In ihrer ersten Rede im Bundestag hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus angekündigt. Sie nannte ihn die größte Gefahr für die Demokratie. "Wir werden alles daran setzen, Radikalisierung zu stoppen, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen und Extremisten konsequent die Waffen zu entziehen." Sie kündigte zugleich an, Bildungsarbeit und Prävention gegen Rechtsextremismus zu stärken.
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Faeser warnte ebenfalls vor einer Radikalisierung der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Sie rief Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen dazu auf, sich von Extremisten abzugrenzen. Zuvor hatte Faeser in einem Interview dem häufig von "Querdenkern" und Rechtsextremisten genutzten Chat-Dienstleister Telegram mit der Abschaltung gedroht. Im Gegensatz zu anderen Nachrichtendiensten löscht Telegram weder Verschwörungsmythen noch rassistische Inhalte.
Vom Rechtsextremismus abgrenzen
Im Deutschlandfunk betonte die Bundesinnenministerin, ein Abschalten von Telegram wäre sehr schwerwiegend und ganz klar Ultima Ratio. Mit Blick auf die Corona-Proteste sagte sie: "Es wird kleinteiliger. Man weiß nicht immer, wo das Ereignis stattfindet, und das macht es den Sicherheitsbehörden natürlich ungleich schwieriger." Daher appelierte sie an die Menschen, von ihrem Versammlungsrecht Gebrauch zu machen und die Demonstrationen anzumelden. "Machen Sie das in einem geordneten Weg und machen Sie es unseren Sicherheitsbehörden nicht noch schwieriger", so Faeser.
Die Gefahr, dass sich Corona-Proteste und Rechtsextremismus verbinden, habe zugenommen. Das Ziel der Rechtsextremisten sei es nicht, gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren, sondern gegen die Demokratie vorzugehen. "Und auch mein hoher Appell noch mal an die Menschen, die dort auf die Straße gehen: Grenzen Sie sich davon ab, weil für Hass, Hetze und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung", sagte Nancy Faeser.
Die Gefahr, dass sich Corona-Proteste und Rechtsextremismus verbinden, habe zugenommen. Das Ziel der Rechtsextremisten sei es nicht, gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren, sondern gegen die Demokratie vorzugehen. "Und auch mein hoher Appell noch mal an die Menschen, die dort auf die Straße gehen: Grenzen Sie sich davon ab, weil für Hass, Hetze und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung", sagte Nancy Faeser.
Das Interview im Wortlaut:
Moritz Küpper: Frau Faeser, gestern Abend gab es auch wieder Proteste, gewaltsame Proteste, unter anderem in Salzgitter. Wachsen diese Proteste?
Nancy Faeser: Sie wachsen nicht in der absoluten Zahl, aber was wächst und was uns und den Sicherheitsbehörden natürlich Sorge bereitet, ist die Spreizung dieser sogenannten Spaziergänge oder Versammlungen, das heißt an vielen Orten zur gleichen Zeit.
Küpper: Das heißt, das macht es den Behörden schwieriger, darauf zu reagieren, weil es kleinteiliger wird?
Faeser: Genau, es wird kleinteiliger. Man weiß nicht immer, wo das Ereignis stattfindet, und das macht es den Sicherheitsbehörden natürlich ungleich schwieriger. Deswegen appelliere ich auch so sehr an die Menschen, die dort mitgehen - Sie haben es in der Vorberichterstattung formuliert: das ist eine heterogene Gruppe -, sich auch zu überlegen, was macht man da eigentlich. Natürlich ist es legitim und unsere Verfassung sieht es als hohes Gut vor, diese Versammlungsfreiheit, auf die Straße zu gehen und die Meinung zu sagen, aber das kann ich natürlich auch in einer normal angemeldeten Versammlung und dafür muss ich nicht die Sicherheitsbehörden versuchen auszutricksen. Deswegen auch mein Appell an die Bevölkerung, die zurecht auf die Straße geht, ihre Meinung sagt: Machen Sie das in einem geordneten Weg und machen Sie es unseren Sicherheitsbehörden nicht noch schwieriger.
