Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser (SPD) verbindet große gesellschaftliche Hoffnungen mit der anstehenden Fußball-Heim-EM: "Ich glaube, es soll vor allen Dingen zum Zusammenhalt beitragen", sagte Faeser im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Die EM solle „uns mal unbeschwertere Zeit einbringen, wo wir uns wieder freuen können mit unserer Nationalmannschaft und vielleicht nicht immer an die schlimmsten Dinge denken, die gerade so außenpolitisch wie innenpolitisch eine gewisse Rolle derzeit spielen.“
Zur jüngsten Rassismusdebatte in Bezug auf die Nationalmannschaft, ausgelöst von einer ARD-Umfrage, sagte Faeser, sie wisse, „dass Rassismus bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Das sind aber Dauerthemen, die haben aus meiner Sicht jetzt nichts mit der Fußball-Europameisterschaft zu tun. Sondern das ist unsere Aufgabe, gemeinsam jeden Tag dagegen zu arbeiten, die Gesellschaft wieder mehr zusammenzubringen.“
„Großer Kraftakt“ für die Polizei
Trotz der angespannten Sicherheitslage empfiehlt die Ministerin, das Turnier zu genießen: „Das ist etwas, was ich auch allen in Deutschland sage: Freut euch auf das Turnier. Geht hin.“ Der Fußball und die Gemeinschaft stünden im Fokus. Für sie als Innenministerin stehe aber die Sicherheit an erster Stelle. Faeser gab sich überzeugt, dass die Absicherung einer Vielzahl von Veranstaltungen für die Sicherheitskräfte zu stemmen sei, fügte aber an: „Es ist natürlich auch ein großer Kraftakt, was den Kräfteeinsatz betrifft. Wir haben alleine pro Tag nur für die Fußball-Europameisterschaft 22.000 Bundespolizeibeamtinnen und -Beamte im Einsatz.“
Einzeltäter „denkbares Szenario“
Nach dem tödlichen Angriff von Mannheim stehen auch potenzielle Einzeltäter im Fokus der Behörden. Dies sei auch zur EM „immer ein denkbares Szenario“. Die Abschiebung von Schwerkriminellen, auch nach Syrien und Afghanistan, wird nach der Tat von Mannheim wieder diskutiert – Faeser hatte sich bereits dafür ausgesprochen und lässt dies rechtlich prüfen.
Zur konkreten Umsetzung und der Frage, ob sie dann auch mit den Taliban in Afghanistan verhandeln würde, sagte die Ministerin: „Es geht jetzt nicht darum, mit Regimen dort neue Kontakte aufzunehmen. Man kann manches Bestehende nutzen. Und es geht vor allen Dingen, wo meine Arbeit gerade hingeht, um das Zurückbringen von Menschen über Nachbarländer. Ich glaube, das könnte ein guter Weg sein und daran arbeiten wir.“
Das Interview mit Nancy Faeser im Wortlaut:
Marina Schweizer: Das ist eine EM, mit der auch VertreterInnen der Bundesregierung sehr viele Hoffnungen verbinden, sehr viele Erwartungen, etwas Leichtigkeit in schwierigen Zeiten, ein Zeichen der Offenheit, das aus Deutschland nach Europa gesendet werden soll und auch von einer EM der Vielfalt ist die Rede. Und jetzt haben wir noch zusätzlich eine sehr angespannte Sicherheitslage hier in Deutschland. Turnierdirektor Philipp Lahm greift vor der EM schon seit Monaten eigentlich ins oberste Fach im Regal und peilt ein Turnier der Zeitenwende an. Für die Gesellschaft und für uns alle, sagt er. Hängt diese EM für Sie ähnlich hoch?
Nancy Faeser: Also erst mal freue ich mich sehr, dass es nun bald wirklich losgeht. Wir sind heute am Rande eines Testspiels gegen Griechenland, aber ich freue mich natürlich auf den 14. Juni ganz besonders, wenn die deutsche Mannschaft gegen Schottland das Turnier eröffnet.
