Archiv

Nationale Corona-Strategie auf dem Prüfstand
USA: Trump und das "chinesische Virus"

Im Kampf gegen die Corona-Pandmie haben Staaten unterschiedliche Wege gewählt. Wie haben sich die Strategien der Länder bislang bewährt? Wie effektiv konnte etwa die Virusausbreitung gebremst und die Zahl der Toten begrenzt werden? Die USA hatten dabei auch mit der politischen Spaltung des Landes zu kämpfen.

Von Volkart Wildermuth |
Ein Bestatter hilft, im New Yorker Brooklyn Hospital Center den Leichnam eines verstorbenen Patienten in einen Wagen zu bringen. New York war von der Corona-Pandemie besonders betroffen
Ein Bestatter hilft, im New Yorker Brooklyn Hospital Center den Leichnam eines verstorbenen Patienten in einen Wagen zu bringen. New York war von der Corona-Pandemie besonders betroffen (AFP/Getty Images/Stephanie Keith)
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Welche Länder sich dabei am Ende besonders gut schlagen werden, lässt sich heute noch nicht sagen, zumal neue Virusvarianten wie Omikron die Situation immer wieder verändern.
Zu Beginn der Pandemie waren die Zahlen der Johns-Hopkins-Universität das Maß der Dinge und dort standen die USA ganz oben sowohl was die Zahl der Fälle, als auch was die der Toten betraf. Warum ein so hochindustrialisiertes Land dem Coronavirus so wenig entgegenzusetzen hatte, darum geht es im zweiten Teil der Reihe von Forschung aktuell „Hopp oder topp: Nationale Corona-Strategien auf dem Prüfstand“.  


Wurden die USA von SARS-CoV-2 überrascht?

Das Land lebt vom Handel und hat enge Wirtschaftsbeziehungen, an der Westküste auch nach China, an der Ostküste nach Europa und Italien. Entsprechend schnell wurde das Coronavirus an den Küsten von einzelnen Forschergruppen nachgewiesen. Das hat funktioniert, gehapert hat es dann aber auf der nationalen Ebene. Und da spielt dieser Gedanke von „America first“ eine wichtige Rolle.

Kumulative bestätigte COVID-19-Fälle pro Million Menschen

Grafik zeigt die Anzahl der Covid-19 Fälle in Deutschland, Italien, Indien, Südafrika, USA und Australien
Aufgrund begrenzter Tests ist die Zahl der bestätigten Fälle allerdings niedriger als die tatsächliche Zahl der Infektionen. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Die sehr renommierten Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben einen eigenen Coronatest entwickelt. Der hat aber nicht funktioniert, so dass die USA in der Anfangsphase überhaupt keinen Überblick über das Infektionsgeschehen hatten. Sichtbar wurde es dann in New York, als sich dort die Intensivstationen füllten, als so viele starben, dass die Beerdigungsinstitute nicht nachkamen. Später zeigten Antikörpertests, dass sich rund ein Viertel der New Yorker angesteckt hatten.

Warum hat das Gesundheitssystem nicht effektiv reagiert?

Eine Pandemie legt gnadenlos Schwächen offen, die schon vorher bestanden haben. In den USA gibt es herausragende Kliniken, aber rund um diese Leuchttürme ist die medizinische Versorgung eben oft nicht gut ausgestattet, je nach den Finanzmitteln der Region.
Es fehlte an Koordination zwischen der nationalen, der bundesstaatlichen und der kommunalen Ebene, vieles ist privatisiert. Anfangs gab es Konkurrenz zwischen den Testlaboren, statt gemeinsame Anstrengung. Schnell wurden auch Masken und Handschuhe knapp. Im Grunde bestätigte sich damit die Prognosen eines Planspiels namens Crimson Contagion aus dem Jahr 2019, dass genau diese Schwachstellen herausgearbeitet hatte.
US-Präsident Donald Trump bei einer Feier seiner Warp Speed Vaccine-Initiative zur Entwicklung von Impfstoffen
US-Präsident Donald Trump bei einer Feier seiner Warp Speed Vaccine-Initiative zur Entwicklung von Impfstoffen (AFP/Saul Loeb)

Wie hat die Politik reagiert?

Der Einfluss von Donald Trump war entscheidend. Im Grunde schon vor der Pandemie, weil er die Mittel für Katastrophenvorbereitung kürzte. Im Corona-Stringency-Index der Universität Oxford sieht man, dass die USA ab dem 22. März tatsächlich reagieren, wenn auch nicht so deutlich wie etwa Deutschland oder Italien. Aber es waren vor allem Soll-Bestimmungen auf Bundesebene, die von den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich umgesetzt wurden.
Donald Trump spielte die Coronapandemie anfangs bewusst herunter, wie er später in Interviews zugab. Es ging ihm vor allem um Schuldzuweisung. Er sprach vom „China-Virus“, trat aus der Weltgesundheitsorganisation aus, er kritisierte ständig Experten. Berühmt wurde sein Vorschlag, Bleiche gegen das Virus einzusetzen. Er propagierte Medikamente, die sich längst als unwirksam herausgestellt hatten.

