwaltung angewiesen.
    "Je stärker das Land unterworfen wurde, desto intensiver mussten die Missionare den Raum aushandeln, in dem sie überhaupt noch arbeiten konnten. Das brachte viele Konflikte und eben auch Interessengegensätze. Manchmal war es dann eben so, dass grundsätzliche Fragen des Selbstbestimmungsrechts der Völker doch den Eigeninteressen der Mission untergeordnet worden sind."
    Kolonialmacht als Schutzpatron
    Die Situation im Land verschlechtert sich zusehends. Den Herero und Nama steht immer weniger Weideland zur Verfügung. Sie werden von den deutschen Siedlern übervorteilt, vielfach zu Lohnarbeit auf den weißen Plantagen gezwungen. Es kommt wiederholt zu schweren Misshandlungen, Vergewaltigungen und ungesühnten Morden seitens der Siedler. Die Kolonialmacht als ihr Schutzpatron greift immer weiter hinein ins Land, raubt den ansässigen Völkern Stück für Stück ihr Gut. Die Stimmung gleicht zu Beginn des Jahrhunderts einem Pulverfass.
    Vom Ausbruch des Aufstandes sind dann aber nicht nur die deutschen Siedler völlig überrascht, sondern auch die Rheinische Mission. Die Herero haben die Kommunikation gekappt und Bahnlinien unterbrochen. Sie kontrollieren schnell weite Teile des Landes, die Verbindungen in die Hauptstadt Windhoeck werden versperrt. Etliche Missionare fliehen in die deutschen Siedlerstädte, wo sie sich vor ihren Landsleuten rechtfertigen müssen. Wie konnten sie es überhaupt wagen, sich mit diesen Wilden abzugeben?, schlägt es ihnen nicht selten entgegen.
    Viele Missionare sind angesichts dieser Missstimmung und Unterstellungen, die in dem Vorwurf gipfeln, sie würden mit den Aufständischen paktieren, hätten gar Informationen preisgegeben, äußerst vorsichtig. Es gibt jedoch auch kritische Stimmen. Besonders ältere Missionare zeigen sich schockiert über die Kriegshandlungen der Deutschen. Der Missionar August Kuhlmann geht sogar soweit, den Herero grundsätzlich das Recht auf einen bewaffneten Aufstand zuzusprechen. In jedem Fall steht die Rheinische Mission vor einem gewaltigen Dilemma:
    "Es wurde ein erheblicher Druck auf die Mission eingeübt. Der Reichskanzler hat (im Reichstag) gesagt (1904), er kann keine Position der Neutralität zulassen, die Mission muss sich entscheiden. Daraufhin hat die Missionsleitung in Wuppertal-Barmen ein deutliches Bekenntnis zum deutschen Kriegseinsatz abgegeben und die Missionare vor Ort wurden angeschrieben, sie sollen sich mit ihrer Kritik doch bitte nicht mehr äußern."
    Die Rheinische Mission hat Reichskanzler von Bülow ihre Unterstützung mit ausdrücklichem Hinweis auf Römer 13 zugesichert.
    "Von den Qualen des Durstes getrieben"
    Gleichzeitig wird in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder der Vorwurf laut, die Mission verliere ihre moralische Autorität, weil sie sich auf die falsche Seite stelle. Dabei sind es vielfach die Berichte von Missionaren, die die Stimmung im Reich allmählich drehen. Die Rücknahme der berüchtigten Vernichtungs-Proklamation von Trothas durch den deutschen Generalstab im Dezember 1904 erfolgt nicht zuletzt auf Druck der Öffentlichkeit und hieran hat die Mission entscheidenden Anteil.
    Im Rückblick schreibt August Kuhlmann einen ergreifenden Bericht über die schreckliche Lage der Herero nach der Schlacht am Waterberg:
    "Nach der Schlacht am Waterberg wälzt sich die Masse der Herero mit den vielen Rinderherden dem Sandfelde zu und sucht in ratloser Flucht vor ihren Verfolgern einen weiten Vorsprung zu bekommen. Endlich gönnen sie sich Ruhe und nähern sich vorsichtig den vorhandenen Wasserstellen. Aber wohin sie auch kommen, überall pfeifen ihnen Kugeln entgegen. Sie fliehen weiter. Endlich treffen sie freies Wasser an. Menschen und Vieh stürmen, von den Qualen des Durstes getrieben, halb von Sinnen, heran und bald füllt ein Knäuel toter Menschen- und Tierkörper die Wasserstelle."
    August Kuhlmann, Auf Adlers Flügeln, Barmen 1911.
    Als immer mehr grausame Details den Weg in die deutsche Presse finden, macht die Missionsleitung unter Gottlob Haußleiter Reichskanzler von Bülow einen folgenschweren Vorschlag: Um die versprengten Herero und Nama vor der endgültigen Vernichtung zu bewahren, solle die Kolonialverwaltung Konzentrationslager einrichten.
    "Das hört sich furchtbar an. Damals war es aber natürlich gemeint in dem Sinne, wir müssen Orte schaffen, wo man die Leute in Sicherheit sammeln kann."
    Die Rheinische Mission versucht zunächst, die Bedrängten von der Küste wegzubekommen, wo Kälte und Hunger herrschen, und mehr ins Landesinnere zu bringen, um sie dort mit dem nötigsten an Kleidung und Nahrung zu versorgen. Man hat Spenden in Deutschland eingeworben, Decken gesammelt. Von den Sammelstellen aus werden sie aber weitertransportiert in die Konzentrationslager und auch zur Zwangsarbeit. Zum Teil werden die Deportationszüge begleitet, in Einzelfällen sind Missionare auch bei Verhören beteiligt, in denen es zu Folter kommt.