Ich verbinde mit unserem Heimspiel für Europa vor allen Dingen, dass wir was für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft tun können. Und ich glaube, da kann die Fußball-Europameisterschaft schon viel leisten, denn der Sport hat die Kraft, Menschen zusammenzubringen. Man freut sich mit der Nationalmannschaft. Man drückt ihnen die Daumen. Man steht, egal, mit wem, wo jemand mal herkam, wen er liebt, an wen er glaubt, zusammen und drückt unserer Nationalmannschaft die Daumen.
Und ich glaube schon, dass das dazu beitragen kann, dass wir wieder mehr Zusammenhalt in schwierigen Zeiten kriegen und auch, dass diejenigen im Fokus stehen, die diese Fußball-Europameisterschaft auch tragen, nämlich allein die 16.000 Volunteers, die freiwilligen Helferinnen und Helfer im Ehrenamt, die diese Fußball-Europameisterschaft vertreten und sehr, sehr stark machen.
Schweizer: Das sind ja aber durchaus auch politische Erwartungen an so ein Turnier. Sie selbst haben ja in Katar – das haben sicher viele noch im Kopf – diese „One Love“-Kapitänsbinde getragen am Arm auf der Tribüne. Das war auch eine Politisierung eines Events und Sie mussten auch dafür einige Kritik einstecken. Inwieweit überfordert man mit so was jetzt auch eine Mannschaft oder ein Turnier?
Faeser: Das sollte man nicht tun. Das habe ich auch damals nicht getan. Ich habe das ja nur in Reaktion auf die FIFA getragen, denn die FIFA hat ja damals das Tragen dieser Kapitänsbinde, wie Sie zu Recht sagen … die „One Love“-Binde war ja der Plan von sieben europäischen Mannschaften, darunter auch die deutsche. Und kurz vor dem Spiel der britischen Mannschaft wurde damals das von der FIFA untersagt. Ich habe das nur in Reaktion auf die FIFA damals getragen. Nein, gehört da nicht hin.
Unsere Spieler sollen ein wunderbares Fußballturnier spielen, sollen sich auf den Sport konzentrieren. Und wir wollen ja gerade mit diesem Turnier eher zeigen, dass in Europa wir solche Spiele gut ausführen können, dass hier in Deutschland ein Klima der Offenheit herrscht, dass wir ein Staat sind, die gut Gastgeber eines solch großen Turniers sind. Das ist natürlich das, was uns gerade auch interessiert. Das ist eine Europameisterschaft, die besonders nachhaltig ist, sei es bei der Mobilität mit öffentlichem Personennahverkehr, der sehr stark gefördert wird oder auch mit der Einhaltung unserer Lieferkettengesetze, die gerade auch die Fußball-Europameisterschaft trägt. Und die UEFA hat zum ersten Mal die Menschenrechtserklärung unterzeichnet. Das ist natürlich gut, am Rande, aber jetzt geht es ab dem 14. Juni nur noch um den Sport.
"Wir sollten uns alle auf das Turnier freuen"
Schweizer: Das Ganze soll ein Fußballfest werden. Das haben Sie auch immer wieder unterstrichen. Können Sie das Ganze überhaupt mit so einer Leichtigkeit angehen, wenn man die aktuelle Sicherheitslage sieht mit dem Nahostkonflikt, mit dem Ukrainekonflikt und jetzt natürlich auch mit der Ukraine als Team hier. Es gibt schon ja große Sorgen, was die Sicherheitslage angeht.
Faeser: Also erst mal, finde ich, wir sollten uns alle auf dieses Turnier freuen. Es ist unsere Nationalmannschaft, die hier in Deutschland bei uns zu Hause auf den Spielfeldern in zehn Austragungsstätten spielt. Und das ist etwas, was ich auch allen in Deutschland sage: Freut euch auf das Turnier. Geht hin. Geht zum Public Viewing. Guckt es zusammen mit Freunden und Nachbarn. Das ist ja das, was ich vorhin meinte mit „Gesellschaft stärken“.
