"Sorbische Dörfer heute, wo man sagen kann, die allermeisten in dem Dorf sind sorbisch, gibt es leider nur noch im katholischen Gebiet. Im evangelischen Gebiet gibt es keine Dörfer mehr, wo man sagen kann, das sind sorbische Dörfer in dem Sinne, dass sorbisch gesprochen wird."
Es grenzt an ein historisches Wunder, dass die Sorben ihre kulturelle, nationale und ethnische Selbstständigkeit überhaupt erhalten konnten, denn im Zuge einer Kolonisation kamen ab dem 12. Jahrhundert immer mehr Siedler aus dem Westen und germanisierten die Ostgebiete. Besonders in der Niederlausitz führte das schon zu einer frühen Assimilation der Sorben. Dass in den Folgejahren besonders die katholischen Obersorben in der Oberlausitz ihre sprachliche Eigenart besser erhalten konnten, als die überwiegend reformierten Niedersorben, hat auch die Wissenschaft beschäftigt. Professor Peter Kosta ist an der Universität Potsdam Fachmann für Sorabistik.
"Man kann das auch in soziolinguistischen Untersuchungen sehr gut nachvollziehen. Aber was ist der Grund? Die Religion! In der Übersetzung des Neuen Testaments durch Luther ist ja schon alles gesagt. Die deutsche Sprache soll die Sprache sein, die dann auch als Vorbild für die Norm des Schriftdeutschen, also des Hochdeutschen gilt und Luther selbst hatte einige Schüler aus der Niederlausitz an seinem Seminar und er hat diesen Schülern verboten, untereinander sorbisch zu reden. Das heißt, es war sehr schwer für die Niedersorben, ihre eigene Sprache zumindest als Schriftsprache zu etablieren."
Auch Teile der Oberlausitz wurden reformiert
Im Zuge der Reformation waren die Sorben in der Niederlausitz zum evangelischen Glauben übergetreten. Auch Teile der Oberlausitz wurden reformiert. Es konnten sich dort aber einige rein katholische Gebiete halten, die ab Ende des 17. Jahrhunderts unter dem besonderen Schutz des zum Katholizismus konvertierten Landesherren, Friedrich August I. von Sachsen, standen. Dadurch, dass die katholischen Seelsorger die Gottesdienste auf Sorbisch abhielten, führte das in der Oberlausitz dazu, dass die obersorbische Sprache bis heute einen hohen Stellenwert im Alltagsleben hat. In der Nähe von Bautzen leben auch gegenwärtig die meisten Sorben.
"Aber das war vor 100 Jahren vom Größenverhältnis gerade anders herum. Da waren wir die Minderheit und die evangelischen Sorben waren die Mehrheit. Ende des 19. Jahrhunderts hat ein sorbischer Student mal die Sorben gezählt. Der ist ganz einfach losgezogen, Strichliste und hat dann aufgeschrieben, wie viel und dann kam der so auf 100.000 und davon waren ungefähr 15.000 katholische Sorben",
sagt der Theologe und Zeitungsredakteur Rafael Ledzbor. 1815 war Europa beim Wiener Kongress territorial neu gegliedert worden. Die bis dahin zusammenhängende sorbische Region wurde auseinandergerissen. Große Teile wurden Preußen zuerkannt. Dort wurden die sorbische Sprache und die sorbische Kultur immer mehr unterdrückt. Nach der Reichsgründung 1871 wurde die Anti-Sorben-Politik durch Reichskanzler Bismarck noch verschärft. 1875 wurde Sorbisch an den meisten preußischen Schulen verboten. 1885 folgte ein Verbot des sorbischen Konfirmanden-Unterrichts. Als das preußische Kultusministerium 1888 den sorbischen Unterricht am Cottbuser Gymnasium verbot, fiel damit auch die letzte sorbische Bildungsbastion. Diese radikalen Maßnahmen kamen einer Zwangsassimilation gleich. Heute leben von den 60.000 Sorben nur noch rund 20.000 in der Niederlausitz um Cottbus. Sie sind überwiegend evangelisch. 40.000 überwiegend katholische Sorben leben in der Oberlausitz um Bautzen. Dort lebt auch Rafael Ledzbor. In seiner Familie werden sorbische Kultur und Sprache wach gehalten. Rafael Ledzbor ist Redakteur bei der sorbischen Kirchen-Zeitung "Katolski Posol". Das Blatt, dessen Redaktion in Bautzen sitzt, hat eine lange Geschichte.
"'Katolski Posol', also das ist der katholische Bote, ist eine der ältesten Kirchenzeitungen Europas. Nicht ganz zwei Jahre jünger als der ‚Osservatore Romano'. Und wie viele Zeitungen gibt es noch, die so alt sind? Ja, ganz, ganz wenig. Also Januar 1863 ist die erste Nummer erschienen, das heißt, wir erscheinen schon über 150 Jahre. Mit einer ‚tausendjährigen' Unterbrechung. 1939 wurde die Zeitschrift verboten. Und das muss von jetzt auf sofort gekommen sein, weil, es gibt keine Verabschiedung in der letzten Nummer."
