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NATO-Gipfel in Wales
Vom Versuch, Stärke zu zeigen

Es war einmal als gemütliches Arbeitstreffen geplant, nun sprechen Politiker und Diplomaten beim Nato-Treffen in Wales vom "Gipfel der Zeitenwende". Das Bündnis will und muss sich auf eine neue Weltlage einstellen. Jahrzehntelanges Bemühen um Vertrauensbildung zwischen Ost und West steht zur Disposition.

Von Rolf Clement |
    Der lebensgroße Nachbau eines Kampfjets steht auf dem Golfplatz des Celtic Manor Resort, wo vom 4. bis 5. September der NATO-Gipfel 2014 stattfinden wird.
    Der lebensgroße Nachbau eines Kampfjets am Tagungsort des NATO-Gipfels in Wales. (AFP / Leon Neal)
    "Als er beschlossen wurde im Herbst letzten Jahres, war dieser Gipfel erst einmal ein ungeliebtes Kind. Irgendwie dachte man, nach zwei Jahren Chicago müssen wir uns mal wieder treffen auf Gipfelebene. Aber wir Botschafterkollegen hatten so ein mulmiges Gefühl. Die Frage lautete: Wie beschäftigen wir denn unsere Chefs?"
    Der deutsche Botschafter bei der NATO, Martin Erdmann, auf einer Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung vor Kurzem in Berlin. Die NATO, so seine Analyse, hatte ihre Hausaufgaben eigentlich erledigt: Ein neues strategisches Konzept ist beschlossen, der Folgeauftrag für Afghanistan formuliert, die Idee gemeinsamer Streitkräfteplanung ist besprochen.
    "Und dann kam der März 2014. Und deshalb hat der Gipfel in Wales das Potenzial, ein historischer Gipfel zu werden."
    Mittlerweile sprechen Politiker und Diplomaten vom "Gipfel der Zeitenwende", wenn sich morgen und übermorgen die Staats- und Regierungschefs der 28 NATO-Staaten in der Nähe von Cardiff an der britischen Westküste treffen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier:
    "Wir sind 25 Jahre nach der europäischen Wiedervereinigung in der Tat in einer Situation mitten in einem Konflikt, der die europäische Sicherheitsarchitektur, an der viele Generationen gearbeitet haben, auf das Empfindlichste erschüttert, der langfristige Folgen haben kann, und er trägt alle Elemente in sich für eine neue Spaltung Europas."
    Die NATO will und muss sich in Wales auf eine neue Weltlage einstellen. Botschafter Erdmann, der den Gipfel mit vorbereitet hat, formuliert vorsichtig:
    "Das bedeutet im Wesentlichen, dass ein Vierteljahrhundert kooperativer Sicherheitsstrukturen mit Russland vor einer Neuausrichtung stehen, vor einer Neuausrichtung, mehr will ich an dieser Stelle nicht sagen – Neuausrichtung."
    Die Krise um die Ukraine hat nach Überzeugung der NATO-Staaten das Vertrauen gegenüber Russland zerstört. Außenminister Frank-Walter Steinmeier:
    "Wir sind aber jetzt rund um die Ukraine-Krise in einer Situation, in der Vertrauen verloren gegangen ist, und es deshalb jetzt an Russland liegt, dass dies Vertrauen wieder aufgebaut wird und in eine neue Basis für Kooperation, gegebenenfalls auch die Wiedereinberufung des NATO-Russland-Rates auf Ministerebene stattfinden kann."
    Seit 1975 gewachsenes Vertrauen außer Kraft
    Das Bemühen um Vertrauensbildung in Europa dauert schon fast vier Jahrzehnte. Langsam und mühsam wurde seit 1975 ein Regelwerk der Zusammenarbeit geschaffen, der sogenannte KSZE-Prozess. Damals setzten sich die europäischen Staaten mit den USA und Kanada in Helsinki zusammen, um in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Instrumente zu finden, die eine Verständigung mit der damaligen Sowjetunion und den Staaten des damaligen Warschauer Paktes ermöglichten.
    Mit der Zeit entstand ein Vertragsgebäude, das die militärischen Aktivitäten der beiden damaligen Blöcke NATO und Warschauer Pakt transparent machen sollte. So wurden etwa Obergrenzen für militärisches Großgerät wie Panzer und Kampfhubschrauber vereinbart, Stationierungsbegrenzungen für Truppen in bestimmten Regionen, eine Meldepflicht für Manöver und das wechselseitige Recht, die Übungen und die Kasernen intensiv zu inspizieren.