Und, ja, es geht um Hochleistungsfußball. Ich bin mir sicher, dass wir tolle Fußballspiele sehen werden und in höchster Qualität. Und das steht im Fokus. Aber ja, klar, für mich als Innenministerin ist natürlich die Sicherheit das Entscheidende. Und deswegen hat es auch höchste Priorität für mich, mein Haus. Das sollte man aber davon trennen, was die Gesamtbevölkerung betrifft. Und für uns ist es natürlich klar, Sicherheit steht an erster Stelle. Und deswegen bereiten wir uns auch seit Jahren, insbesondere auch die Länderpolizeien und die Bundespolizei auf dieses Turnier vor, um gegen sämtliche Eventualitäten dann auch gewappnet zu sein.
Pro Tag für EM 22.000 Bundespolizisten im Einsatz
Schweizer: Wir wissen, dass die Polizistinnen und Polizisten in Deutschland diesen Sommer Urlaubssperre haben und alle parat stehen müssen für dieses Event. Es gibt ja aber auch noch viele andere Events, die gesichert werden müssen. Eine Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Deutschland, ein geplanter AfD-Parteitag, aber auch viele Politikerinnen und Politiker in Deutschland, die nach wie vor in einer aufgeheizten Lage geschützt werden müssen. Ist das stemmbar?
Faeser: Ich bin davon überzeugt. Es ist ein Kraftakt, keine Frage. Sie haben es angesprochen. Das gilt für alle Länderpolizeien, für die Bundespolizei. Es gibt Urlaubssperren. Und es ist natürlich auch ein großer Kraftakt, was den Kräfteeinsatz betrifft. Wir haben alleine pro Tag nur für die Fußball-Europameisterschaft 22.000 Bundespolizeibeamtinnen und -Beamte im Einsatz. Das ist wirklich ein großer Kraftakt. Und da bin ich auch unendlich dankbar, dass die Polizeien, sowohl der Länder als auch des Bundes, wirklich auf ihren Jahresurlaub verzichten und mit so viel Freude auch dieses Turnier vorbereiten und hochmotiviert sind, dieses Turnier auch zu schützen. Das ist wirklich etwas, wovor ich den Hut ziehe, wo ich sage, vielen Dank für diese großartige Leistung. Die Polizei leistet wirklich Großartiges.
Abstrakte Gefährdung, keine konkrete
Schweizer: Sie haben gesagt, es liegt keine konkrete Bedrohungslage vor. Wie konkret muss es werden, wenn es quasi im Netz schon Bilder gibt von einem Kämpfer, der da in einem Stadion stilisiert ist, bewaffnet, bei dem auch Spielorte für die EM genannt werden? Also, wenn man jetzt vielleicht Fan ist oder besorgter Bürger einfach, fragt man sich das ja vielleicht schon.
Faeser: Also darin sind natürlich die Sicherheitsbehörden sehr geübt. Ich verlasse mich da auf die Einschätzung der Sicherheitsbehörden. Alle Sicherheitsbehörden in Deutschland sind momentan der Meinung, es gibt eine hohe abstrakte Gefährdung, aber keine konkreten. Das, was Sie ansprechen im Netz, das ist natürlich auch bewusst von Menschen auch, die krude Ideen vertreten, auch bewusst gesetzt, um Ängste zu schüren. Das darf man auch nicht vergessen. Und natürlich wird damit etwas stilisiert, was dann möglicherweise so gar nicht geplant ist. Denn natürlich, für Sicherheitsbehörden braucht man immer auch Anhaltspunkte, dass wirklich etwas geplant ist, dass man weiß, wer könnten mögliche Täter sein und es steht etwas unmittelbar bevor. Und dann würden wir ja auch alle sehr schnell reagieren.
Schweizer: Das Thema, die Sorge vor potenziellen Einzeltätern, ist jetzt durch die Tat von Mannheim, eine mutmaßliche Einzeltat, bei der es einen tödlichen Angriff auf einen Polizisten in Mannheim gegeben hat, ist dadurch natürlich jetzt wieder hochgekommen. Die Abschiebedebatte werden Sie jetzt vor der EM wahrscheinlich nicht mehr klären, aber sind solche Einzeltäter genau das, was jetzt gerade das Brisanteste für Sie ist?
