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Nationalelf nach der WM
"Generation des Sommermärchens in Würde aufs Altenteil schicken"

Nach der gewonnenen Weltmeisterschaft gehe es für die Nationalelf nun um den Übergang, sagte Jan Feddersen, Leiter des WM-Teams bei der taz, im DLF. Es sei an der Zeit, dass junge Spieler wie Götze und Reus die Generation von 2006 beerbten.

Jan Feddersen im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.07.2014
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    "Es ist an der Zeit, die Generation von 2006 des Sommermärchens, zu denen ja Spieler wie Schweinsteiger, Podolski und vor allen Dingen auch Klose gehören, dass man die natürlich beerbt", sagte Jan Feddersen. (picture alliance / dpa)
    Sandra Schulz: Nach fast einem viertel Jahrhundert darf wieder ein deutsches Team den schönen, flaschengroßen, goldenen Pokal tragen, wenn auch übrigens nicht mit nach Hause nehmen. Das Original kommt mit nach Zürich. Aber eine vergoldete Nachbildung darf das Team bei dem Empfang morgen am Brandenburger Tor in die Höhe halten. Das Spiel 1:0 gegen Argentinien und der Titel, die WM, darüber wollen wir sprechen. Am Telefon ist Jan Feddersen. Bei der Tageszeitung taz hat er das WM-Team geleitet. Guten Tag!
    Jan Feddersen: Guten Tag, Frau Schulz!
    Schulz: War das gestern eine Überraschung, oder eigentlich schon fast Pflicht?
    Feddersen: Es war vor allen Dingen ein grandioses Fußballspiel, und zwar ein solches, wie es das deutsche Halbfinale, wenn man so will, gegen Brasilien nicht war. Das war ja ein beinahe viel zu hoher 7:1-Sieg. Dieses gestern war ein wirklich klasse, beeindruckendes, grandioses Finale und die Argentinier hätten dieses Spiel genauso gewinnen können. Aber wenn ich so ehrlich sein darf. Wir haben uns im Team alle wahnsinnig gefreut, dass genau diese Mannschaft gewonnen hat.
    "Messi war in Höchstform"
    Schulz: Was hat die Argentinier denn zu so einem schwierigen Gegner gemacht?
    Feddersen: Die sind auch, man könnte sagen, von allerhöchster Qualität. Die können Fußball spielen, sie können das aus der Defensive heraus, wie das heute der Fußball einfach auch nötig macht, dass alle Spieler sich das ganze Spiel über sehr intensiv bewegen, dass niemand da herumsteht, sondern dass es eigentlich im Grunde genommen fast wie ein unentwegt musikalisches und im Spiel befindliches Akkordeon tut. Die Argentinier konnten das. Sie sind sehr stark in der Defensive gewesen und das wusste man auch vorher. Der Tormann Romero hat ja so gut wie überhaupt nichts zu tun gehabt vorher. Messi war in Höchstform gestern, alle anderen Spieler auch, und da könnte man sagen, die Deutschen mussten sich so anstrengen wie gegen Brasilien im Halbfinale keine fünf Minuten.
    Schulz: Sie haben gerade etwas sehr Streitbares gesagt, nämlich dass das Spiel schöner war als das Halbfinale, obwohl die Deutschen nur ein Tor geschafft haben. Warum das?
    Feddersen: Na ja, unser Kollege Ralf Sotscheck aus Dublin hat zur zweiten Halbzeit des Halbfinales gesagt, das ist so langweilig, wir gehen jetzt lieber in den Flur, wo gerade die frisch aufgetragene Farbe trocknet. Das ist aufregender. Natürlich haben wir uns über diese kleine Sottise des Kollegen gefreut, aber tatsächlich war ja das 7:1 nicht wirklich spannend. Die brasilianische Equipe steht eigentlich, wenn man das streng nimmt - und so müssen wir das als taz auch messen mit fußballästhetischen Erwägungen -, die brasilianische Equipe steht vor dem gleichen Problem wie der deutsche Fußball das Anfang der Nullerjahre auch stand: Wie kommen wir eigentlich aus diesem ganzen Mythengespinst raus? Wie kann man das jetzt als Brasilien schaffen, wirklich nachhaltig auch Auszubildende an den Fußball heranzuführen, dass man jetzt nicht nur eine "hire and hire" und Starmentalität betreibt, sondern dass man wirklich eine Mannschaft bekommt. Das wiederum genau ist das, was die Deutschen gestern zum Zenit gebracht haben. Die Löw-Elf, angefangen 2004 nach der großen Fußballkrise in Deutschland, hat wirklich begonnen, sich nicht mehr als ein Starensemble mit irgendwelchen Generälen und Capitanos zu inszenieren, sondern wirklich als Mannschaft zu funktionieren, als ein Ensemble.