    Russische Streitkräfte haben an Stärke gewonnen
    Das alles wurde jetzt durch die russischen Operationen in der Ostukraine und auf der Krim de facto außer Kraft gesetzt. Russland hat, so die Erkenntnis der NATO, schon im vergangenen Jahr begonnen, Manöver nicht mehr vertragsgetreu anzumelden.
    In diesen Manövern übten die russischen Streitkräfte im vergangenen Jahr genau jene Szenarien, die dem entsprachen, was in der Ukraine nun tatsächlich ablief. Zudem wurde eine Luftlandeoperation geprobt - und das macht die Sorgen der baltischen NATO-Staaten Estland, Lettland und Litauen so groß.
    Die russischen Streitkräfte haben nach den Erkenntnissen der NATO, aber auch unabhängiger Friedensforschungseinrichtungen wie dem Stockholmer SIPRI-Institut, in den vergangenen Jahren deutlich an Schlagkraft gewonnen. Sie sind besser ausgerüstet, besser ausgebildet und besser motiviert. Zudem haben die russischen Streitkräfte die Fähigkeit erworben, schnell in ihre Einsatzgebiete ein- und wieder abzurücken. Auch das haben sie im ukrainisch-russischen Grenzgebiet bewiesen.
    Rasmussen wird deutlich
    Die Annexion der Krim, nach Ansicht fast aller Staaten der Welt ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, hat die Staatengemeinschaft gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin aufgebracht. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dessen Amtszeit Ende dieses Monats endet, wurde als Sprecher der 28 Nationen sehr deutlich:
    "Russlands Aggression gegen die Ukraine ist die schwerste Bedrohung für Europas Sicherheit in einer ganzen Generation. Sie fordert unsere Vision von einem Europa als Ganzes, in Freiheit und Frieden heraus. Die größte Verantwortung der NATO ist es, unsere Völker und unser Territorium zu schützen und zu verteidigen. Und: Täuscht euch nicht - das ist es, was wir auch tun werden."
    Damit hat Rasmussen den Kurs der NATO vorgezeichnet: Die NATO schützt die Völker und das Territorium ihrer Mitgliedstaaten – damit aber nicht das der Ukraine, die kein NATO-Mitglied ist.
    So klar sprach nicht jeder gleich in der Allianz. Erst als Putin nach der Besetzung der Krim auch die östliche Ukraine weiter destabilisieren ließ und die dortigen Separatisten nicht zurückrief, wurde allen klar, dass dies die Sicherheitslage Europas langfristig verändern würde. Die vorbereitenden Ministerrunden zum NATO-Gipfel ergaben, dass die NATO sich neu aufstellen muss.
    Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gibt in Brüssel eine Pressekonferenz am Ende eines Treffens der Nato-Botschafter zur Ukraine-Krise.
    Wurde deutlich: Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen (picture-alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Das Wichtigste für die Allianz ist, dass die NATO jedem der 28 Mitgliedstaaten die Gewissheit gibt, dass seine Sicherheit, seine Interessen in der NATO gut aufgehoben sind. Die Wahrnehmung von Sicherheitsrisiken ist im Bündnis durchaus unterschiedlich.
    Die baltischen Staaten, Polen, mit Einschränkung auch Ungarn und Rumänien, sehen die Bedrohung durch Russland deutlich gewachsen. Die Phase, die von dem Bemühen um Kooperation geprägt war, ist für sie weitgehend zu Ende. Sie erwarten ein stärkeres Engagement der NATO. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat dafür Verständnis: "Wir nehmen die Sorgen unserer östlichen Mitgliedstaaten sehr ernst."
    In den Vorbereitungszirkeln war das nun kaum umstritten, wie Botschafter Martin Erdmann zusammenfasst: "Die Bündnismitglieder im Osten, die zum Teil über erhebliche russische Minderheiten verfügen - Lettland 50 Prozent -, sorgen sich davor, dass das, was Präsident Putin erklärt hat, - nämlich: Überall, wo Russen leben, gibt es auch russische Interessen, die es zu verteidigen gilt – dass dieser Fall in ihrer Situation Anwendung findet. Das ist die besondere Besorgnis, die wir teilen."
    Bruch der NATO-Russland-Grundakte?