Faeser: Also erst mal will ich noch, weil Sie den furchtbaren Mord an dem Polizeibeamten Rouven Lauer ansprechen, noch mal sagen, dass ich tief betroffen davon bin und meine Gedanken bei seinen Angehörigen sind dieser Tage. Es war ein mutiger Polizist, der für die Sicherheit unseres Landes sein Leben gelassen hat für andere, weil er mutig eingegriffen hat, um andere zu schützen. Das ist etwas, was mich sehr tief berührt. Das vielleicht einmal vorweg. Und das, was Sie ansprechen mit den Einzeltätern, das ist ein Szenario, mit dem haben wir natürlich auch vor Mannheim für die Europameisterschaft immer gerechnet. Das sind Szenarien, wie wir sie in Paris vor Kurzem erlebt haben und auch woanders auf der Welt. Das ist immer ein denkbares Szenario.
Schweizer: Und jetzt ist die Diskussion natürlich da auch in den Tagen vor der Europameisterschaft, die Abschiebedebatte, bei der es ja darum geht – Sie haben es selbst auch noch mal unterstrichen –, dass geprüft werden soll auch von Ihrem Ministerium, ob auch Abschiebungen nach Einzelfallprüfung nach Afghanistan und Syrien wieder möglich werden können. Aber die große Frage, die im Raum steht, ist ja, wie das konkret aussehen kann. Wollen Sie wirklich mit den Taliban verhandeln? Die haben ja jetzt sogar schon Gesprächsbereitschaft signalisiert.
Faeser: Also, für mich ist einmal wichtig, dass wir es auch machen. Also ich will, dass abgeschoben wird nach Afghanistan und Syrien, weil es nicht sein kann, dass Gefährder und Straftäter, wenn sie ihre Haft hier verbüßt haben und von ihnen immer noch Gefahr ausgeht, dass sie hierbleiben. Da gehen deutsche Interessen, Sicherheitsinteressen einfach vor. Und deswegen muss es dafür eine Lösung geben. Es geht jetzt nicht darum, mit Regimen dort neue Kontakte aufzunehmen. Man kann manches Bestehende nutzen. Und es geht vor allen Dingen, wo meine Arbeit gerade hingeht, um das Zurückbringen von Menschen über Nachbarländer. Ich glaube, das könnte ein guter Weg sein und daran arbeiten wir.
Schweizer: Also ist Ihnen lieber, wenn die Nachbarländer praktisch anstelle von Deutschland mit den Taliban verhandeln?
Faeser: Nein, nicht die Nachbarländer sollen mit den Taliban verhandeln, sondern es geht ja darum, Nachbarländer haben ja mitunter Beziehungen und wir wollen eben diese Beziehungen dann auch tatsächlich nutzen, um die Gefährder zurückzubekommen. Noch mal: Deutsche Interessen, Sicherheitsinteressen gehen da eindeutig vor.
Schweizer: Wir haben schon über die Hoffnung vor diesem Turnier gesprochen. Sie selbst haben schon vor Monaten gesagt, dass so ein Turnier, dass Sie darauf setzen, dass das Ganze für Demokratie, Respekt, Toleranz, Achtung der Menschenrechte steht. Ab wann trägt man zur Überfrachtung des Fußballs bei?
Faeser: Ich glaube, damit überfrachten wir gar nicht. Das sind ja nur unsere Anforderungen, die wir an Sportgroßereignisse in Deutschland haben. Ich glaube, was wir ja von dem Turnier alle erwarten … und man spürt diese Vorfreude ja auch langsam. Wenn Sie sich umgucken, die ersten Autos haben schon wieder Deutschlandfahnen dran. Ich sehe das mit großer Freude. Ich glaube, es soll vor allen Dingen zum Zusammenhalt beitragen. Und es soll uns mal unbeschwertere Zeit einbringen, wo wir uns wieder freuen können mit unserer Nationalmannschaft und vielleicht nicht immer an die schlimmsten Dinge denken, die gerade so außenpolitisch wie innenpolitisch eine gewisse Rolle derzeit spielen. Ich glaube, das tut uns allen mal gut, durchzuatmen, sich mal auch wieder gemeinsam zu freuen.
Fußball als integrative Kraft
Schweizer: Stiftet Fußball per Ansage oder per Hoffnung Einheit und Offenheit? Oder ist das erst mal nur eine Erzählung?