Kumulative bestätigte COVID-19-Todesfälle pro Million Menschen

Grafik zeigt die Anzahl der Covid-19 Todesfälle in Deutschland, Italien, Indien, Südafrika, USA und Australien
Für einige Länder ist die Zahl der bestätigten Todesfälle viel niedriger als die tatsächliche Zahl der Todesfälle. Der Grund dafür sind begrenzte Tests und Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Todesursache. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Auf der anderen Seite hat Donald Trump aber auch die Nationalgarde aktiviert, er hat viel Geld in die Hand genommen. Es gab im Frühjahr 2020 ein Konjunkturpaket, Hilfen für das Gesundheitssystem und das Projekt Warp-Speed unterstütze massiv die Impfstoffentwicklung zum Beispiel von Moderna. Unterm Strich erzeugte Donald Trump durch seine widersprüchlichen Signale mit maximaler Lautstärke maximale Verwirrung. Und das verstärkte die Spaltung entlang der Linie Republikaner-Demokraten. Maske zu tragen oder eben nicht, war keine Frage des Gesundheitsschutzes, sondern der politischen Überzeugung. Daran konnte auch Präsident Joe Biden wenig ändern.

Welche Folgen hatten die unterschiedlichen Corona-Ansätze der Republikaner und Demokraten?

Das ist nicht so einfach festzustellen, denn die Wählergruppen unterscheiden sich in ihrem Corona-Risikoprofil. Republikaner sind im Schnitt älter, ärmer, tragen seltener Maske. Demokraten leben eher in Großstädten mit vielen Kontakten und sind eher von Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe betroffen. Armut geht statistisch einher mit schlechterer Ernährung, Übergewicht, engen Wohnverhältnisse, Jobs mit vielen Kontakten, schlechtem Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Davon unabhängig ist die nichtweiße Bevölkerung in den USA von Corona in jeder Einkommensgruppe noch einmal besonders stark betroffen, wie eine Analyse der New York Universität zeigt.

Anteil der vollständig gegen COVID-19 geimpften Bevölkerung

Grafik zeigt die Anzahl der Covid-19 Impfungen in Deutschland, Italien, Indien, Südafrika, USA und Australien
Gesamtzahl der Personen, die alle im Erstimpfungsprotokoll vorgeschriebenen Dosen erhalten haben, geteilt durch die Gesamtbevölkerung des Landes. Anmerkung: Alternative Definitionen einer vollständigen Impfung, z. B. mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein und eine Dosis eines 2-Dosen-Protokolls erhalten zu haben, werden ignoriert, um die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern zu maximieren. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Diese demographischen Faktoren dominierten im ersten Jahr der Pandemie, die unterschiedlichen politischen Maßnahmen spielten eine kleinere Rolle. Das änderte sich aber mit der Einführung der Impfstoffe. Eine Auswertung des National Public Radio kam im Dezember 2021 zu dem Schluss, dass Countys mit klarerer Mehrheit für Trump im Vergleich zu Countys mit einer klaren Biden-Mehrheit ein dreifach erhöhtes Sterberisiko hatten. Und das liegt vor allem daran, dass Republikaner den Großteil der Ungeimpften stellen.

Wie sieht denn am Ende die Bilanz der USA aus?

Nicht besonders gut, nach wie vor verzeichnen die USA die meisten Infektionen weltweit. Selbst wenn man das auf die Bevölkerung bezieht, zählen die USA über weite Strecken der Pandemie zu den besonders schwer betroffenen Ländern. Aktuell haben sich etwa 16 Prozent der Bevölkerung infiziert. In Deutschland sind es nur neun Prozent. Auch die Sterblichkeit liegt in den Vereinigten Staaten hoch, ungefähr auf dem Niveau von Italien. Es gab rund 850.000 Tote, das sind mehr als 2.500 pro einer Million Einwohner, dieser Wert liegt zwei Drittel mal höher als der entsprechende Wert für Deutschland. Dieser Unterschied spiegelt sich auch in der Übersterblichkeit wider, die Experten für den Pandemiezeitraum für die USA mit 16 Prozent angeben. Hier liegt der Wert über dem von Italien, was dafür spricht, dass die offizielle Statistik das Geschehen in den USA unterschätzt.
Die Pandemie ist nach wie vor stark politisiert und das führt mit dazu, dass die Impfquote nur rund 63 Prozent beträgt. Geboostert sind aktuell nur 25 Prozent der US-Amerikaner. Perspektivisch werden die USA weiter stärker mit Corona zu kämpfen haben als vergleichbare Länder

Auch aus der Serie

Corona-Strategien auf dem Prüfstand - Italien: Kurs der Vorsicht nach traumatischer erster Welle