    Aber ganz so einfach ist das nicht. Die NATO hat 1997 im Zusammenhang mit der Osterweiterung ein Abkommen mit Russland geschlossen, die sogenannte NATO-Russland-Grundakte. Sie sollte die Zusammenarbeit zwischen der Allianz und Russland auf eine, wie man hoffte, dauerhafte und stabile Basis stellen. Um russische Bedenken zu zerstreuen, dass sich die Aufnahme von Staaten aus dem früheren Interessengebiet Russlands gegen Moskau richten könnte, wurde vereinbart, dass in diesen Staaten keine substanziellen Kampftruppen dauerhaft, wie es wörtlich heißt, stationiert werden sollen.
    Da Russland seinerseits Vereinbarungen gebrochen hat, könne die NATO diese Verpflichtung auch aufgeben, lautet nun vor allem die polnische Position: Demnach sollte die NATO diese Vereinbarung aufkündigen – aber nicht, wie Moskau, einfach missachten. Dem stimmen andere NATO-Staaten nicht zu. Nur unterhalb der Schwelle „dauerhaft und substanziell" sollen Truppen in die östlichen Mitgliedsländer der NATO verlegt werden.
    Unter den Staaten, von denen in der aktuellen Situation besondere Solidarität mit den NATO-Partnern verlangt wird, wird Deutschland besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Bundesrepublik hat sich, so berichtet NATO-Botschafter Martin Erdmann, in den Augen vieler Bündnispartner bequem eingerichtet: "Deutschland lebe in einer 'comfort zone', in der man sich wohlfühle, und in der man möglichst von den Unbilden der Welt um einen herum möglichst wenig tangiert werden wolle.
    Merkel als Putin-Freundin
    Das kommt nicht von ungefähr: Schon oft war Deutschland bei Aktionen der NATO sehr zögerlich. Zudem gilt Bundeskanzlerin Angela Merkel als Freundin von Russlands Präsident Wladimir Putin. Außenminister Frank-Walter Steinmeier plädierte noch vor einem Jahr für eine Modernisierungspartnerschaft, die Deutschland, vielleicht auch Europa mit Russland eingehen sollte.
    Allerdings hat Steinmeier sich auch in der NATO Respekt durch seine diplomatischen Aktivitäten in den vergangenen Monaten verschafft, vor allem durch seine Reisen in die Staaten an der NATO-Ostgrenze. Auch Kanzlerin Angela Merkel reiste ins Baltikum, um dort die Bündnistreue aller NATO-Staaten zu betonen.
    Wie die NATO ihre Präsenz in der Region verstärkt, zählt Botschafter Erdmann auf: "Ausweitung des Airpolicing, an dem sich Deutschland beteiligt ab September, verstärkte Manöver in der Ostsee, Dislozierung amerikanischer Kompanien, also etwa eine Stärke von 100 Mann, 100 Posten, in den drei baltischen Staaten plus Polen, die rotieren, hinein und hinaus, und, was Deutschland betrifft, zusammen mit Dänemark und Polen, die Ausweitung des Bereitschaftsstatus des deutsch-polnisch-dänischen Korps in Stettin."
    Gemeint sind die Kontrollflüge von NATO-Kampfjets im Luftraum der baltischen Staaten sowie die Verlegung kleinerer Truppenteile an die NATO-Ostgrenze. Hierbei wird das Personal – um dem erwähnten Abkommen mit Russland aus dem Jahr 1997, das die dauerhafte Stationierung von Truppen untersagt, gerecht zu werden – regelmäßig ausgetauscht. Es ist vorauszusehen, dass in Moskau dies dennoch als "dauerhafte" Stationierung bewertet wird. Wenn auch die Personen wechseln – es bleiben Verbände aus NATO-Staaten.
    US-Präsident Obama hat vor einigen Wochen eine Milliarde Dollar für die Sicherheit in Europa bereitgestellt. Nach dem allgemeinen Verständnis können diese Mittel auch für Infrastrukturmaßnahmen ausgegeben werden, die den rotierend stationierten Truppen zur Verfügung stehen. Insofern können die baltischen Staaten und Polen so ihre militärische Infrastruktur modernisieren.
    Schnelle Eingreiftruppe: Die "neue Speersitze der NATO"
    Zudem legt die NATO einen „Rapid Action Plan" auf", wonach Truppen zügiger eingesetzt werden können. Generalsekretär Rasmussen: "Wir werden zusehen, wie die Schnelle Eingreiftruppe der NATO in einer Krise noch schneller reagieren kann. Wir werden unsere Aufklärung und unsere Bereitschaft verstärken. Wir werden unsere Ausrüstung weiter im Vorfeld aufstellen. Wir werden unsere Übungen noch mehr auf spezifische Verteidigungsaufgaben konzentrieren."
