"Sie haben hier ein Unternehmen, das – von außen betrachtet – Nassrasierer herstellt. Und wenn man an Nassrasierer denkt … also mir ging das früher immer so: Bevor ich hierhergekommen bin, da denkt man an die kleinen gelben Kratzer, die man vielleicht an der Tankstelle preiswert kaufen kann. Woran wir alle nicht denken, ist die Technologie, die dahinter steckt. Also, wir sind hier in einem Geschäft, in dem wir tatsächlich Grundlagenforschung betreiben. Und wir zählen die Atome an der Spitze unserer Klingen. Und das sieht man dem Unternehmen von außen nicht an – auch, wenn es noch so ordentlich aussieht."
Heinz Dieter Becker, ein Mann mit der Statur eines Bären, ist Geschäftsführer der Feintechnik GmbH, die Rasierklingen produziert. In Eisfeld, einer wirklich kleinen Kleinstadt im Süden Thüringens. Das verwinkelte Firmengelände am Stadtrand, mit ein paar Standard-Fabrikgebäuden, verspricht keine Wunder. Maschinen, die lange Metallbänder einsaugen und auf der anderen Seite wieder ausstoßen:
"Hier beginnt die Bearbeitung des Stahls. Und dieser Stahl kommt in einem bestimmten weichen, zähen Zustand bei uns an. Und alle Wettbewerber bedienen sich aus denselben Ressourcen; also, die Basis, die wir haben, ist dieselbe, die wir alle haben. Und dann beginnt die Bearbeitung des Stahls mit dem Stanzen, das haben wir dort drüben. Da bekommt der Stahl seine Löcher, Konturen, was immer notwendig ist. Und anschließend gehen wir in den Härtebereich. Und hier beginnt das Know-how: Also die Frage ist, wie bringen wir einen weichen und relativ zähen Stahl in eine nahezu glasartige Härte?"
Und, so fügt er hinzu: Wie bringe ich diesen harten Stahl dazu, so biegsam zu sein, dass sich die Klinge um den kleinen Finger rollen lässt? Das, sagt er verschmitzt, läge dann im Grenzbereich zwischen Hightech, Grundlagenforschung und Alchemie. Die Erfahrung und die teils modernsten, teils jahrzehntealten Maschinen waren einem amerikanischen Startup-Unternehmen 100 Millionen Dollar wert. Zu Jahresbeginn haben zwei Freunde die Feintechnik GmbH gekauft, mit geliehenem Geld und einer Idee. Eine Geschichte, die in den Thüringer Zeitungen viel Raum einnahm und in der New York Times immerhin eine dreiviertel Seite.
"Die ursprüngliche Idee war ja, eine neue Marke für die Nassrasur an den amerikanischen Markt zu bringen und die dazu notwendigen Produkte halt einzukaufen. Mit der Zeit war nur klar, dass, wenn diese Idee wirklich funktioniert – und ich sage ihnen: Sie funktioniert! –, dann gerät die Gesellschaft in den USA in Abhängigkeit zum einzig greifbaren Lieferanten. Und da Andy Katz-Mayfield und Jeff Raider Ökonomie in Harvard studiert haben, haben sie das einzig Logische getan, was man in so einer Situation tun kann: Sie haben gesagt, "Können wir die Feintechnik nicht kaufen? Und damit haben wir die Sicherheit und die vertikale Integration."
Das Ziel: Den Branchen-Giganten Marktanteile abnehmen
Die Marke "Harry's" wird in den USA fast ausschließlich übers Internet vertrieben. Sie wollen den nur zwei weltweit führenden Firmen, die den Weltmarkt zu 85 Prozent beherrschen, einen Marktanteil abnehmen. Mit einem schicken Rasierer in Retro-Optik, der anders als die Plastik-Konkurrenz nicht aus einen Science-Fiction-Film zu stammen scheint, zum halben Preis.
Mehrere Besitzerwechsel, keine Entlassungen
"Harry's" ist neun Monate alt, die "Feintechnik GmbH" 94 Jahre. Der Gründer Albin Ritzmann – nomen est omen! – stellte gute Rasierklingen her, die im Ersten Weltkrieg ihren Siegeszug angetreten hatten. 1945 wurde Ritzmann enteignet und starb drei Jahre später im sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald. Die Feintechnik wurde VEB und exportierte in viele Länder. Nach dem Ende der DDR kaufte ein Italiener die Firma, schloss seine eigene Fertigung in Südtirol und brachte seine Technik mit nach Eisfeld. Erfahrung gesellte sich zu Erfahrung. Am Ende gehörte die Feintechnik zwei Beteiligungsgesellschaften. Dabei brachte kein Besitzerwechsel Entlassungen mit sich, sondern stetiges Wachstum. 420 Mitarbeiter stellen im Jahr 1,3 Milliarden Klingen her – von der klassischen Rasierklinge bis zum Fünf-Klingen-Modell in Science-Fiction-Optik für verschiedene Handelsmarken.
Die Schleifmaschinen würden noch Jahrzehnte durchhalten, meint Becker. Die Schleiftechnik sei ausgereift. Dennoch: Genau hier liege das Geheimnis der guten Klinge.
"Wir schleifen auf diesen Maschinen in vielen Stationen die Klinge von beiden Seiten. Wir beginnen oben, dann kommt unten, oben, unten, oben, unten, und wir schleifen von der langen Facette in die immer kürzer werdenden Facetten."
Neben den mitunter altertümlich wirkenden Schleifmaschinen stehen Mikroskope, Messgeräte. In der Firma arbeitet auch ein gutes Dutzend Ingenieure: "Schleifen von diesem dünnen und häufig sehr schmalen Material ist eben eine Kunst. Und wir haben daneben eine Fertigungstechnologie, eine Schleiftechnologie entwickelt, die wir Technologie des gotischen Bogens nennen, weil dort diese letzte, unterste Facette im Grunde der Spitze eines gotischen Kirchenfensters ähnelt. In einer Tiefe von 40 Tausendstel Millimeter einen gotischen Bogen, der stabil ist, der immer gleich ist! Am gotischen Bogen haben wir etwa acht Jahre geforscht!"
Andy Katz-Mayfield, einer der beiden amerikanischen Besitzer, war im Januar nach dem Kauf mit einem deutschen Satz vor der gesamten Belegschaft aufgetreten: "Wir fühlen uns geehrt, ein Unternehmen wie Feintechnik als Partner gewonnen zu haben." Die 420 Mitarbeiter dankten es mit tosendem Beifall.