Archiv


Narren in Not

Der Karneval auf dem Land gerät immer mehr in die Krise: Der dortige Saalkarneval ist mitunter angestaubt und die Narrenhochburgen Köln, Mainz oder Düsseldorf kaufen Talente aus dem Hinterland für ihre Veranstaltungen weg. In Rheinland-Pfalz wurden bereits Umzüge abgesagt – wegen Nachwuchsmangel.

Von Ludger Fittkau | 12.02.2013
    Die Rosenmontagszüge in den Karnevalshochburgen am Rhein – Hunderttausende an den Straßenrändern. Dieser Anblick macht Günter Urwer heute nicht gerade närrisch vor Freude:
    Denn zum ersten Mal seit Jahrzehnten musste der rheinland-pfälzische Karnevalist und ehrenamtliche Bürgermeister des Eifelortes Binningen den örtlichen Narren-Umzug absagen. Der Grund: Es fanden sich nicht mehr genügend ehrenamtliche Helferinnen und Helfer:

    "Und da ist man zu dem Schluss gekommen, dass man das so in der Art und Weise nicht mehr stemmen möchte."

    Günter Urwer ist vorsichtig mit Schuldzuweisungen an die Jugend des 700-Einwohner-Dorfes in der Eifel. Die fehle zwar bei der Vorbereitung der Karnevalsveranstaltungen, aber dafür gäbe es ja auch gute Gründe, so Urwer:

    "Ich denke einfach, die Welt verändert sich und mit ihr die Bräuche und Traditionen, die in der Welt gelebt werden. Die Interessen der Jugendlichen, ich bin selber dreifacher Familienvater, habe Kinder in dem Alter, die da eventuell aktiv werden könnten. Die sind noch aktiv in der Bütt beispielsweise. Aber aufgrund von der Ausbildungs- oder Studiensituation ist es den Jugendlichen zum Teil heute nicht mehr möglich, solche zeitintensiven, auch wenn es Ehrenamt ist, solche intensiven Jobs zu übernehmen."

    Also fällt der Straßenkarneval in Binningen in diesem Jahr eben aus. Der fehlende Narren-Nachwuchs in dem Eifel-Dorf ist kein Einzelfall, sagt Helmut Schmitt. Er ist an der Mosel Bezirksvorsitzender der Rheinischen Karnevalskorporationen – kurz RKK. Mit mehr als 1000 Vereinen mit rund 500.000 Mitgliedern ist der RKK der zweitgrößte Karnevalsdachverband Deutschlands. Helmut Schmitt gibt dem Fernsehen eine Mitverantwortung für den Nachwuchsmangel bei ländlichen Fassnachtsvereinen:

    "Die Menschen sind immer anspruchsvoller geworden. Unsere Narren im Saal sind durch die TV-Ausstrahlungen natürlich verwöhnt.

    Dadurch, dass man jeden Tag Comedy oder Ähnliches im Fernsehen hat, wird es für die Redner immer schwerer, rauszuarbeiten, was noch neu ist."

    Sagt auch Peter Müller, der Präsident der Rheinischen Karnevalskorporationen. Die Folge: Der Nachwuchs für die Bütt wird rar. Überdies finden Fernseh-Karnevalssitzungen oder medienträchtige Straßenumzüge in den Großstädten statt. Diese kannibalisieren mit ihrer wirtschaftlichen Macht die umliegenden ländlichen Regionen. Helmut Schmitt beobachtet in seiner Heimatregion an der Mosel, wie etwa Musikgruppen von den großen Rosenmontagszügen in Mainz oder Köln abgeworben werden:

    "Denen wird angeboten, im großen Kölner Zug oder im Zug einer Großstadt mitzugehen, dort auch dafür ordentlich bezahlt zu werden und es ist ja zudem auch ein Erlebnis, in diesem Zug mitgehen zu dürfen. Die nehmen uns natürlich die Möglichkeit auf dem flachen Lande, die wir nicht so viel Geld haben, die wir keine Fernsehübertragung haben – die nehmen uns die Möglichkeiten, den Musikverein bei uns zu halten. Und das ist schon schwierig. Und das ist nur ein Feld. Genauso geht es mit hervorragenden Tanzgruppen, die treten natürlich auch gerne dort auf, wo die Fernsehkameras stehen. Das ist logisch, ganz logisch."

    Der rheinische Jeck Günter Urwer aus Binningen glaubt, dass die älteren Narren Selbstkritik üben müssen. Vor allem die stundenlangen Kappensitzungen des rheinischen Karnevals seien vielerorts zum angestaubten Ritual geworden. Erneuerung ist angesagt, findet Urwer:

    "Kappessitzungen – das ist ein Relikt aus grauer Vorzeit. Das sind Konzepte, die immer und immer wieder jahrelang – ich möchte jetzt nicht sagen – runtergeleiert werden. Auch da fehlt Nachwuchs. Immer jedes Jahr dasselbe und das 30, 40 Jahre lang."

    In Mainz-Gonsenheim hat man umgedacht. Dort gibt es seit einigen Jahren nicht nur die klassische Karnevalssitzung, sondern eine sogenannte Stehung. Die Stimmung ist wie bei einem Rockkonzert, Tanzen ist ausdrücklich erlaubt. Indiz für einen Wandel, der längst stattfindet, so Helmut Schmitt, der Narrenfunktionär der Rheinischen Karnevalskorporationen. Vielleicht seien durch neue närrische Ideen Vereinsauflösungen zu verhindern, hofft er:

    "Schließen, das Thema ist schon da gewesen. Wir haben dann die Vereine überredet, die Aktivitäten erst einmal ruhen zu lassen und vielleicht in zwei, drei Jahren mit einem neuen Konzept zu kommen."

    Deutschland heute, Deutschlandfunk