    Vernichtung durch Vernachlässigung
    Über das Mordgeschehen, ist sich der Historiker Reinhard Kößler sicher, wussten die Missionare sehr gut Bescheid.
    "Man kann ihnen nicht die unmittelbare Verantwortung für den Völkermord anlasten. Man kann sagen, sie haben versucht, das Schlimmste zu verhindern. Aber sie haben auch nicht vehement Widerstand geleistet."
    Eine Konsequenz des Krieges ist, dass die Herero und Nama alles Land verlieren. Es gibt nun eine strenge Arbeitspflicht für die Überlebenden. Im Land kann sich nur noch der bewegen, der einen Arbeitsnachweis für eine deutsche Farm hat. Und jeder deutsche Siedler besitzt Polizeirecht.
    "Gegen diese Neuordnung des kolonialen Systems hat die Rheinische Mission sehr schwach nur Kritik angemeldet. Ihnen war es wichtig, dass die Leute wieder physisch überleben konnten und dass es Möglichkeiten zu einer neuen Gemeinde gab."
    Die Idee, Reservate für die afrikanischen Völker einzurichten war freilich viel älter und zirkulierte schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch innerhalb der Mission. Auch hierin kommt ein Denken zum Tragen, das den afrikanischen Völkern bei aller christlicher Nächstenliebe und Empathie das Recht auf eine eigenständige Kultur absprach. Das Reservat galt als Quelle eines Neuanfangs.
    Historiker haben beim Völkermord an den Herero, Nama und Damara von einer "Vernichtung durch Vernachlässigung" gesprochen.
    Anders als die evangelische Siedler-Kirche vor Ort, die die Soldaten vor dem Kampf ausgesegnet hat, gar die Reichskriegsflagge über den Altar legte, hat die Rheinische Mission eine weitaus ambivalentere Rolle in dem schrecklichen Geschehen gespielt. Doch hat sie sich auch mitschuldig gemacht? Das Urteil von Hanns Lessing fällt ambivalent aus:
    "Mitschuldig auf der Ebene, dass sie also plötzlich die aktive Verteidigung der afrikanischen Völker weitgehend eingestellt hat. Obwohl man sagen muss, dass in den ersten Jahren des Krieges es immer wieder Stimmen gab, die zur Mäßigung aufriefen, als die schlimmen Vernichtungstaten ruchbar wurden. Missionsinspektor Haußleiter hat 1908 explizit von den Menschenrechten der Afrikaner gesprochen, die unbedingt geachtet werden müssen. Es ist also so, dass es einen beginnenden Menschenrechtsdiskurs Anfang des 20. Jahrhunderts gibt und die einzige Stimme vor Ort, die die Rechte der Afrikaner verteidigt, eben doch die Stimme der Mission war."
    Allerdings hat auch die Mission das Kolonialsystem an sich nicht in Frage gestellt. Letztlich waren auch die meisten Missionare konservativ, kaisertreu, nationalistisch und hätten sich kaum grundsätzlich aufgelehnt gegen die Obrigkeit. Zugleich waren sie aber auch erheblich verunsichert, so Reinhard Kößler:
    "Sie wurden als national unzuverlässig klassifiziert und haben dem widersprochen. Das wollten sie nicht. Sie haben versucht ihre Reichstreue auch zu dokumentieren. Und sie unterscheiden sich in dieser Weise sehr von der politischen Kritik an der Kriegführung. Wenn man August Bebels Reichstagsreden liest, dann ist das die klare Ansage, so geht es nicht, das ist eine unchristliche Kriegsführung, das ist das Vorgehen eines Metzgergesellen. Das sind sehr deutliche Worte und die sind von der Missionsgesellschaft nicht zu hören gewesen."
    Bis heute unter der Armutsgrenze
    Der Völkermord in Namibia ist lange Zeit kaum beachtet worden. Dabei hörte die Geschichte mit dem Krieg nicht auf, sondern es folgten zwischen 1948 und 1994 Jahrzehnte der Apartheid. Erst in den letzten Jahren hat ein Umdenken stattgefunden.
    Im Jahr 2004, 10 Jahre nach Ende der Apartheid, hat die Evangelische Kirche in Deutschland einen Studienprozess zur Aufarbeitung ihrer eigenen Rolle in Gang gesetzt. Die Kirchen hätten ihr Wächteramt nicht genügend wahrgenommen, sagt die (Essener) Oberkirchenrätin Barbara Rudolph.
    "Wir sehen, dass die Auswirkungen der Kolonialzeit bis heute spürbar und erfahrbar sind. Die Kombination der kolonialen Besetzung des Landes, die dann überging in die Apartheidzeit, führt dazu, dass bis heute in einem Land, das eigentlich reich sein könnte an Rohstoffen und Landwirtschaft, die Bevölkerung der Bevölkerungsgruppen die damals in dem Krieg auch involviert war, bis heute unter der Armutsgrenze leben. Das können wir einfach in der Partnerschaft nicht akzeptieren und müssen daran arbeiten."
    Der Lutherische Weltbund trifft sich in wenigen Tagen, vom 10. bis 16. Mai, zu seiner Vollversammlung. Der Ort des internationalen Treffens ist – Namibias Hauptstadt Windhoek.