Faeser: Nein, ich glaube, dass Fußball das generell kann. Ich glaube auch, im Fußballverein vor Ort erlebt man ja, was Fußball leisten kann. Fußball kennt keine Unterschiede, egal, wo jemand herkommt oder wen er liebt oder an wen er glaubt. Fußball hat eine unglaubliche integrative Kraft, doch in jedem Ort. Jeder kennt einen örtlichen Fußballverein, wo alle miteinander friedlich spielen, sich gemeinsam freuen und auch diesen Zusammenhalt ja haben für die einzelne Mannschaft.
Wenn Sie mal sehen, was dort im Ehrenamt geleistet wird, wie viele ehrenamtliche Trainer es gibt, wie viele ehrenamtliche Unterstützer von Mannschaften, ja, Mamis und Papas, die dann auch die Trikots mit nach Hause nehmen und sie waschen. Also da gibt es doch ganz, ganz viel Zusammenhalt, so der Kitt in unserer Gesellschaft, der durch Fußballvereine ja gerade auch geleistet wird. Und der große Fußball kann das natürlich auch.
Schweizer: Die Wirkung im Breitensport und das, was da geleistet wird, das bestreitet sicherlich niemand. Trotzdem gibt es ja nachweislich auch in der jetzigen Zeit, auch in der aufgeheizten Stimmungslage eine Zunahme von Diskriminierung, Hass und Hetze im Netz. Der DFB selbst geht ja auch dagegen vor juristisch. Aber trotzdem ist das wirklich ein Wirbelsturm, der da teilweise auftritt. Und laut der Meldestelle für Diskriminierung im Fußball sind ja seit 2022 Hunderte rassistische Vorfälle im Fußball selbst gezählt worden. Also auch das ist ja eine Realität, mit der man sich momentan auseinandersetzen muss.
Faeser: Ja. Fußball ist natürlich auch Spiegelbild der Gesellschaft. Und natürlich haben wir ein paar Themen rund um Bundesligaspiele, rund um Einsatz von Pyrotechnik, von anderen Dingen, von rivalisierenden Fans, die aufeinandertreffen, von Gewalt im Sport. Das sind alles Themen, die werden ja von uns auch sonst bearbeitet. Aber ob die unbedingt während einer Fußball-Europameisterschaft, die, ich weiß nicht, alle 30 Jahre im Land ist, dann absolut im Fokus stehen sollen, oder ob nicht der Spaß auch wirklich an dem Fußballspiel, ich würde mich für die Freude am Fußballspiel entscheiden.
Schweizer: Warum ist das jetzt auch noch mal in Verbindung mit dem Turnier bringe, ist, weil es ja auch mehrere Untersuchungen gegeben hat rund um die Heim-Weltmeisterschaft 2006. Sehr viele nennen das Ganze „Sommermärchen“, haben das noch in Erinnerung mit diesen vielen Deutschlandfahnen. Und es gibt auch so ein bisschen diese Nacherzählung, dass das das erste Mal war, dass Patriotismus aufkam und Deutschland da für so eine Offenheit stand. Aber es gab eben unter anderem eine Langzeituntersuchung der Uni Marburg, die damals herausgefunden hat, die Deutschlandfähnchen und die ausgelassene Stimmung zur WM, die haben nicht unbedingt zu einer offeneren Haltung geführt, sondern dass eben nationalistische und auch sogenannte fremdenfeindliche Einstellungen sogar geringfügig zugenommen haben. Was machen Sie mit dem Ergebnis für das heutige, jetzige Turnier?
Faeser: Also ich würde das nicht auf die Heim-Fußball-Weltmeisterschaft schieben. Ich glaube, dass es dafür andere Ursachen gibt. Das sind ja Themen, die wir tagtäglich bearbeiten, nämlich gegen Rassismus, gegen vor allen Dingen den überbordenden Antisemitismus, den wir vor allen Dingen seit dem furchtbaren Angriff der Hamas im letzten Jahr am 7. Oktober auch in Deutschland erleben. Aber ich glaube nicht, dass das einen Zusammenhang mit dem Fußball oder auch mit dem Austragen eines Sportgroßereignisses und des Zeigens von Deutschlandflaggen zu tun hat. Ich glaube, das sollte man nicht miteinander vermengen. Und deswegen noch mal, ich glaube, wir freuen uns gemeinsam mit unserer Mannschaft. Unsere Mannschaft steht für Vielfalt und das ist etwas sehr Schönes. Ich finde, das ist ein tolles Bild für Deutschland nach außen.
