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Napoleon - Traum und Trauma

Napoleon Bonaparte regt noch immer die Fantasie von Historikern und Romanautoren an. Der einst mächtigste Mann Europas war ein zwiespältiger Charakter: eine Genie, ein Macher mit modernen Ideen und ein Tyrann. In der Bundeskunsthalle in Bonn wird am 17. Dezember eine große Ausstellung über Napoleon eröffnet.

Von Matthias Hennies |
    Lange hat er die Meinungen polarisiert. Man hielt ihn entweder für ein Genie oder ein Monster. Aber nun, fast 200 Jahre, nachdem Napoleon endgültig abdanken musste, wird verständlicher, warum er eine so blutige Spur in der Geschichte hinterließ und welche Verdienste er sich dennoch um Europa erworben hat. Für die Entwicklung der deutschen Staaten um 1800 ist klar:

    "Am Anfang war Napoleon."

    Der Historiker Hans Ulrich Thamer, Professor an der Universität Münster, zitiert, was sein Kollege Nipperdey einmal auf den Punkt gebracht hat: Die Modernisierung Deutschlands wurde durch Napoleon ausgelöst.

    "Napoleon ist die große Herausforderung, und man muss entweder Reformen, die bis dato nicht realisiert worden sind, durchführen, um einfach konkurrenzfähig oder widerstandfähig zu bleiben","

    - in Preußen, das sich bei der katastrophalen Niederlage 1806 als hoffnungslos unterlegen erwiesen hatte -

    ""oder man muss die neu gewonnenen Territorien zu einem neuen Staat vereinigen, Vereinheitlichung von Verwaltung, Codifizierung von Gesetzen, auch im Bereich von Wirtschafts- und Sozialpolitik."

    So machte es Napoleon in besetzten Gebieten wie dem als Modellstaat konzipierten Königreich Westfalen. Dort führte er ein neues Rechtssystem auf der Basis des epochemachenden "Code Civile" ein, eine Vorform des Bürgerlichen Gesetzbuches, und begründete das erste Parlament Deutschlands. Er tat das nicht, um die republikanischen Ideale der Französischen Revolution umzusetzen, sondern weil er damit die Macht der besiegten Adelsgeschlechter brechen konnte.

    Französische Ingenieure bauten dann solide Landstraßen - die ersten seit der Antike, zeichneten präzise Landkarten, planten Brücken und Kanäle. Vorrangig diente das militärischen Zwecken. Aber letztlich ging auch die erfolgreiche Industrialisierung Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts darauf zurück, dass die Fülle Napoleonischer Reformen das Land von den Fesseln des überkommenen Feudalstaates befreite.

    "Jeder kann Eigentum erwerben, er kann es aber auch verlieren - und er kann es aufgrund seiner Leistungen und nicht aufgrund seiner Herkunft oder seiner Privilegien. Er kann in einem Freihandelssystem operieren, wo es keine inneren Zollschranken gibt, auch das macht ja Napoleon für seinen - aber nur seinen Herrschaftsbereich. Die Zünfte werden abgeschafft und damit jedermann die Möglichkeit gegeben, sich als Kleinunternehmer zu betätigen."

    In Frankreich ist die Bewertung Napoleons weniger klar. Man thematisiert den wohl berühmtesten Franzosen nicht gern, erzählt Bénédicte Savoy, Kuratorin der Ausstellung in Bonn:

    "In Frankreich wird Napoleon unter Historikern wenig behandelt. Es gibt in Frankreich eigentlich nur zwei Lehrstühle für diese Zeit, das hat strukturelle Gründe: Entweder man ist Professor für die Zeit bis 1789 oder für die Zeit nach 1815 und wenn man sich für die Zeit dazwischen interessiert, hat man wenige Chancen auf Karriere. Die Tatsache, dass diese Zeit ausgespart wird in den Curricula, auch in den Schulen - Napoleon kommt immer am Ende des Schuljahres, das heißt, ich habe zum Beispiel in meiner Schulzeit nie etwas über Napoleon gehört."

    Bei Anlässen wie dem 200. Jubiläum seiner Kaiserkrönung 2004 blieb das offizielle Frankreich weitgehend stumm. Man fühlt sich noch immer unbehaglich angesichts seiner zwiespältigen historischen Rolle. Dabei brachte er der Nation so viel Neues - auch eine Blüte der Kunst, die Savoy - Professorin für Kunstgeschichte an der TU Berlin - selbst erforscht hat:

    "Die jungen Maler, Gros, Ingres, die 25 Jahre alt waren, die haben sich um 1800 für ganz andere Formen, Vorbilder außerhalb des antike Erbes interessiert. Und die Tatsache, dass durch die Kriege der französischen Revolution, aber dann auch durch Napoleon zum Beispiel die altdeutsche Kunst, Cranach, Dürer, Holbein nach Paris kam und plötzlich eine unerhörte Sichtbarkeit im Musée Napoléon, also im Louvre, hatte, hat diese ganze Malergeneration, ob französische oder auch deutsche, die zu Besuch nach Paris kamen, das hat sie elektrisiert."

