Sandra Schulz: Schon seit langem kritisiert ja US-Präsident Donald Trump, Deutschland gebe zu wenig Geld für die Verteidigung aus. Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2024 anzupeilen, das haben die NATO-Mitglieder verabredet. Die Bundesregierung hat zuletzt 1,5 Prozent geboten bis 2024, und selbst das ist in Berlin noch umstritten. Zum Auftakt des NATO-Gipfels gestern machte Trump einen vernehmbaren Aufschlag, nennt Deutschland einen Gefangenen Russlands wegen milliardenschwerer Gasimporte aus Russland über die Pipeline Northstream II, und Bundeskanzlerin Angela Merkel antwortet, sie habe in der DDR erlebt, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde, und sei froh, dass Deutschland in Freiheit vereint eine eigenständige Politik machen könne.
Mitgehört hat Fritz Felgentreu, für die SPD-Fraktion Obmann im Verteidigungsausschuss im Bundestag. Schönen guten Morgen!
Fritz Felgentreu: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Wie tief geht der Riss im Bündnis?
Felgentreu: Gestern hat die NATO sich doch wieder in einer ganz erfreulichen Weise als entschlussfähig und auch als handlungsfähig erwiesen. Ich denke, die Abschlusserklärung, die vorgelegt worden ist und gemeinsam beschlossen worden ist, zeigt schon, dass dieser Gipfel auf Arbeitsebene sehr gut vorbereitet war und dass alles, was an konkreten Maßnahmen getroffen werden soll, in der NATO Konsens ist und jetzt auch umgesetzt werden kann.
"Das Zwei-Prozent-Ziel erneut festgeschrieben"
Schulz: Aber die Interessen gehen inhaltlich trotzdem massiv auseinander. Trump ist raus aus dem Iran-Abkommen, jetzt gibt es diesen Streit ums Geld, und auch gerade dieser Umgang mit dem russischen Präsidenten Putin, da ist überhaupt nicht klar, was da die Linie sein soll. Europa setzt eher auf eine harte Hand, auch auf Drängen aus Osteuropa, und Trump geht mit Kritik an Putin eher sparsam um. Was sind da die Gemeinsamkeiten?
Felgentreu: Gestern wurde zunächst mal wieder betont, dass die NATO-Länder gemeinsam ihre Anstrengungen im Bereich Bündnis- und Landesverteidigung verstärken wollen. Das Zwei-Prozent-Ziel wurde als Ziel erneut festgeschrieben; auch das war Konsens unter den dort anwesenden Staats- und Regierungschefs. Wir haben uns verständigt auf die Einrichtung eines neuen Mobilitätskommandos zur Verbesserung der Bewegungsfähigkeit von Truppen innerhalb Europas. Und man hat sich verständigt auf eine Bereitschaftsinitiative, die hinter der bereits eingesetzten Speerspitze die Fähigkeit der NATO, schnell auf militärische Bedrohungen zu reagieren, noch einmal verbessern soll. All das sind ganz konkrete Maßnahmen und darüber bestand große Einigkeit.
"Russland ist stark auf seine Energieexporte angewiesen"
Schulz: Was ist Ihre Antwort auf diesen Vorwurf von Donald Trump, Deutschland sei ein Gefangener Russlands?
Felgentreu: Ich halte das für sehr stark aufgebauscht beziehungsweise in der Sache auch für wirklich falsch. Wir sind nach wie vor natürlich auch angewiesen auf Energieimporte. Das ist nichts Neues. Aber wenn Sie sich angucken, in welcher Art von Mix Deutschland seine Energie importiert, dann wird sich auch durch den Bau einer neuen Pipeline daran nichts Grundlegendes ändern. Wir kaufen ja heute schon russisches Gas und es geht ja lediglich um einen neuen Weg, das russische Gas nach Europa zu bekommen. Außerdem kann das russische Gas, das importiert wird, teilweise sogar die Unabhängigkeit europäischer Länder stärken, weil es von Deutschland aus in andere Länder weiterverkauft werden kann, und man muss immer sehen, dass eine Abhängigkeit zweiseitig ist. Deutschland hat andere Möglichkeiten, Energie zu importieren. Russland ist aber für seinen Haushalt sehr stark auf seine Energieexporte angewiesen. Insofern, glaube ich, ist das ein nicht zutreffender Vorwurf.
Schulz: Wenn wir schon über Abhängigkeit sprechen und über den Ton, der da jetzt gestern geherrscht hat, wäre es nicht gut, wenn Europa und Deutschland von diesem Präsidenten Trump ein bisschen weniger abhängig wäre?