Als kurz vor Kriegsende die Russen die Nieder- und Oberlausitz besetzten und auf die mit ihnen sprachlich verwandten Sorben trafen, gestanden sie dieser Sprachenminderheit besondere Rechte zu. Auch in der DDR wurden die Sorben beider Konfessionen respektiert, doch bei den evangelischen Sorben führte eine starke Assimilation zu einem enormen Sprach- und Identitätsverlust. Anders bei den katholischen Sorben. Als ab 1950 deren Wochenzeitung "Katolski Posol" wieder in Druck gehen durfte, entwickelte sich das Blatt mit einer verkauften Auflage von 2.200 Exemplaren zu einem der wichtigsten Medien für die katholischen Sorben.
In der Niederlausitz, wo heute unter den Sorben überwiegend Deutsch gesprochen wird, versucht man seit einiger Zeit mit einem interessanten Zweisprachen-Projekt das Sorbische zu retten, wie der Sorabistik-Experte Prof. Kosta von der Potsdamer Universität erklärt.
"Es gibt ein Projekt Witaj, das heißt so viel wie Willkommen. Man versucht, Kindergärten zu etablieren, in denen die Kinder auf natürliche Art und Weise ihre Sprache erlernen. Dadurch, dass die Sprache von der Mutter nicht mehr direkt übertragen wird auf die nächste Generation, das ist eigentlich immer ein Signal, dass eine Sprache untergeht. Wenn also die nächste Nachfolge-Generation nicht mehr die Sprache von ihren Eltern erlernt, sondern erst im Kindergarten, ist es natürlich klar, dass diese Sprache nicht mehr die ist, die durch eine natürliche Generationswechsel-Übertragung erfolgen würde. Und das ist aber in der Oberlausitz noch gegeben, währenddessen in der Niederlausitz wir auf dieses Projekt Witaj angewiesen sind. Und das ist aber ein sehr erfolgreiches Projekt."
In den Witaj-Kindergärten wird Deutsch und Sorbisch gesprochen. 1998 wurde das Zweisprachen-Projekt in Cottbus gestartet. Heute gibt es in der Nieder- und Oberlausitz neben den Kindergärten, in denen nur sorbisch gesprochen wird, fünf Kindergärten, die das zweisprachige Witaj-Modell anbieten. Auch an den Schulen wurde das Witaj-Modell eingeführt. 2006 konnte die erste Generation von Witaj-Kindern das niedersorbische Gymnasium in Cottbus besuchen und beweisen, dass man den drohenden Verfall des Sorbischen mit diesem Projekt verhindern kann. Im Mai dieses Jahres hat das Institut für Sorabistik an der Universität Leipzig damit begonnen, die Effektivität und Effizienz dieser zweisprachigen Ausbildung in der Niederlausitz zu untersuchen.
Leipzig ist für Erhalt des Sorbischen ausgerichtet
An der Leipziger Universität werden Studenten in den Fächern Ober- oder Niedersorbisch für das Lehramt an Grund-, Mittelschulen und Gymnasien ausgebildet. Das Institut widmet sich auch der Forschung in den Bereichen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft. Schwerpunkte der universitären Arbeit sind die Sorbische Sprache der Gegenwart, Modernisierung der obersorbischen Lexik und Lexikografie. Man ist in Leipzig auf den Erhalt und die Weiterentwicklung des Sorbischen ausgerichtet. Dass Sorbisch bei jungen Menschen durchaus im Trend zu sein scheint, belegt die große Zahl von Popbands aus der Nieder- und Oberlausitz, die ihre Texte in ihrer Muttersprache verfassen und singen.
"Vor allem ist es wichtig, dass sich die jungen Menschen auch ihre eigene sorbische Identität geben und ich glaube, dass Musik-Texte, die auf Sorbisch gesungen werden, dass das ein wunderbares Transportmittel und vielleicht auch ein Identifikationsinstrument ist, um auch wirklich das Bewusstsein modern zu halten",
sagt der Potsdamer Sorabistik-Professor Peter Kosta. Auf das Repertoire der jungen sorbischen Rock- und Popbands greifen die Programmmacher der sorbischen Hörfunk-Sendungen von Radio Berlin-Brandenburg und vom Mitteldeutschen Rundfunk gerne zurück. Doch weil es sich für die Schallplattenindustrie nicht lohnt, CDs für eine kleine Sprachen-Minderheit herzustellen, unterstützen die Verantwortlichen die sorbische Musikszene in Eigeninitiative, wie Bogna Koreng, Studio-Leiterin des sorbischen MDR-Programms Bautzen, erklärt.
"Das heißt, wir schauen uns nach Interpreten um, nach Komponisten, Textern, nach Arrangeuren. Für unsere Musikredakteure heißt das auch immer, unterwegs zu sein in den Dörfern bei Konzerten, wo sind denn Talente?"