    NATO-Generalsekretär Rasmussen hat diese verbesserte und flexiblere Schnelle Eingreiftruppe angesichts der Erfolge der russischen Kräfte in der Ostukraine zuletzt als "neue Speersitze der NATO" bezeichnet. Die Sprache wird also martialischer.
    All dies betrifft nur den Fall eines Angriffs auf einen der 28 Mitgliedsstaaten. Trotzdem bedeutet es personellen und finanziellen Mehraufwand. Und genau in diesem Punkt steht dem NATO-Gipfel die vielleicht einzige interne Diskussion ins Haus. Schon seit der Gründung der Allianz debattieren Staats- und Regierungschefs immer wieder darüber, wer wie viel in seine Militärausgaben steckt.
    Zwei Prozent des Bruttosozialprodukts, so verlangen vor allem die USA, sollen die Länder dafür bereitstellen. Deutschland liegt zur Zeit bei 1,3 Prozent. Seit Obama die eine Milliarde Dollar zusätzlich für die europäische Sicherheit in den Etat eingestellt hat, ist der Druck gewachsen. US-Außenminister John Kerry: "Während wir zum Wales-Gipfel aufbrechen, muss jedes Land, das weniger als zwei Prozent des Bruttosozialprodukts ausgibt, tiefer in die Tasche greifen und sich dazu bekennen, mehr zu tun. Alles, was sie tun müssen, ist auf die Landkarte zu schauen, um zu verstehen warum. Die Ukraine, der Irak, Syrien, all das bedroht den Frieden und die Sicherheit."
    Eine Frage des Geldes?
    Deutschland winkt höflich ab. Ministerin Ursula von der Leyen: "Ich glaube, die Debatte muss ernsthaft geführt werden, dass es nicht nur eine Frage der Prozente ist, sondern dass es vor allem eine Frage ist der Effizienz des Einsatzes der Mittel und der Art und Weise, wie das Bündnis untereinander sein Budget dann auch managt."
    Sie verweist zudem auf die absolute Höhe des deutschen Wehretats. Dennoch: Auch innerhalb der Koalitionsfraktionen im Bundestag gibt es andere Stimmen. Der CDU-Außenpolitiker Thorsten Frei: "Wenn wir glaubwürdig darüber sprechen möchten, dass es darum geht, unsere Werte, unsere Vorstellungen auch in einer komplizierter und kleiner werdenden Welt zu verteidigen, dann müssen wir das auch mit glaubwürdigen Fakten hinterlegen. Sonst sind das letztlich nur leere Worte."
    Also mehr Geld für die Sicherheit? O-Ton Frey: "Ich glaube schon, dass wir auch vor dem Hintergrund der Entwicklungen der vergangenen Monate diese Debatte führen müssen, und dass wir dabei unter Umständen zu anderen Ergebnissen kommen als wir dies bisher noch für die mittelfristige Haushaltsplanung vorhergesehen haben."
    In jedem Fall braucht die NATO auch mehr Geld dafür, die Programme zu verstärken, mit denen sie die europäischen Staaten unterstützt, die nicht oder noch nicht Mitglied sind. Zahlreiche Länder klopfen bei der NATO an, aber auf diesem Gipfel wird es voraussichtlich keine Aufnahme-Entscheidungen geben.
    Afghanistan 2009: ein Junge vor deutschen ISAF-Einheiten
    Deutschen ISAF-Einheiten in Afghanistan: Der Rückzug bringt der NATO eine weitere tiefe Zäsur (picture alliance / dpa / Anja Niedringhaus)
    Die Regierung der Ukraine hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass sie einen Gesetzentwurf im Parlament einbringen will, wonach das Land nun die NATO-Mitgliedschaft offiziell anstrebt. Unter anderem, weil dies bislang nicht so klar war, lehnten vor allem Deutschland und Frankreich ein erstes Ersuchen 2008 ab. Doch noch weniger als Georgien, das diesbezüglich stets in einem Atemzug genannt wird, erfüllt die Ukraine die Voraussetzungen, zu denen eine stabile Demokratie ebenso gehört wie eine Armee, die zur Sicherheit des Bündnisses etwas beitragen kann. Auch dürfen NATO-Beitrittsländer keine Grenzprobleme mit ihren Nachbarn haben.