    "Wird schwierig werden für alle, die jetzt Länderspiele bestreiten"
    Schulz: Aber gerade in diesem Mythengespinst sind wir doch jetzt mitten drin. Wir haben, das deutsche Team hat den Titel, es hat dieses Halbfinale gegeben, 7:1, wie kommen wir da wieder raus?
    Feddersen: Na ja, indem irgendwann das Mythengespinst so dicht ist, dass dann wiederum eine neue Idee folgen muss, um dieses Dickicht dann zu lichten. Aber bis dahin ist es noch weit. Ich würde sagen, es ist jetzt an der Zeit, die Generation von 2006 des Sommermärchens, zu denen ja Spieler wie Schweinsteiger, Podolski und so weiter und vor allen Dingen auch Klose gehören, dass man die natürlich beerbt, dass man die in Würde aufs Altenteil schickt und dass man da neue junge Spieler heranführt, Spieler wie zum Beispiel Özil jetzt einer ist, oder Khedira, andere wie Götze oder wie Reus, der sich leider verletzt hat. Es geht jetzt auch um den Übergang und dann wird es natürlich schwierig werden für alle, die jetzt Länderspiele bestreiten: Oh, das war jetzt aber nicht so gut wie in Brasilien. Aber so ist das Leben. Das heißt, eine hochklassige Aufführung bedeutet noch lange nicht, dass alle Aufführungen danach auch von höchster Qualität sind. Aber Freunde des Lebens und auch des Fußballs wissen das. Es geht jetzt aber trotzdem darum, dass man guckt, dass dieser, man kann ja gar nicht mehr sagen, brasilianische oder spanisch anmutende Fußball der Löws, sondern der erfrischende deutsche Fußball, dass der vielleicht sogar noch auf ein neues Niveau gebracht wird.
    Schulz: Franz Beckenbauer hat nach dem Titelgewinn 1990 ja gesagt, Deutschland sei jetzt auf Jahrzehnte unbesiegbar. Das hat jetzt ja doch fast jetzt ein viertel Jahrhundert gedauert. Wie geht es mit dem WM-Team 2014 weiter?
    Feddersen: Ja, wir haben das heute Morgen in der Redaktion diskutiert. Davon abgesehen, dass eine professionelle, sehr zielgerichtete, fokussierte Gestalt wie Jogi Löw selbstverständlich so einen abenteuerlichen Spruch schon aus Respekt vor all den anderen guten Gegnern niemals ausbringen würde nach allem, was wir über diesen Trainer wissen, ist es doch auch sehr sprechend, dass eigentlich Beckenbauer zumal durch die Wirklichkeit des Fußballs, durch viele deutsche Niederlagen, durch diesen Spruch 1990 sich am Ende selber beschädigt hat. Eigentlich ist es da ein fußball-unkennerischer Kasper geworden und jeder weiß - und Löw hat das ja auch gesagt -, jeder kann jeden schlagen. Jetzt war die Weltmeisterschaft und danach geht das Leben weiter. So trostlos das möglicherweise klingt, jetzt feiern wir den WM-Titel, aber danach beginnt eigentlich das neue Spiel, wie in der Bundesliga. Nach der Saison ist vor der Saison.
    Schulz: 2018 sprechen wir weiter. Jan Feddersen war das, Leiter des WM-Teams bei der taz, heute hier bei den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.
    Feddersen: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.