Auch Stefanie Kloß, Sängerin der bundesweit erfolgreichen Gruppe "Silbermond", hat ihre ersten Lieder auf Sorbisch gesungen. Entdeckt wurde das junge Talent damals vom sorbischen Rundfunk. Doch nicht nur bei der Ausrichtung ihres Musikprogramms setzt die Studioleiterin auf die jungen Sorben. Stolz ist Bogna Koreng auf ein besonderes Hörfunk-Projekt, auf die Jungendsendung "Satkula". Die läuft jeden Montagabend von 20 bis 22 Uhr im sorbischen Programm des MDR.
"Das ist so das Sprungbrett für junge Leute, die einen medialen Beruf ergreifen möchten. Da haben wir Schüler und Studenten, die diese Sendung selbst gestalten, die suchen sich ihre Musik, die suchen sich ihre Themen, die machen die Reportagen, die machen die Berichte. Ich wüsste nicht, dass irgendwo etwas Ähnliches existiert. Für mich es wichtig, dass die jungen Leute dazu ermutigt werden, in der Öffentlichkeit die sorbische Sprache anzuwenden."
Die sorbische Minderheit steht in Deutschland unter einem besonderen Schutz, der in den kürzlich novellierten Sorben-Gesetzen manifestiert ist. Darin sind bildungs- und kulturpolitische Normen ebenso verankert wie die kommunale Verpflichtung in sorbischen Gebieten zweisprachige Ortsschilder aufzuhängen. Auch finanziell werden die Sorben vom Bund und von den Ländern Brandenburg und Sachsen unterstützt. 2013 betrug die Summe der Zuwendungen rund 17 Millionen Euro. Die Gelder fließen unter anderem in den Dachverband sorbischer Vereine und Vereinigungen mit Sitz in Bautzen. Die Domowina, was übersetzt Heimat heißt, vertritt die kulturellen Interessen der Sorben in der Nieder- und Oberlausitz. Ohne die regelmäßige finanzielle Hilfe vom Dachverband könnten weder die niedersorbische Wochenzeitung "Nowy Casnik", noch die obersorbische Tageszeitung "Serbske Nowiny" erscheinen. Die geringen Verkaufserlöse würden nicht einmal die Druckkosten tragen. Janek Schäfer ist Chefredakteur von "Serbske Nowiny". Neben der Informationsvermittlung liegt ihm ein Aspekt besonders am Herzen.
"Sprachbildung, Sprachweiterentwicklung. Wir haben ja nicht nur Nachrichten aus der Region drin, sondern wir sind auch eine politische Zeitung, berichten auch darüber, was in Berlin, Brüssel uns so weiter passiert. Da werden täglich neue Worte kreiert. Stromabgabe, Stromumlage muss man ja sorbisch auch erklären können. Und damit entwickeln wir täglich die sorbische Sprache mit weiter, müssen uns neue Worte einfallen lassen, machen das in Zusammenarbeit mit dem Sorbischen Institut."
Sorbische Bibliografie
Das sorbische Institut mit Sitz in Bautzen und Cottbus, erforscht Sprache, Geschichte und Kultur der Sorben in der Nieder- und Oberlausitz. Am Institut wurde die von 1929 stammende erste sorbische Bibliografie überarbeitet und aktualisiert. Seit 1996 ist sie im Internet abrufbar. Die Bibliografie erfasst alle wichtigen sorbisch-sprachigen Titel und berichtet über anderssprachige Publikationen mit einem inhaltlichen Bezug zu den Sorben. Auch ein deutsch-sorbisches Wörterbuch und ein obersorbisches Lehrbuch wurden erarbeitet. Eine weitere wichtige Aufgabe sieht das Institut in der Erstellung einer Phraseologie der obersorbischen Gegenwartssprache, also die Erfassung von obersorbischen festen Redewendungen und ihrer übertragenen Bedeutung.
Das Institut wurde 1992 eröffnet und versteht sich als außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die ihre Erkenntnisse den Hochschulen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Das sorbische Institut arbeitet beratend sehr eng mit dem Institut für Sorabistik der Universität Leipzig zusammen. Für Zeitungsmann Janek Schäfer wichtige Institutionen, die sich gemeinsam mit den sorbischen Medien, den Kindergärten und den Schulen für den Erhalt der sorbischen Sprache einsetzen.
"Ich glaube auf alle Fälle, dass die sorbische Sprache am Leben bleibt. Es ist eine Generation herangewachsen, die damit ganz normal und unbeschwert umgeht. Für mich, meine Schwester und die Kinder meiner Schwester ist es nichts Unnormales, dass man ganz einfach Sorbisch spricht und auch in deutscher Umgebung sich Sorbisch unterhält. Warum soll ich hier hinterm Berg halten. Ich bin Sorbe und dazu stehe ich, fertig Punkt. Und gerade die jetzige Jugend macht keinen Hehl über ihre Herkunft. Die sind da sehr selbstbewusst. Und wenn das so weit geht, dass viele deutsche Eltern sagen, ja, ich möchte mein Kind in einen sorbischen Kindergarten oder in einen zweisprachigen Kindergarten schicken, weil es den Horizont erweitert, dann haben wir gewonnen, dann werden die Sorben auch noch in hundert Jahren da sein und davon bin ich fest überzeugt."