    Aber auch dieser Aufbruch hinterlässt zwiespältige Gefühle, denn Napoleon hat die Bilder aus Kunstkammern und Museen der besetzten Länder abholen lassen. Der größte Teil wurde nach 1815 zurückgegeben, doch den systematischen Kunstraub empfanden manche als geradezu traumatische Erfahrung. Noch im ersten und zweiten Weltkrieg pflegten deutsche Kunsthistoriker die revanchistische Illusion, sie könnten von Napoleon geraubte Bilder aus Paris zurückholen.

    Das größte Trauma ist für Bénédicte Savoy aber die weitreichende Verwüstung Europas und die blutige Dezimierung einer ganzen Generation junger Männer in Napoleons Kriegen:

    "Ich sehe tatsächlich die Napoleonische Herrschaft, die so oft als erster Schritt zur Europäisierung dargestellt wird, als eine erste grundsätzliche Zerstörung Europas. Europa ist im 18. Jahrhundert eine große kosmopolitische Einheit, die französische Sprache existierte als lingua franca, der Austausch der Wissenschaftler, der Intellektuellen war sehr intensiv, das war ein Raum, der sehr vernetzt war. Mit Napoleon sind zwar die Kommunikationswege verbessert worden, aber die Folgen seiner Herrschaft sind das, was man die Geburt der Nationalismen nennt, eine Verhärtung der nationalen Positionen, die dann das ganze 19. Jahrhundert geprägt hat, die Kriege 70-71, den ersten Weltkrieg, den zweiten Weltkrieg mitverursacht haben."

    Dass Napoleons Kriege unter den gegnerischen Staaten wie auch in Frankreich den Nationalismus gefördert haben, ist unstrittig. Doch dass seine endlosen Feldzüge eine langandauernde Spaltung Europas ausgelöst haben, scheint fraglich. Hans-Ulrich Thamer verweist darauf, dass nach dem Zusammenbruch von Napoleons Herrschaft 1815 eine lange stabile, relativ friedliche Epoche folgte.

    Die schwer begreifliche Abfolge nicht endenwollender Kriege war systembedingt, erklärt der Historiker: Nur so konnte Napoleon seine Herrschaft aufrecht erhalten, denn in Frankreich fehlte ihm eine solide Machtbasis. Während der Revolution entstand zwar eine bürgerliche Schicht, die in der neu gewonnenen Freiheit reich wurde. Doch zwischen den Vertretern des ancien régime, dem entmachteten Adel und dem bourbonischen Königshaus auf der einen Seite und den radikalen Jakobinern auf der anderen konnte sie nicht zu einem stabilisierenden politischen Faktor heranwachsen. Daher vermochte sich Napoleon nur zu halten, solange der Glanz seiner Taten nicht verblasste. Thamer:

    "Napoleon verkörpert, was man charismatische Herrschaft nennt. Er legitimiert sich nicht durch seine Herkunft, seine vornehme Geburt und auch nicht demokratisch, sondern er legitimiert sich durch außerordentliche Fähigkeiten und Leistungen. Die liegen zunächst darin, dass er im Inneren Ordnungsstifter ist, der nationale Retter, und dann natürlich durch außenpolitische Erfolge."

    Dass er auf der Jagd nach spektakulären Siegen in eine Spirale der Gewalt hineingeriet, liegt in der Natur der "charismatischen Herrschaft", die der Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts charakterisierte: Nur immer neue glänzende Leistungen können verhindern, dass der außergewöhnliche Herrscher schließlich doch alltäglich und durchschnittlich wirkt.

    Napoleon sicherte seine Herrschaft durch ein autokratisches System und nach seinem Scheitern wurde die Dynastie der Bourbonen wieder auf dem Thron installiert. Dennoch hat der selbsternannte "Kaiser der Franzosen" - aus der historischen Distanz betrachtet - die Werte der Großen Revolution bewahrt. Thamer:

    "Es blieb eine demokratische politische Kultur, die Idee der politischen Mitsprache, des öffentlichen Diskurses über Politik und die Vorstellung, dass das machbar sei, das ist ganz wichtig, dass also Menschen das selber in die Hand nehmen können und dass das nicht von Naturgewalten oder von göttlicher Gnade oder von was auch immer geprägt ist."