    Beiden Ländern hat die NATO aber zusätzliche Unterstützung angeboten. Bislang wurden sie zum Beispiel in die Missionen im Kosovo und in Afghanistan eingebunden, die dort eingesetzten Verbände mussten NATO-Kriterien entsprechen und wurden dafür zertifiziert. Nun will die NATO die Hilfe beim Aufbau und der Ausbildung der Armee verstärken – etwas mehr noch als die Ukraine soll hiervon Georgien profitieren.
    Auch Transnistrien, ein winziger Landstreifen im Osten Moldawiens, wo viele Experten nach den dortigen Wahlen im kommenden Herbst eine ähnliche Entwicklung wie in der Ostukraine befürchten, wird in das Hilfs-Programm aufgenommen - ebenso wie Mazedonien, das wegen des Namensstreits mit Griechenland immer noch nicht beitreten darf, sowie Serbien.
    Nicht wieder aufgenommen wird die Zusammenarbeit mit Russland. Der NATO-Russland-Rat wird in Wales nicht einberufen. Die NATO hat die Bedingungen dafür bereits formuliert:
    Russland muss die in diesem Jahr gebrochenen internationalen Vereinbarungen etwa zur Transparenz von Militäraktionen wieder einhalten.
    Die in Westrussland zusätzlich stationierten Verbände, die über alle Fähigkeiten verfügen, die man für einen Einmarsch in der Ukraine hat, müssen in ihre ursprünglichen Kasernen zurückverlegt werden und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim muss aufgegeben werden.
    NATO-Politiker rechnen nicht mit Russlands Rückzug von der Krim
    Vor allem die letzte Forderung zeigt, dass die NATO einer schnellen Wiederaufnahme der Beziehungen zu Russland wenig Chancen gibt. Denn alle Politiker sagen trotz dieser Haltung hinter vorgehaltener Hand, dass sie nicht damit rechnen, dass Russland die Krim wieder zu räumen bereit ist. Der jüngst beobachtete Einmarsch russischer Soldaten in der Ostukraine hat diese Vermutung nur gestärkt.
    Interessanterweise strahlt der Ukraine-Konflikt nicht auf die praktische Zusammenarbeit beim Abzug aus Afghanistan ab. Ein Teil der militärischen Ausrüstung wird seit Monaten reibungslos vor allem durch russischen Luftraum, aber auch über russische Bahnstrecken abtransportiert. Daran verdient Russland allerdings auch.
    Abzug aus Afghanistan - noch eine Zäsur:
    Ursprünglich wollte die NATO auf diesem Gipfel auch entscheiden, wie die neue Mission für das Land am Hindukusch konkret aussieht. Daraus wird nichts. Denn dann hätte der neue afghanische Präsident nach Wales kommen müssen, um dort mit den Staats- und Regierungschefs die neue Mission zu besiegeln. Schließlich haben beide Kandidaten für die Präsidentschaft in Afghanistan erklärt, dass sie die dafür nötigen Abkommen unterzeichnen wollen. Da aber immer noch ungeklärte wechselseitige Fälschungsvorwürfe nach den Wahlen im Frühsommer im Raum stehen, gibt es noch keinen Präsidenten.
    Auch das Ende des 13-jährigen Kampfeinsatzes in Afghanistan ist eine echte Zäsur für die NATO. Botschafter Erdmann: "Es endet nämlich eine Periode von 20 Jahren höchsten und hohen operativen Tempos der Allianz. 1995 hat sich das Bündnis, Sie erinnern sich, nach dem Friedensvertrag von Dayton mit etwa 65.000 Truppen in Bosnien-Herzegowina engagiert, erstmals."
    Es folgten weitere Einsätze, der aufwendigste von allen war und ist Afghanistan. Und ob es dort überhaupt, wenn auch in deutlich geringerem Umfang weitergeht, ist zumindest offiziell noch offen. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wollte auf seiner Abschiedstour auch nach Kabul reisen und dabei die nötigen Abkommen unterzeichnen, doch wegen der nicht geklärten Präsidentschaft entfiel diese Visite.
    Rasmussen scheidet routinemäßig zum Monatsende aus. Sein Nachfolger wird der frühere norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg. Er hat bisher noch nicht erkennen lassen, wie er sein künftiges Amt wahrnehmen will. Erst für den Tag der Amtsübergabe hat er eine Stellungnahme angekündigt. Klar ist nur so viel: Der Sozialdemokrat Stoltenberg, der weltweit für seine milde, ausgleichende Art bekannt ist, wird die NATO in einer geopolitisch dramatischen Zeit führen müssen.