Schweizer: Und jetzt haben Sie quasi schon die Vorlage gelegt zu einer weiteren Debatte, die vor der EM aufgekommen ist rund um die ARD-Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“. Da wurde mit einer repräsentativen Umfrage zum einen gezeigt, dass jeder fünfte Deutsche sich mehr weiße Spieler in der DFB-Elf wünscht. Machen Sie sich Sorgen, dass so ein Heimturnier so etwas wieder verstärken könnte?
Faeser: Nein, die Sorgen mache ich mir nicht. Ich finde erst mal an dieser Studie gut, dass die meisten, allermeisten gesagt haben, nämlich zwei Drittel, dass sie das toll finden, dass es so ist, dass wir so eine vielfältige tolle Mannschaft haben. Und das wird im Fokus stehen. Da bin ich ganz sicher. Wir haben das auch bei der Heim-WM erlebt. Die Menschen haben sich hinter unserer Mannschaft versammelt. Auch damals war es eine sehr gute, vielfältige Mannschaft. Und das erhoffen wir uns dieses Jahr genauso. Die anderen Themen sind Dauerthemen. Ich will das gar nicht kleinreden, dass es da Probleme gibt. Aber das wissen wir aus der Mitte-Studie der letzten Jahre ja schon längst, dass auch ausgrenzende Meinungen, Rassismus bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Das sind aber Dauerthemen, die haben aus meiner Sicht jetzt nichts mit der Fußball-Europameisterschaft zu tun. Sondern das ist unsere Aufgabe, gemeinsam jeden Tag dagegen zu arbeiten, die Gesellschaft wieder mehr zusammenzubringen, gegenseitigen Respekt auch sich wieder gegenüberzubringen. Aber das würde ich nicht mit einer Fußball-Europameisterschaft verbinden wollen.
EM wird teurer als geplant
Schweizer: Gehen wir noch mal auf einen ganz anderen Aspekt ein, nämlich das versprochene Erbe für die Europameisterschaft und damit natürlich auch die Kosten, die das Ganze verursacht. Es ist diese Woche vom Recherchenetzwerk Correctiv auch eine Veröffentlichung rausgekommen, da wurde gesprochen von erheblichen Zusatzkosten für die EM, laut der Abfrage der Austragungsstädte mindestens 66 Millionen mehr als ursprünglich kalkuliert. Ist nicht das erste Mal bei einem Sportgroßereignis. Ich weiß, Sie können jetzt einfach sagen, na ja, das ist ein Thema für die Städte. Aber es ist ja schon so, dass sich die Frage stellt, ob das ein Risiko ist, das man für so eine große Party inzwischen eingehen muss.
Faeser: Also ich glaube man muss zweierlei noch mal hinzufügen, um auch zu sagen, was bringt denn eine Fußball-Europameisterschaft dem eigenen Land, für die eigene Stadt. Wir wissen, dass es Untersuchungen gibt. Volkswirtschaftlich wird es in der Bundesrepublik durch zwölf Millionen Besucherinnen und Besucher auch einen echten Schub geben. Und das ist ja die positive Seite davon, wovon die Kommunen dann auch profitieren werden. Da bin ich sicher. Was aus unserer Sicht sehr wichtig war, das ist das Zweite, dass wir ja vorhandene Stadien nutzen konnten. Also, es ist überhaupt nichts neu, was gebaut werden musste für diese Fußball-Europameisterschaft. Das unterstreicht ja noch mal die Nachhaltigkeit.
Schweizer: Trotzdem ist es ja so teuer.
Faeser: Ja, aber überlegen Sie mal wie teuer und in welchen Dimensionen wir sonst reden bei Sportgroßereignissen. Also, die Zahl, die Sie genannt haben, ist, ja, natürlich sehr hoch. Und es ist für die Städte nicht einfach, die natürlich erhebliche Kosten hatten. Aber die werden mit Sicherheit auch erhebliche Einnahmen haben. Deswegen, ich bin sehr gespannt am Ende zu gucken: Was hat es auch den Städten gebracht und was sind auch Investitionen? Wenn ich eine meiner vielleicht nennen kann, die nicht ganz so groß ist, aber wo ich denke, dass es auch was bringt.
