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Nationaler IT-Gipfel in Saarbrücken
Ein Manifest für bessere digitale Infrastruktur

"Es muss ein Digitalisierungsruck durch Deutschland gehen" - das fordern die beiden Computerwissenschaftler August-Wilhelm Scheer und Wolfgang Wahlster. Sie wollen eine bessere digitale Infrastruktur und Digitalpolitik. Auf dem nationalen IT-Gipfel stellten sie ihr Manifest dazu vor - die Reaktionen waren gemischt.

Peter Welchering im Gespräch mit Arndt Reuning |
    Ein Roboter sortiert am 16.11.2016 beim 10. Nationalen IT Gipfel an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken (Saarland) Radiergummis. Beim IT-Gipfel in Saarbrücken steht digitale Bildung im Mittelpunkt.
    Der zehnte Nationale IT-Gipfel in Saarbrücken vom 16. bis 17. November 2016 (dpa picture alliance/Oliver Dietze)
    Arndt Reuning: Peter Welchering, wie wird das Manifest von den Gipfel-Teilnehmern diskutiert?
    Peter Welchering: Mit dem Begriff vom Digitalisierungsruck spielen die beiden Informatik-Professoren Scheer und Wahlster natürlich auf die berühmte Ruck-Rede von Bundespräsident Herzog in den Neunzigerjahren an, der meinte, es müsse ein Ruck durch Deutschland gehen, damit die Bundesrepublik die Herausforderungen der Zukunft schaffe. Und diesen Ruck fordern Scheer und Wahlster jetzt auch für die zweite Digitalisierungswelle. Und damit kommen wir auch gleich zu einigen Forderungen des Manifests:
    Ausbau der Breitbandinfrastruktur, Bündelung der Digitalkompetenzen bei der Bundesregierung, also weg von unterschiedlichen Ministerien und ihren Zuständigkeiten fürs Digitale, mehr staatliche Mittel für die Forschung, ein europäisches Digitalisierungprogramm ähnlich dem Kernforschungszentrum CERN, flexiblere Beschäftigungsformen. Und das wird natürlich von Wissenschaftlern, Industrie-Vertretern und Politikern ganz unterschiedlich eingeordnet und bewertet.
    Reuning: Der IT-Gipfel ist ja in erster Linie eine Veranstaltung der Politik. Was sagen die zu dem Manifest?
    Welchering: Die Politiker haben das durch die Bank weg sehr zurückhaltend aufgenommen. Zum Einen, weil ihnen ja implizit deutliches Versagen vorgehalten wird. Deutschland ist in Sachen E-Government sogar von den baltischen Staaten überholt worden, ist da zu lesen. Die bisherigen staatlichen Initiativen sind da zu verzettelt. Das ist keine schmeichelnde Bestandsaufnahme.
    Deshalb begrüßt vor allem das Forschungsministerium die Initiative der beteiligten Wissenschaftler, sieht das Manifest als Ansporn, aber meint im Prinzip, dass die Politik doch auf dem richtigen Weg sei. Das wiederum bezweifeln die Initiatoren des Manifestes. Und deshalb gibt es da nicht nur auf dem IT-Gipfel spannende Diskussionen, sondern die werden uns noch einige Wochen lang begleiten.
    Datenschutz: Kritik aus der Wissenschaft, Unterstützung von Google
    Reuning: Kommen wir zur Einschätzung der Wissenschaftler. Wie sieht die aus?
    Welchering: Sehr differenziert. Dass mehr Forschungsförderung als Forderung drin steht, finden die gut. Die geforderte Aufweichung des Datenschutzes in Deutschland schon weniger.
    Ein Beispiel: Eine Forschungsgruppe des Gastgeberlandes Saarbrücken stellt hier auf dem IT-Gipfel ein System zur Gesichtserkennung vor. Ausgesprochen effiziente Algorithmen stecken dahinter. Und die Entwickler dieses Gesichtserkennungssystems sagen: Das haben wir entwickelt, um zum Beispiel in der Mimik von Autofahrern erkennen zu können, wann die müde werden und die warnen zu können.
    Einen Einsatz in der Überwachung von Bahnhöfen finden diese Wissenschaftler problematisch und fragen deshalb die Autoren des Manifestes: Was meint ihr denn mit der Überprüfung von Datenschutzregeln genauer?
    Reuning: Der Dritte im Bunde des IT-Gipfels, die Industrievertreter. Gibt es von denen eine einhellige Einschätzung?
    Welchering: Insgesamt klare Unterstützung hier. Vor allen Dingen, was die Forderung angeht: Deutschland muss weg vom IT-Käufermarkt, hin zu einem wichtigen IT-Entwicklermarkt. Aber auch dann wird es differenziert.
    Die Google-Vertreter etwa setzen auch am Punkt Datenschutz an und betonen, die deutschen Datenschutzregeln dürften keine Innovationsbremse sein. Klar, dass man bei Google so denkt und in dem Punkt sich des Manifests bedient.
    Das was zu neuen Geschäftsmodellen und zu digitalen Plattformen im Manifest steht, nehmen vor allen Dingen die großen Unternehmen, von ThyssenKrupp über VW bis hin zu IBM als wichtige Handlungsanweisung mit. Das ist auch kein Wunder. Denn das spiegelt ja wider, was sie in den vergangenen sechs bis sieben Jahren angefangen haben. Und da erhoffen sie sich eine engere Verknüpfung von IT-Wissen und Business-Wissen, wie im Manifest gefordert.
    "Konzepte zur Förderung Geringqualifizierter müssen noch entwickelt werden"
    Reuning: Dieser zehnte IT-Gipfel hat ja einen deutlichen Bildungsschwerpunkt. Wie wird der in den Panels und Foren diskutiert?
    Welchering: "Lernen und Handeln in der digitalen Welt" lautet das Gipfelmotto. Und deshalb gibt es auch so viele Panels zur digitalen Bildung. Positiv dabei: Die finden nicht nur auf dem Campus statt, sondern auch in der Kongresshalle und in der Staatskanzlei. Also der IT-Gipfel ist aus dem akademischen Elfenbeinturm herausgeholt in Saarbrücken.
    Allerdings, wie digitale Bildung aussehen muss, da wird dann doch heftig gestritten. Dass in den Schulen bessere Grundlagen vermittelt werden müssen, vor allen Dingen in den Bereichen Logik und Mathematik, das steht außer Frage.
    Auch Thomas Endress von der Anwendervereinigung Voice meinte da heute Vormittag, man müsse zwischen digitaler Vermittlung von Inhalten und Wissen für die Digitalisierung unterscheiden. Wissen für die Digitalisierung sei aber das Entscheidende. Da müssen auch die Schulen besser werden. Schon bei der Einführung eines Pflichtfachs Informatik sind sich aber die Kultuspolitiker der Länder nicht einig.
    Bei der digitalen Fortbildung in den Betrieben sehen die Industrievertreter staatliche Stellen mit ihrer Förderung stärker in der Pflicht. Hier fordern die Gewerkschaftsvertreter auf dem Gipfel sehr stark eine Förderung Geringqualifizierter.
    Und da herrscht dann bei den Industrievertretern wie auch bei vielen Politikern etwas Ratlosigkeit. Hier müssen noch Konzepte entwickelt werden.