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Nationalstraße 7 - Etappe 4
Wenn nicht nur die Straße, sondern Politik eine Stadt spaltet

Im südfranzösischen Departement Var gibt es nur die Wahl zwischen rechts und extrem rechts - die Linke ist quasi nicht mehr existent. Der Front National ist entsprechend stark und stellt in mehreren Städten den Bürgermeister. Was hat sich dadurch geändert?

Von Anne Raith und Andreas Noll |
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    In Le Luc-en-Provence stellt der Front National seit drei Jahren den Bürgermeister. Der hat allerdings seitdem schon zweimal gewechselt. (Andreas Noll)
    Auf dem Weg von Aix-en-Provence nach Fréjus führt die Nationalstraße 7 über Le Luc. Besser gesagt, sie führt einmal quer durch die 10.000 Einwohner-Stadt. Doch nicht nur die N7 teilt die Stadt. Auch die Politik spaltet die Einwohner.
    Da sind die einen, die um einen Tisch im "Café Paris" sitzen und um die Demokratie fürchten.
    Und da sind die anderen, die im Rathaus gegenüber kontern: "Man hat nicht das Recht, Fehler zu machen. Wir werden von allen mit der Lupe beobachtet."
    "Es ist noch schlimmer geworden"
    Aber von vorn:
    Seit drei Jahren stellt der rechtsextreme Front National den Bürgermeister in der Kleinstadt. Früher einmal war Le Luc eine Arbeiterstadt. Als die Bauxitminen geschlossen wurden und die Arbeitsplätze verloren gingen, begann der wirtschaftliche Niedergang, erzählt Jacques Sèdes, der Sekretär der Bürgerinitiative "Ensemble pour Le Luc", "Gemeinsam für Le Luc", einer der drei im Café.
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    "Gemeinsam für Le Luc" nennt sich die Bürgerinitiative, die sich nach dem Wahlsieg des Front National formiert hat, als Opposition. (Andreas Noll)
    "Damit hat der Front National gespielt, dass hier so viele Geschäfte schließen. Aber seitdem ist es noch schlimmer geworden."
    Total tot ist das hier, fällt ihm Annie Crépin, Schatzmeisterin des Vereins, ins Wort.
    "Mit der Unzufriedenheit der Leute und der Angst vor ‚den Anderen‘ ist Le Luc mit jeder Wahl weiter nach rechts gerückt", so erklärt sich der Vorsitzende, Roger Depierre, die Entwicklung in der Stadt, an deren Rathaus der FN nach seinem Wahlsieg als erstes die Europafahne entfernt hat. Für konkrete Verbesserungen im Leben der Bürger habe der FN aber nicht gesorgt.
    Depierre und seine Mitstreiter sind oft als Beobachter im Stadtrat, begreifen sich als einzig wahre Opposition, da die Linke verschwunden ist und die konservative Rechte untätig sei. Und so fühlten sie sich auch in der Pflicht zu handeln, als sie nun die Meinungsfreiheit bedroht sahen. Als der Bürgermeister entschied, den Film "Chez nous" nicht in Le Luc zu zeigen; jenen Kinofilm, der den Aufstieg einer fiktiven rechtsextremen Partei nachzeichnet, die sehr an den Front National erinnert.
    Der Filmstreit sorgte landesweit für Schlagzeilen
    "Das ist Zensur, das beunruhigt uns. Das ist das erste Mal… Wir haben nicht gedacht, dass sie das machen, aber sie tun es."
    Wer weiß, was noch kommt, beunruhigt sich Jacques Sèdes. Der Fall hat landesweit für Schlagzeilen gesorgt, selbst die Ministerin für Kultur in Paris hat sich eingeschaltet.
    Im Rathaus auf der anderen Seite der Place de la Liberté erzählt Bürgermeister Pascal Verrelle eine andere Version der Geschichte. Nicht, was die Fahne betrifft. Das findet der Politiker gut und konsequent, schließlich ist seine Partei gegen die Europäische Union. Aber zum Filmstreit hat er eine klare Haltung:
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    Bürgermeister Pascal Verrelle vom Front National fühlt sich ungerecht behandelt. Für viele der städtischen Probleme könne er nichts. (Andreas Noll)
    "Wir finanzieren das Kino. Dann werde ich doch nicht den Leuten den Stock reichen, um mich zu schlagen!"
    Dass die Ministerin ihn gerügt hat findet er anmaßend, vor allem, weil sie vorher nicht einmal mit ihm gesprochen habe. Aber das sei typisch für den Umgang mit dem Front National:
    "Es ist dramatisch, dass ein FN-Bürgermeister von den Instanzen anders behandelt wird als ein Bürgermeister der Linken oder der Konservativen. Wir werden beobachtet. Wir werden von allen mit der Lupe beobachtet. Aber das ist eine gute Sache. Weil uns das verbietet, dass wir Fehler machen."
    "Lokal wähle ich Front National, aber das Programm ist fremdenfeindlich"
    Und das, was die Bürgerinitiative ansonsten bemängelt, sei definitiv nicht das Versagen des Front National, zeigt sich Pascal Verrelle sicher. Dass die Kleinstädte im Zentrum sterben, weil außerhalb der Städte große Einkaufszentren entstehen, das könne keiner verhindern. Und die finanzielle Lage der Stadt sei schon vor seinem Amtsantritt desolat gewesen.
    Mit dem Front National ist es schlimmer geworden in Le Luc, sagen die einen. Wir tun, was wir können, die anderen.
    Wenige Meter von der Place de la Liberté entfernt betreibt Abdallah Boujet einen Kebab-Imbiss. Auch der Bürgermeister komme gern, mit seinen Kindern, erzählt er:
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    Abdallah Boujet wählt lokal Front National, wegen des Bürgermeisters. National kommt das für ihn nicht in Frage. Er sei ja nicht verrückt. (Andreas Noll)
    "Wir haben einen super sympathischen Bürgermeister, der zu den Geschäftsleuten kommt, mit ihnen diskutiert und sich ihre Sorgen anhört. Das ist ein ‚Bürgermeister zum Anfassen‘. Ich spreche jetzt über die Person und nicht über die Partei."
    Denn da macht er einen großen Unterschied.
    "Lokal wähle ich FN, für den Bürgermeister. Aber das Programm der Partei ist fremdenfeindlich, ich bin ja kein Sadist. Wenn ich für die stimmen würde? Also....nein...nein."
    Er überlegt. Vermutlich, sagt er, wird er für Jean-Luc Mélenchon stimmen. Der Linkspopulist kommt derzeit auf 14 Prozent der Stimmen. Es ist eben nicht so einfach. Nicht nur in Le Luc.

    Ortswechsel: Auch in der 50.000-Einwohner-Stadt Fréjus stellen die Rechtsextremen seit 2014 den Bürgermeister: David Rachline. Fréjus ist in dieser Hinsicht die größte und wichtigste Stadt für den Front National, eine Art Versuchslabor. Und: David Rachline ist Kampagnenchef von Marine Le Pen. Unsere Autoren haben Lokaljournalist Éric Farel von der Zeitung "Var-Matin" aus Fréjus getroffen - und er hat ihnen erzählt, ob ausländische Medien den Front National richtig analysieren.