Wir stellen ja mit dem DFB, also mit der Euro 24 GmbH, gemeinsam diese Volunteer Akademie zur Verfügung für die 16.000 freiwilligen Helferinnen und Helfer, um sie auszubilden zu Übungsleiterinnen und Übungsleitern und fit zu machen fürs Ehrenamt auch nach der Fußballeuropameisterschaft. Das ist doch ein echter Gewinn für die Gesellschaft, wenn diese vielen Tausend Leute am Ende im Ehrenamt dann weiterarbeiten. Und dann muss man das, glaube ich, alles miteinander vergleichen.
Schweizer: Da gibt es aber auch ganz andere Studien, die sagen, eigentlich ist nur der vorübergehende Wohlfühlfaktor messbar, was nicht wegzudiskutieren ist wahrscheinlich, aber trotzdem … also, Marijke Taks zum Beispiel aus Kanada, Spencer Harris aus den USA, die auch Olympische Spiele zum Beispiel mituntersucht haben, die sagen, wenn man sich Daten ansieht, egal, ob es sich jetzt um wirtschaftliche -der sportliche Auswirkungen handelt, gibt es eigentlich nur sehr wenige Hinweise darauf, dass dieses Vermächtnis im Laufe der Zeit tatsächlich so realisiert wird wie versprochen.
Faeser: Also ich glaube fest daran, dass es Dinge gibt, die bleiben werden. Wie gesagt, das mit den Volunteers haben wir mit den Ehrenamtlichen so noch nie gemacht. Das ist erstmalig, dass wir so in dieser Breite dann auch die Ausbildung zur Verfügung stellen. Und ich glaube schon, dass sich das rentiert. Und wir freuen uns alle auf ein großes Turnier, was mitten in Deutschland stattfindet, wo ganz viele Menschen sehr viel Freude dran haben werden und wir einen unheimlichen Zusammen-halt auch mit anderen Nationen darstellen werden.
Wir werden mit Sicherheit, glaube ich, sehr viel Freude an der Heim-EM haben. Und ich glaube auch, dass das über-wiegt, und dass es auch wichtig ist für die Menschen, solche Ereignisse selbst im Land zu haben, um sich zu freuen, um mal da abgelenkt zu sein, was Schönes zu haben, mitzufiebern. Es ist ja ein unglaublicher Ort des Zusammenkommens – in den Fan Zones, bei Nachbarn, bei kleinen Public Viewings. Ich erinnere mich noch an die Heim-WM, wo wirklich an jeder Straßenecke sämtliche Restaurants Fernseher aufge-stellt hatten und alle gemeinsam mitgefiebert haben. Und das ist doch ein großer Wert an sich. Und ich glaube, dass solche Sportgroßereignisse eben gerade auch in Deutschland, in Europa, sehr, sehr viel bringen werden für die Gemeinschaft. Und das werden wir sicherlich auch bei den Olympischen Spielen in Paris sehen.
Schweizer: Sie unterstützen ja auch eine Olympia-Bewerbung Deutschlands. Jetzt gab es für die EM, bei der es schon diese Kostensteigerung gab, aus verschiedensten Gründen sieben Jahre Vorlauf bis zur Ausrichtung. Bei Olympischen Spielen wären es – Sie unterstützen ja ohnehin, wenn, dann eine Bewerbung für eher 2040, denke ich. Haben Sie ja auch schon gesagt. Dann ist ja der Vorlauf noch länger und die Sache noch unberechenbarer. Die Wirtschaft in Deutschland kommt nicht in Schwung. Die Militärausgaben steigen. Es gibt massiven Reformbedarf in unterschiedlichsten Bereichen, wie der Pflege. Steht eine Ausrichtung Olympischer Spiele im eigenen Land dann im Zweifel über solchen Realitäten?
