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Nationalsozialismus
Die Geschichte der "Austauschjuden"

Austauschjuden nannte man die Juden, die im Dritten Reich von Menschenhändlern gegen andere Menschen, Geld oder Waren getauscht wurden. Thomas Ammann und Stefan Aust haben sich dieses wenig bekannten Themas bereits für eine Fernsehdokumentation angenommen, nun erscheint ihr Buch. Der Text geht aber weit über die Informationen des Films hinaus.

Von Ralph Gerstenberg |
    Austauschjuden – ein Wort aus der Sprache der Nationalsozialisten. Als Austauschjuden wurden Menschen jüdischer Herkunft bezeichnet, die zunächst nicht getötet wurden, weil die Nazis glaubten, sie gegen deutschstämmige Minderheiten in Palästina, den USA oder Lateinamerika tauschen zu können. Auch der Tausch Mensch gegen Geld oder dringend benötigte Waren wurde in Betracht gezogen. Von Anfang an, erklärt der Autor und Filmemacher Thomas Ammann, habe der Verwertungsgedanke bei der sogenannten Endlösung der Judenfrage eine große Rolle gespielt.
    "Wenn man so will, ist ja die Verwertung die andere Seite der Vernichtung. Schon die Ausreisepläne haben damit begonnen, dass man sich gefragt hat, wie können wir möglichst vollständig an das jüdische Vermögen gelangen, also an das Vermögen derjenigen, die wir zur Ausreise pressen. Und dieser Verwertungsgedanke fand ja seinen schrecklichsten und grausigsten Höhepunkt in der Verwertung in Auschwitz, wo man noch Haare und Goldzähne der Ermordeten verwertet hat. In diesem Gesamtzusammenhang ist eben auch die Frage zu sehen: Wie können wir Leute, deren wir habhaft werden, wie können wir die möglichst günstig verwerten?"
    Auf diese Weise wurden Menschen auf einen reinen Warenwert reduziert. Ein Leben war so viel wert, wie dafür geboten wurde. Als "Hitlers Menschenhändler“ bezeichnen Thomas Ammann und Stefan Aust in ihrem Buch diejenigen, die das Geschäft mit den jüdischen Menschen in die Wege leiteten. Dabei spielten ganz unterschiedliche, teilweise konträre Interessen eine Rolle.
    "Das Auswärtige Amt hatte das Interesse, die Menschen möglichst auszutauschen. Das Reichssicherheitshauptamt unter Eichmann hatte natürlich das Interesse, den Auftrag der sogenannten Endlösung zu erfüllen. Da gab es immer wieder Differenzen und auch Änderungen in der Politik. Im Wesentlichen interessant waren jüdische Bürger aus den USA, Großbritannien oder Leute, die ein Zertifikat, eine Bescheinigung oder einen Reisepass hatten, der für Palästina gültig war, das damals unter britischem Mandat stand."
    "Gute Ware"
    Thomas Ammann und Stefan Aust beschreiben in ihrem Buch, wie knapp 15.000 zum Austausch bestimmter Juden verschiedener Nationalität im niedersächsischen KZ Bergen-Belsen interniert wurden. Bergen-Belsen war ein Lager für russische Kriegsgefangene, das auf Weisung Himmlers zu einem - wie es hieß - „Aufenthaltslager“ umfunktioniert wurde. Ab 1943 warteten und hofften dort jüdische Gefangene auf ihren Austausch. Weil die Nationalsozialisten im Falle einer geschäftlichen Einigung mit ausländischen Interessenten "gute Ware“ liefern wollten, wurden die Insassen nicht geschoren und tätowiert, sie durften weiterhin zivile Kleidung tragen, Familien wurden gemeinsam untergebracht.
    "Die Unterbringung war privilegiert, soweit man das so sagen kann. Aber der historische Leiter der Gedenkstätte in Bergen-Belsen heute, Thomas Rahe, sagte eben, es war dennoch eingebunden in das Konzentrationslagersystem der Nazis. Es hatte eben seine spezielle Aufgabe. Natürlich war es kein Vernichtungslager wie Sobibór oder Auschwitz, aber selbstverständlich waren die Bedingungen dort so, vor allem gegen Ende des Krieges, dass Hunger herrschte, Typhus ausbrach und die Menschen dort zu Zehntausenden gestorben sind."
