75 Jahre NATO
Vergangenheit und Zukunft des Militärbündnisses

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat die Bedeutung der NATO gestärkt. Das Verteidigungsbündnis, das schon als „hirntot“ und „obsolet“ bezeichnet wurde, ist heute wieder gefragt. Mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl drohen unsichere Zeiten.

    Fahnen der NATO-Mitgliedsstaaten vor dem Brüsseler NATO-Hauptquartier neben einem Schild mit der Aufschrift NATO.
    Seit dem Betritt von Schweden und Finnland hat die NATO 32 Mitgliedsstaaten (imago / photothek / Janine Schmitz)
    Vor 75 Jahren wurde die North Atlantic Treaty Organization – kurz NATO – gegründet. Auf dem Papier ist das Militär- und Verteidigungsbündnis so groß und stark wie nie. Hinter den Kulissen ist die Stimmung allerdings vielerorts düster.

    Inhalt

    Warum wurde die NATO gegründet?

    Nach dem Zweiten Weltkrieg zerbrach die Anti-Hitler-Koalition aus West-Alliierten und Sowjetunion, der Kalte Krieg begann. Es zeichnete sich bereits in der zweiten Hälfte der 1940er Jahren die wachsende Spannung zwischen den liberalen Demokratien des Westens und des kommunistischen Ostens ab. Der britische Staatsmann Winston Churchill sprach bereits 1946 davon, dass sich ein „eiserner Vorhang über den europäischen Kontinent gesenkt“ habe.

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    Gerade durch die Expansionsgelüste des sowjetischen Diktators Joseph Stalin wuchs im Westen die Angst vor einer Ausdehnung der UdSSR. Die USA hingegen wollen den Westen politisch und ideologisch zusammenhalten. Das Rezept hieß daher Aufrüstung, Abschreckung und gemeinsame Verteidigung im Bündnis.

    Die NATO: Mehr als ein Verteidigungsbündnis

    Dafür ist Artikel 5 des Nordatlantikvertrags relevant. Er regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.
    Zu Beginn bestand die NATO aus zwölf Staaten – darunter die USA, das Vereinigte Königreich, Frankreich. Die NATO erstand sich aber nicht nur als reines Verteidigungsbündnis, sondern es ging auch immer um gemeinsame Freiheitswerte.

    Warum blieb die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges bestehen?

    Die NATO musste sich nah dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre zunächst neu erfinden. Zunächst schlossen sich aber einige ehemaligen Ostblock-Staaten dem Bündnis in verschiedenen Erweiterungen an. Doch genau diese Entwicklung wird von Russland heute oft als westliche Propaganda abgetan. Dabei gab es bereits 1997 die Grundakte, mit der Russland und die NATO einander versprochen haben, sich nicht mehr als Gegner zu betrachten.

    Nach 9/11: Berufung auf Artikel 5

    In der Zeit nach dem Kalten Krieg übernahm die NATO die Rolle einer Weltpolizei. So griff sie unter anderem in die Konflikte in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Libyen ein und spielte nach den islamistischen Anschlägen gegen die USA vom 11. September 2001 eine Schlüsselrolle im Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation Al Kaida in Afghanistan. Zum ersten und bislang einzigen Mal berief sich das Bündnis damals auf Artikel 5 des NATO-Vertrags. Er besagt, dass der Angriff auf einen Verbündeten der NATO wie ein Angriff auf alle Mitgliedsstaaten der NATO anzusehen ist. So wurden die Anschläge vom 11. September als Angriff Afghanistans auf einen NATO-Staat eingestuft. 2021 erlebte das Bündnis dann das vielleicht größte Debakel in seiner Geschichte, als der Rückzug aus Afghanistan in der Wiedereroberung des Landes durch die Taliban endete.

    Wie steht es heute um die NATO?

    Noch vor wenigen Jahren sagte der damalige US-Präsident Donald Trump, die NATO sei obsolet und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron attestierte dem Bündnis, es sei "hirntot". Das sieht seit dem russischen Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine anders aus. Der Krieg in der Ukraine hat vielen im Westen noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig die NATO für die eigene Sicherheit ist. Mittlerweile hat die NATO die historische Größe von 32 Mitgliedsstaaten. In Folge des russischen Angriffs sind zuletzt auch Schweden und Finnland ins das Bündnis aufgenommen worden.

    Wie sieht die Zukunft der NATO aus?

    Auch wenn Spitzenpolitiker in der Öffentlichkeit nicht darüber reden wollen: Wohl kaum ein anderes Szenario sorgt in der NATO in diesen Tagen für so viel Beunruhigung wie eine mögliche Rückkehr des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump ins Weiße Haus. Der Republikaner machte zuletzt bei einem Wahlkampfauftritt deutlich, dass er Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde. Problematisch ist all dies, weil die NATO als Verteidigungsbündnis auf das Prinzip Abschreckung setzt.
    Aber selbst wenn das Szenario Trump nicht eintritt und Joe Biden weitere vier Jahre US-Präsident bleibt, könnte der Ukraine-Krieg und die militärische Unterstützung zu einer gefährlichen Zerreißprobe für die NATO werden. Mit den zunehmenden Kosten und der schwierigen Lage an der Front stiegen zuletzt die Spannungen unter Bündnispartnern.
    Während die östlichen Bündnispartner weiter Russland als größte Bedrohung sehen, wollen die USA, dass die NATO China stärker in den Fokus nimmt. In Ländern wie Frankreich oder Deutschland wird hingegen befürchtet, dass Washington das Bündnis auch für den wirtschaftlichen Machtkampf mit Peking nutzen will und Konflikte weiter verschärft werden könnten.

    mg