"Man muss eigentlich eine Versammlung anmelden"
Küpper: Sie haben es gerade schon gesagt: auszutricksen. Man hat den Eindruck, da wird mitunter Katz und Maus mit der Polizei gespielt. Kleinteiliger ist das eine, aber manche behaupten, einfach gar nicht zu demonstrieren. Hören wir mal rein, ein Wortwechsel von Anfang Januar aus Münster.
Küpper: Das ist ein Polizist mit einer sehr klaren Meinung. Frau Faeser, tanzen diese Leute der Polizei auf der Nase herum?
Faeser: Ich würde das nicht so drastisch ausdrücken, aber natürlich macht es den Sicherheitsbehörden den Umgang damit schwieriger. Deswegen auch wie gesagt mein Appell. Jeder kann auf der Straße frei seine Meinung sagen. Aber muss man das machen, indem man sich verabredet in Netzwerken und versucht, der Polizei zu entgehen und das Recht auch ein Stück weit zu umgehen? Es gibt Versammlungsrecht. Man muss eigentlich eine Versammlung anmelden und das ist eigentlich ein Minimum. Das erwarte ich in einem Rechtsstaat auch, dass das dann funktioniert. Ich würde appellieren, das ist nicht meine Sprachwahl, aber ich verstehe den Polizeibeamten sehr gut, dass er da auch mal unleidlich reagiert hat.
Küpper: Appelle gab es in der Vergangenheit schon, aber was kann die Polizei denn tun? Mancherorts erreichen uns Schilderungen, auch Bilder, dass sie dann mehr oder weniger hilflos danebensteht.
Faeser: Aus meiner Sicht leistet die Polizei trotz dieser schwierigen Bedingungen und gerade wegen dieser hohen Einsatzbelastung wirklich eine hervorragende Arbeit. Es ist aber so: Wenn Sie an einem Abend an sehr, sehr vielen Orten gleichzeitig Geschehen haben, dann sind Sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch gezwungen, um nicht zu eskalieren, mal zu sagen, wir lassen sie mal kurz laufen und können nicht sofort, beispielsweise was ja auch viele bemängeln, dass nicht sofort alle Corona-Verstöße geahndet werden, das können Sie dann personell nicht stemmen. Deswegen würde ich daraus auch keinen Vorwurf machen.
Faeser: Der Rechtsextremismus gewinnt an Einfluss
Küpper: Sie haben gestern erstmals im Bundestag gesprochen in der neuen Funktion und unter anderem dort gesagt, dass vom Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ausgeht, auch angekündigt, zeitnah im Frühjahr einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorzulegen. Aber, wenn man den Berichten glaubt, dann scheint, sich dieses Phänomen des Rechtsextremismus mit diesen Corona-Protesten zu verbinden. Wie groß ist diese Gefahr?
Faeser: Diese Gefahr hat zumindest zugenommen, deutlich zugenommen. Wir sehen regional, dass der Rechtsextremismus bei diesen Demonstrationsgeschehen deutlich an Einfluss gewinnt und deswegen fokussiere ich es gerade dieser Tage sehr stark, denn das Ziel ist nicht der Rechtsextremisten, die dort auf die Straße gehen, gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, sondern sie wenden sich gegen den Staat. Deswegen ist es auch so gefährlich für unsere Demokratie. Deswegen bin ich gerade auch so sehr damit unterwegs zu fokussieren, zu sagen, die größte Gefahr geht vom Rechtsextremismus aus. Und auch mein hoher Appell noch mal an die Menschen, die dort auf die Straße gehen: Grenzen Sie sich davon ab, weil für Hass, Hetze und Gewalt gibt es keine Rechtfertigung.
Küpper: Aber lässt sich das in der Praxis trennen? Es kommt jetzt noch hinzu, dass in Städten wie Bremen, Bringen, Gera, Halle und auch Leipzig sich Widerstand von links regt gegen diese Proteste. Verschärft das auch noch mal die Lage?
Faeser: Es macht es den Sicherheitsbehörden nicht leichter. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch gut zu sehen, dass die Mehrheit der Menschen, die ja wirklich jetzt 22 Monate lang alles mitgetragen hat, sich an alles gehalten hat und dann, ich sage mal, nach dem Überwinden der Omikron-Welle auch irgendwann mal das Recht hat, ihre ganzen Freiheitsrechte zurückzubekommen - dass die sich jetzt auch dagegen wenden, kann ich schon verstehen. Aber es macht es uns natürlich insgesamt nicht leichter.