    Im Zentrum des Buches von Ammann und Aust steht die ungewöhnliche Geschichte der in Bergen-Belsen internierten Insassen der „Kasztner-Züge“ - eine Gruppe ungarischer Juden, die auf Betreiben des Budapester Anwalts Rudolf Kasztner ausgetauscht wurden. Nach dem Einmarsch der Deutschen im März 1944 in Ungarn hatte Kasztner als Angehöriger des zionistischen Hilfskomitees von befreundeten slowakischen Zionisten erfahren, dass mit den Deutschen über den Austausch von Juden verhandelt werden könne. Mit dem Mut des Verzweifelten, der die grauenvolle Wahrheit über die deutschen Vernichtungslager im Osten bereits kannte, nahm er Verhandlungen mit dem Mann auf, der in Budapest die Deportation ungarischer Juden nach Auschwitz organisierte: Adolf Eichmann.
    "Kasztners Tochter, mit der wir gesprochen haben, hat gesagt, die Menschen haben Eichmanns Namen geflüstert in Budapest. (…) Und hier gibt es plötzlich einen Juden, der mitten in der Vernichtung, die ja in Ungarn auch schnellstens anlief und dann ungeahnte Ausmaße annahm, mitten in dieser Phase geht der zu Eichmann und verhandelt mit ihm. Kasztner selber wird als Spieler geschildert, der intellektuell versucht hat, sich immer wieder anzuregen (…), der auch versuchte, seine Grenzen immer wieder auszureizen und auch gegenüber Eichmann selbstbewusst aufgetreten ist, obwohl er ja jeden Tag von Eichmann hätte ermordet werden können."
    Ein Geschäft mit Mördern?
    Rudolf Kasztner gelang schließlich das Unmögliche, seine eigene Familie sowie knapp 1700 ungarische Juden wurden gegen Zahlung von zwei Millionen US-Dollar über Bergen-Belsen in die Schweiz entlassen. Dennoch wurde er, der mit dem Teufel Eichmann paktierte, wie es später hieß, nicht zu einem zweiten Oskar Schindler. Seine Rettungsaktion galt in seiner späteren Heimat Israel als Verrat, als Verrat an Millionen nicht geretteter Juden.
    "Die Geschichte war ja die, dass er selbst von einem Holocaust-Überlebenden öffentlich angeprangert wurde, Anfang der fünfziger Jahre. Er habe eben Geschäfte mit den Mördern gemacht, um sich zu retten, seine eigene Seele und natürlich auch die seiner Familie. Er habe sich dadurch mit den Mördern gemeingemacht. Und so was macht man eben nicht. Kasztner hat ja daraufhin einen Verleumdungsprozess gegen den Menschen angestrengt, der ihn da beschuldigt hat. Und dieser Verleumdungsprozess wurde Mitte der fünfziger Jahre in Israel zu einem Tribunal gegen Kasztner. (…) Und das hat ja auch eine Gruppe von jungen Extremisten dazu gebracht, ihn dann auf offener Straße zu erschießen."
    In ihrem gründlich recherchierten Buch dokumentieren Thomas Ammann und Stefan Aust die dramatische Geschichte der sogenannten Austauschjuden, die zur Verhandlungsmasse für die menschenverachtenden Interessen der Nationalsozialisten wurden. Amman und Aust haben Zeitzeugen befragt, bislang wenig zitierte Quellen gesichtet und mit Historikern wie dem Himmlerbiografen Peter Longerich gesprochen, um die politischen Hintergründe auszuleuchten. Ihr Buch „Hitlers Menschenhändler“, durch das sich die Geschichte der Kasztner-Züge wie ein roter Faden zieht, folgt der Dramaturgie der gleichnamigen Fernsehdokumentation. Auch wenn der Faktenfülle in Buchform ein wenig mehr Struktur gut getan hätte, gelingt den beiden Autoren eine spannende Darstellung eines ebenso unfassbaren wie wenig bekannten Kapitels der Geschichte der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft.
    Thomas Amman und Stefan Aust: „Hitlers Menschenhändler – Das Schicksal der ‚Austauschjuden‘“
    Rotbuch Verlag, 333 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3867891868