"Wir sind reif für eine Olympiabewerbung"
Faeser: Es geht nicht um ein Abwägen, ob wir eine Olympia-Bewerbung machen oder uns um die Pflege in Deutschland kümmern. Wir müssen aus meiner Sicht beides tun. Ich finde es wichtig, dass wenn wir Anforderungen haben daran, wie Sport-Großveranstaltungen stattfinden sollen, dass wir uns dann auch darum bemühen, sie in unserem Land zu haben und mit gutem Beispiel voranzugehen. Das habe ich ja gesagt, dass wir gerade hier nachhaltig Menschenrechte einhalten, dass das ein wichtiger Fakt ist auch für die Menschen, des Zusammenhaltes.
Und Olympische Spiele werden mit Sicherheit viel für die Völkerverständigung tun, viel für den Zusammenhalt. Und wir haben bei Olympischen Spielen allerdings bei den Kosten eine sehr positive Entwicklung. Das IOC hat sich auch verändert in seinen Kriterien und legt jetzt Wert darauf, vorhandene Sportstätten zu nutzen. Das war früher anders. Da mussten sehr, sehr großflächige Dinge neu gebaut werden. Das ist jetzt nicht mehr so. Das heißt, die Kosten werden wesentlich reduziert.
Schweizer: Es ist immer wieder die Rede von einer Olympiabewerbung aus Deutschland, die von der Privatwirtschaft auch mitgetragen wird, damit eben nicht so viel an den Steuerzahlern hängenbleibt. Ist das aus Ihrer Sicht als Bundesministerin momentan schon konkret genug, was jetzt eine deutsche Bewerbung angeht, um wirklich den Hut beruhigt in den Ring zu werfen?
Faeser: Also ich glaube schon, dass wir beruhigt den Hut in den Ring werfen können. Wir sind ja gerade mit dem DOSB gemeinsam dabei, eine Olympiabewerbung vorzubereiten. Und ich glaube schon, dass wir das könnten, vor allen Dingen unter den Voraussetzungen, die ich eben genannt habe, dass eben nicht mehr die Kosten so überbordend sind, dass eben nicht mehr so viel Fläche dafür verschwendet wird wie früher, wo man große Bauten erstellen musste, die dann … manches wird sehr lange gebraucht, wenn ich mal an das Olympiastadion in Berlin denke, was wir immer noch nutzen und immer noch sehr schön ist, aber andere Dinge eben nicht. Und das hat sich verändert. Und deswegen, glaube ich, sind wir reif für eine Olympiabewerbung.
Schweizer: Im Koalitionsvertrag steht, dass Sie eine Olympia- und Paralympics-Bewerbung unterstützen, wenn die Bevölkerung rechtzeitig einbezogen wird. Jetzt hat Berlins Innensenatorin Iris Spranger zum Beispiel im Herbst schon mal durchscheinen lassen, dass sie die Bevölkerung nicht befragen wollen würde. Ab wann gelten die Menschen denn als einbezogen aus Ihrer Sicht?
Faeser: Na ja, es gibt ja verschiedene Möglichkeiten der Einbeziehung. Man kann mit einem Bürgerentscheid, wie man es klassisch macht, man kann aber auch Foren bilden, sie einladen, gucken, sich ein Meinungsbild holen. Ich glaube, da gibt es schon viele Möglichkeiten. Sie haben vorhin Umfragen angesprochen. Und ich glaube, wenn man den Menschen die veränderten Rahmenbedingungen auch sagt, dass dann viel eher auch Bereitschaft dafür da ist, Olympische Spiele, Paralympische Spiele in Deutschland wieder durchzuführen. Und ich glaube, dass man nach diesem Sportsommer in Frankreich bei Olympischen Spielen in Paris schon sehen wird, welchen Mehrwert es hat, auch in Europa Olympische Spiele zu haben.
Schweizer: Reicht Ihnen das, was der Deutsche Olympische Sportbund da jetzt bisher an Foren veranstaltet hat, bei denen es ja relativ wenig Zulauf gab, sowohl im Netz als auch in Präsenz?
Faeser: Ich glaube, dass man vielleicht für die Beteiligung noch ein bisschen mehr machen muss, wenn es auch in die Richtung geht. Also wir sind ja jetzt noch ganz am Anfang des Stadiums. Insofern braucht man da sicher noch ein bisschen mehr Einbeziehung
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.