"Kann uns nicht vorwerfen, dass wir uns nicht beteiligen würden"
Felgentreu: Ich glaube, wir sollten generell im Umgang miteinander auf Kommandos und einen Befehlston verzichten. Ich finde es nicht hilfreich, wenn ich irgendwo lese, Deutschland müsse jetzt sofort dieses oder jenes tun, sondern wir sollten als Partner miteinander sprechen. Deutschland ist der zweitgrößte Nettozahler der NATO, der zweitgrößte Truppensteller in Afghanistan. Wir erhöhen unseren Verteidigungsetat im kommenden Jahr um über zehn Prozent. Ich glaube, man kann uns nicht vorwerfen, dass wir kein Interesse an der NATO hätten oder uns zu wenig beteiligen würden.
Schulz: Partnerschaft auf Augenhöhe hieße ja auch weniger Abhängigkeit. Warum bremst die SPD denn so bei den Verteidigungsausgaben?
Felgentreu: Wir bremsen gar nicht. Wir haben uns gerade darauf verständigt, im nächsten Jahr, im nächsten Haushaltsjahr den Etat um zehn Prozent zu erhöhen. Zeigen Sie mir einen anderen Etat der Bundesregierung, wo das passiert. Aber wir sagen auch: Wenn wir jetzt stärker in Bündnis- und Landesverteidigung investieren wollen, dann muss die Bundeswehr auch in der Lage sein, das umzusetzen. In den letzten vier Jahren wurden zweieinhalb Milliarden Euro, die für Beschaffungen vorgesehen waren, gar nicht für Beschaffungen ausgegeben, weil die Strukturen in der Bundeswehr, weil die Strukturen im Bundesverteidigungsministerium gar nicht in der Lage gewesen sind in der Vergangenheit, mit so viel Geld sinnvoll umzugehen. Das alles muss Schritt für Schritt aufgebaut werden, und daran müssen wir arbeiten.
Schulz: Herr Felgentreu, genau das ist die Frage, die sich an die Bundesverteidigungsministerin von der Leyen richtet, die wir auch häufig schon gestellt haben. Aber weil wir jetzt beide im Gespräch sind und weil Sie sagen, die SPD bremst dort nicht – es gibt ja die Verabredung, sich auf dieses Zwei-Prozent-Ziel zumindest zuzubewegen. Jetzt gibt es diese Bewegung nach oben auch fürs nächste Jahr. Da wird projiziert, dass es um 1,3 Prozent gehen würde, auch immer noch weit weg von den zwei Prozent, und für danach wird schon eine Stagnation projiziert. Erklären Sie uns noch mal, in welcher Weise es dort Bewegung nach oben geben soll.
Felgentreu: Dieses sogenannte Zwei-Prozent-Ziel orientiert sich ja immer am prognostizierten Wirtschaftswachstum. Was wirklich ganz konkret passiert, inwieweit wir uns auf dieses Zwei-Prozent-Ziel zubewegen, kann man immer erst in dem Jahr abschätzen, in dem der Haushalt aufgestellt wird.
"Wollen eine Vollausstattung für unsere kleine, schlanke Armee"
Schulz: Finanzminister Scholz plant ja für 2020 keine weitere Erhöhung. Die Konjunktur wird eher positiv erwartet. Das würde ja bedeuten, dass die Quote dann sogar noch mal absinken würde.
Felgentreu: Es gibt eine mittelfristige Finanzplanung. Diese wird dann bis 2023 erreicht. Und wenn sich innerhalb dieser mittelfristigen Finanzplanung alle Prognosen so erfüllen, wie wir sie vier Jahre vorher machen, könnte es dazu kommen. Es kann aber auch sein, dass wir die mittelfristige Finanzplanung an veränderte Entwicklungen anpassen. Es gibt, glaube ich, heute nicht die Möglichkeit, auf dieser Grundlage vorauszusagen, wo wir im Jahr 2022 stehen werden. Tatsache ist, dass sowohl die SPD-Vorsitzende, als auch die Kanzlerin gesagt haben, im Jahr 2024 wollen wir wenigstens bei 1,5 Prozent sein. Ich persönlich denke, es kommt darauf an, dass wir ein Hundertprozent-Ziel für die Bundeswehr haben. Wir wollen eine Vollausstattung für unsere kleine, schlanke Armee, damit die wirklich den Bereitschaftsgrat hat, den sie braucht, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können. Davon sind wir auch weit genug entfernt. Das heißt, wenn wir eine Vollausstattung für die Bundeswehr erreichen, dann sind wir im Hinblick auf das Zwei-Prozent-Ziel schon einen großen Schritt weitergekommen.
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