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Nano-Krebsforschung
Leuchtende Zwerge gegen Tumore

Hamburger Forscher begannen vor zehn Jahren, leuchtende Nanoteilchen zu entwickeln. Sie sollen Tumorzellen markieren und dadurch Krebs im Frühstadium erkennen. Das Aufleuchten haben die Forscher inzwischen verworfen. Jetzt soll ein anderer Trick helfen: Rost.

Von Frank Grotelüschen |
    Ein Labor an der Universität Hamburg. In einem der Glasschränke stehen Glaskolben mit Flüssigkeiten. Diverse Schläuche leiten die Chemikalien in eine Apparatur, wo sie so lange gemischt und geheizt werden, bis die gewünschte Reaktion eintritt. "Das ist eine kleine Nanofabrik hier", beschreibt Horst Weller, Professor für physikalische Chemie an der Uni Hamburg, die Anordnung. "Eine Spezialität, die wir hier entwickelt haben, nämlich dass man die Teilchen automatisch herstellen kann."
    Nanoteilchen vom Fließband, zumeist aus Metall und von gleichbleibender Größe und Qualität. Für Horst Weller sind sie aussichtsreiche Kandidaten für ein ehrgeiziges Ziel: "Diese Teilchen in der Medizin einzusetzen und Früherkennung zu machen, so dass die Teilchen zum Beispiel einen Krankheitsherd finden und dass man ihn so nachweisen kann."
    Ein Ziel: Krebs aufspüren
    Insbesondere Krebs sollte sich mit den Nanoteilchen aufspüren lassen, und zwar im Frühstadium – so die Hoffnung. Dazu wollten die Forscher ihre Nanoteilchen mit speziellen Erkenner-Molekülen verknüpfen, die gezielt an Tumorzellen andocken. Würde man die Nanoteilchen dann mit Infrarotlicht bestrahlen, würden sie hell aufleuchten und so die Präsenz der Tumorzellen verraten. Zunächst schien das Kalkül aufzugehen. "Außerhalb des Körpers funktionierte es prima", sagt Horst Weller, "und deswegen war die Euphorie riesig groß. Und da gibt es dann immer Leute, die versprechen, dass alles sehr schnell geht."
    Schwierigkeiten im Körperinneren
    Das war 2007, also vor knapp zehn Jahren. Horst Weller hatte sich damals eher vorsichtig geäußert. Zu Recht, denn ganz so schnell, wie es manche seiner Kollegen prophezeit hatten, sollte es dann doch nicht gehen mit den krebsaufspürenden Nanoteilchen. Insbesondere einen Umstand hatten die Forscher unterschätzt, so Horst Weller: "Die Schwierigkeit ist, wenn man in den Körper geht und es dort machen will. Das Problem ist das Immunsystem, ganz klar."
    Im Tierversuch erkannte das Immunsystem die Nanoteilchen als unerwünschte Eindringlinge und schaffte sie flugs aus dem Weg. "Da mussten wir erstmal lernen, eine Tarnkappe um die Teilchen zu machen, dass sie nicht vom Immunsystem erkannt werden", erklärt Weller. "Bestimmte Polymere schaffen es, wenn man sie richtig herstellt und in der richtigen Größe und Dichte auf den Teilchen anordnet, dass diese Teilchen tatsächlich sehr lange im Blutstrom zirkulieren und nicht vom Immunsystem abgefangen werden."
    Besser geeignet: Rost als Substanz
    Zumindest im Tierversuch funktioniert diese Tarnkappe für Nanoteilchen schon. Doch den Trick mit dem Aufleuchten bei Infrarot-Bestrahlung haben die Forscher verworfen, denn die Leuchtzwerge enthalten giftiges Kadmium. Stattdessen setzen sie nun auf eine andere, weniger heikle Substanz: "Eisenoxid, Rost", sagt Horst Weller.
    Nanoteilchen aus Rost leuchten zwar nicht auf, machen sich aber im Bild eines MRT-Scanners bemerkbar. Könnte man sie in einem Tumor anreichern, würde sich das Geschwür im Scannerbild verraten. Doch dazu mussten Weller und seine Kollegen die Rostzwerge mit Erkenner-Molekülen spicken – und das erwies sich als Problem. Anders als erwartet war es mit einer Sorte von Erkenner-Molekülen nicht getan. "Das ist letztlich zu naiv", erklärt Horst Weller. "Man muss versuchen, das nachzumachen, was die Natur selber in natürlichen Transportern hat. Dass es also viele verschiedene Erkennungsmoleküle gibt, die in der Kombination dazu führen, dass wirklich eine Selektivität da ist."
    Messtechnik in einem Labor an der Universität Hamburg
    Messtechnik in einem Labor an der Universität Hamburg (Deutschlandradio / Frank Grotelüschen)
    Zielgerade noch nicht in Sicht
    Das bedeutet: Viel Arbeit für Weller und seine Leute. Denn nun müssen sie herausfinden, welche Kombination von Antikörpern und Zuckermolekülen den besten Erkenner-Job erledigt. "Ich denke, dass man die nächsten zehn Jahre brauchen wird, um diese Prinzipien zu erkennen, wie das funktioniert", meint der Forscher.
    Zehn Jahre nach den ersten Erfolgen ist die Zielgerade also noch nicht in Sicht. Eine Anwendung aber könnte durchaus schon früher kommen – eine Nanoteilchen-Therapie gegen die Multiple Sklerose, erläutert Weller: "Das war mehr oder weniger ein Zufallsprodukt mit nicht so guten Teilchen, sondern solchen, die zufällig in ganz bestimmte Leberzellen transportiert wurden. Das sind die Leberzellen, die dafür zuständig sind, sogenannte autoreaktive T-Zellen zu entwickeln, die wiederum aufpassen, dass das Immunsystem nicht das Gehirn angreift. Das war ein zufälliger Spin-off von dieser ganzen Forschung."
    Diese nebenbei entdeckten Nanoteilchen sollen als Medikamententaxis fungieren und einen Wirkstoff in die Leber einschleusen, den man dort sonst nicht hinbekommt. Erste klinische Versuche sind für das kommende Jahr angepeilt. Und die Mediziner, sagt Horst Weller, versprechen sich so einiges von diesem Abfallprodukt der Nanomedizin.