"Je strenger die Maßnahmen, desto größer die Proteste"
Küpper: Das heißt, Sie rufen die Menschen auf, die Mehrheit im Lande, sich da zu zeigen?
Faeser: Nein, das tue ich bewusst nicht, um die Lage für die Sicherheitsbehörden nicht noch komplizierter zu gestalten. Aber ich habe natürlich Verständnis dafür, dass man vielleicht auch mal auf die Straße geht und sagt, wir sehen das übrigens anders, und das ist auch sichtbar. Insofern habe ich Verständnis auf der einen Seite dafür, aber ich würde niemals dazu aufrufen, weil das die Lage insgesamt noch verkomplizieren würde.
Küpper: In der großen Politik wird ja die allgemeine Impfpflicht diskutiert, deren Einführung. Wird das den Protest noch mal zuspitzen, anheizen?
Faeser: Wir sehen natürlich schon, je strenger die Maßnahmen werden, und wir haben in der Bundesrepublik insgesamt schon gerade sehr strenge Maßnahmen, dass dann auch die Proteste größer werden. Insofern gibt es dort natürlich einen Zusammenhang.
Küpper: Sie haben sich selber dafür ausgesprochen, haben aber auch gesagt, es soll eine Impfnachweispflicht geben, keinen Impfzwang. Wäre diese Impfnachweispflicht für Sie das äußerste Mittel?
Faeser: Was heißt das äußerste Mittel? Das ist ja das, was allgemein unter einer Impfpflicht verstanden wird. Der rechtstechnische Begriff ist, dass es eine Impfnachweispflicht ist, weil wir ja keinen Impfzwang ausüben wollen.
Ich habe die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch nicht so verstanden, dass sie Impfzwang vorlegen wollen als Gesetzesvorhaben, sondern das ist rechtstechnisch eine Impfnachweispflicht. Das heißt, dass die Menschen verpflichtet sind, dann auch vorzulegen, dass sie geimpft wurden. Und wenn nicht, könnten Bußgelder drohen. Ich finde das eigentlich eine gute Regelung, aber ich will der Beratung im Deutschen Bundestag gar nicht vorwegreden.
Abschaltung von Telegram ist "Ultima Ratio"
Küpper: Frau Faeser, kommen wir noch mal zu den Corona-Protesten, aber auch zu rechtsextremistischen Tätigkeiten. Eine Rolle dabei spielt immer der Chat-Anbieter Telegram, auf dem oft anonym Attacken verbreitet werden, sich aber auch Menschen verabreden. Das Ganze wird schon länger diskutiert. Sie haben jetzt in einem Interview mit der Wochenzeitung „Zeit“ nicht ausgeschlossen, dass Sie Telegram in Deutschland abschalten wollen. Ganz ehrlich: Ist das nicht eine Scheindebatte, weil das nicht gelingen kann?
Faeser: Als Ultima Ratio in der Gefahrenabwehr werden Sie das, glaube ich, schon auch rechtlich darstellen können, insbesondere, wenn Sie das über das Medienrecht machen. Da gibt es ja auch die Möglichkeit der Länder über Medienstaatsverträge. Aber das muss natürlich Ultima Ratio sein. Ich versuche, gerade auch mit der öffentlichen Debatte an Telegram heranzukommen. Telegram spielt ja auf der Welt in anderen Ländern durchaus eine sehr positive Rolle für Oppositionelle.
Das muss man in einer solchen Abwägung auch immer mit bedenken. Aber wir können uns natürlich auch nicht bieten lassen, dass es dort einen Messenger-Dienst gibt, der Hass und Hetze, Aufrufe zu Demonstrationen, zu Fackelzügen gegen Kommunalpolitiker, gegen Bürgermeister, gegen Landtagsabgeordnete, gegen Ministerpräsidentinnen wie Manu Schwesig oder den Ministerpräsidenten Kretschmer aus Sachsen, dass das einfach so stehenbleibt. Da muss der Staat ja auch handlungsfähig sein und deswegen tun wir im Moment sehr, sehr viel, auch rein praktisch, um an Telegram heranzukommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.